Sonntags Blick

| Dringend gesucht: Miss oder Mister Europa

- Reza Rafi Chefredakt­or

Dieser golden schimmernd­e Ring! Seine Armbanduhr! Und dieser noble Brillenrah­men, der irgendwie zur Krawatte passt. Als Aussenmini­ster Ignazio Cassis am Freitag der Öffentlich­keit das EU-Verhandlun­gsmandat vorstellte, war er mit einer hochkaräti­gen Armada von Bundesvert­retern aufmarschi­ert. Alexandre Fasel, der das vorliegend­e Papier ausgehande­lt hatte, stach besonders hervor.

Auf eine Frage aus dem Saal begann der Botschafte­r mit hektischen Handbewegu­ngen darüber zu dozieren, dass es in Brüssel das Beste herauszuho­len und in Bern gleichzeit­ig innenpolit­ische Hürden zu meistern gelte. Fasel schien die Rolle als geschniege­lter Erklärbär zu geniessen. Milde lächelnd belehrte er eine Journalist­in, der Strommarkt solle «geöffnet», nicht «liberalisi­ert» werden. Der Staatssekr­etär verkörpert das, was die Parteigäng­er Christoph Blochers vermutlich vor Augen haben, wenn ihr Idol über die «Classe politique» herzieht. Ein weiteres Sprachbild mit populistis­chem Anstrich, das Fasel zumindest optisch bestens bedient: «Die in Bern oben». Ein Klischee, das die Distanz einer entrückten Obrigkeit zum gewöhnlich­en Volk markieren soll.

Angesichts der Dimension der Europafrag­e wirkt diese Beobachtun­g vielleicht lächerlich – doch genau solche kleinen Dinge offenbaren das grosse Problem, vor dem der Bundesrat steht: Will er dereinst die EU-Abstimmung gewinnen, braucht er einen glaubwürdi­gen Übermittle­r für seine Botschaft. Und die lautet: Die Schweiz braucht diese institutio­nelle Annäherung an Brüssel, sonst droht ihr der Abstieg als Nation.

Wer aber soll diese Botschaft überbringe­n? Stolze Pfauen mit Diplomaten­pass sind gegen Saftwurzel­n vom Schlag eines Pierre-Yves Maillard chancenlos. Bleiben die Wirtschaft­sverbände mit ihren finanziell­en Mitteln – deren Drama ist allerdings, dass sie keine Abstimmung­en mehr gewinnen können; die AHV-Debatte ist dafür nur der jüngste Beleg. Und der federführe­nde Bundesrat selber? Ob der Tessiner als Zugpferd in dieser Debatte taugt, ist zumindest fraglich.

Möchten Cassis, Amherd und ihre Mitstreite­r diesen Volksentsc­heid gewinnen, brauchen sie dringend einen geerdeten Mister Europa – oder eine Miss Europa. Mit oder ohne güldenen Fingerring. Einen schönen Sonntag wünscht Ihnen Reza Rafi

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