Schweiz am Wochenende – Limmattal
Liebster, es ist Zeit
Jill Biden hat bekanntlich grossen Einfluss auf ihren Mann Joe. Wie bringt man jemandem schonend bei, dass er aufgeben soll?
Jill Biden zeigte über die Jahre hinweg gemischte Gefühle hinsichtlich der Präsidentschaftsbestrebungen ihres Ehemannes Joe. Vor zwanzig Jahren war sie sogar offen dagegen, dass er sich als Kandidat aufstellen lässt. Ganz anders jetzt. Selbst nach dem Fernseh-Duell gegen seinen Opponenten Donald Trump, in dem Amtsinhaber Biden mit seinen Verhasplern und zusammenhanglosen Sätzen sämtliche Klischees eines zu alten Präsidenten bestätigte, hob sie die Faust in die Luft. «Wir werden nicht zulassen», sagte sie an ihn gerichtet, «dass diese 90 Minuten die vier Jahre deiner Präsidentschaft bestimmen.»
Seit Monaten hilft Jill Biden ihrem Mann beim Wahlkampf, sammelt Spenden, trifft Wähler – und nimmt ihn bei der Hand, wenn er den Weg von der Studiobühne runter nicht mehr zu kennen scheint. Für Kenner des Umfelds von Joe Biden ist klar: Nur seine Familie, allen voran Ehefrau Jill, hat genug Einfluss auf ihn, um ihn entweder im Rennen um die Präsidentschaft zu halten oder ihn hinschmeissen zu lassen.
Stellt sich die Frage: Wie viel Einfluss können wir tatsächlich auf unsere Ehegatten nehmen? Und wie bringt man jemandem schonend bei: Ich glaube, du bist zu alt, du solltest aufgeben?
Eigenwilliger mit dem Alter
Solche Situationen beschränken sich ja nicht auf den US-amerikanischen Präsidentschaftswahlkampf. Sie sind Alltag. Zum Beispiel dann, wenn sich der Ehemann weigert, seinen Führerschein abzugeben. Oder die Ehefrau findet, sie brauche keinen Rollator, das sei etwas für alte Leute.
«Niemand lässt sich entgegen seiner Überzeug von etwas abhalten, das er oder sie unbedingt durchziehen will», sagt die emeritierte Psychologie-Professorin Pasqualina PerrigChiello, die zum mittleren und hohen Alter forscht. «Gerade im Alter. Es wäre naiv, das zu glauben.» Über die Jahre entwickeln Menschen ihre eigenen Massstäbe. Gegen einen eisernen Willen könne selbst die im Überzeugen erprobteste Ehefrau schwerlich etwas ausrichten.
Jemanden überzeugen zu können, hängt von zahlreichen Faktoren ab. Zum Beispiel davon, wie ein Paar kommuniziert, sagt Perrig-Chiello. «Unsere Forschung zeigt, dass sich in Beziehungen über 40 Prozent der Menschen in der Schweiz von ihren Partnern nicht unterstützt fühlen.» Aber selbst in guten Beziehungen gibt es kollidierende Wünsche und Konflikte. Mit dem Unterschied, dass sie hier auf Augenhöhe ausgehandelt werden.
Weniger altruistisch, als wir eingestehen
Dann komme es drauf an, wie die Rollen verteilt sind. In der Regel sind Männer konfliktscheuer als Frauen und sitzen unangenehme Themen lieber aus. Frauen hingegen wissen oft besser, wie ihre Männer funktionieren. Sie haben Strategien, um die Mauern zu überwinden, welche die Männer um sich hochziehen.
Mal geschieht das aus Überzeugung, für den anderen das Beste zu wollen, mal aus der Befürchtung, was andere denken könnten. Generell sind die Versuche, jemanden zu dessen Gunsten von etwas zu überzeugen, weniger altruistisch, als wir es uns eingestehen, sagt Perrig-Chiello. Wer Wünsche des anderen unterstützt oder hindert, tut dies auch aus Eigennutz.
Denn gerade in langjährigen Beziehungen wirken sich die Entscheidungen des einen auch auf das Leben des anderen aus. Es ist nur logisch, dass wir auf eine Weise Einfluss nehmen, die uns zugutekommt. Womöglich macht sich auch Jill Biden solche Gedanken. «Das ist nicht egoistisch», sagt Perrig-Chiello. «So funktionieren Menschen.»
Zuerst die Fakten, dann das Emotionale
Angenommen, ein Mann hat altersbedingte Sehprobleme, aber will seinen Führerschein nicht abgeben. Dann ist das mehr als ein rechteckiges Stück Plastik, das er abgeben muss, sagt sie. «Es ist ein Teil seiner Identität, vielleicht Teil seines Selbstverständnisses als autonomer Mann.» Gut vorstellbar, dass auch Joe Biden Mühe hat mit der Vorstellung, den Status als mächtigster Mann der Welt zu verlieren.
Es gibt eine ganze Palette an Überredungskünsten, von lieb zureden bis drohen, sagt sie. Aber es gebe kein Rezept, mit dem man treffsicher immer seinen Kopf durchsetzen kann. Jeder Mensch funktioniert anders.
Als Gegenüber könne man zuerst versuchen, rational die negativen Konsequenzen aufzuzeigen, die es haben kann, wenn jemand beispielsweise weiterhin Auto fährt. Wenn das nicht funktioniert, helfen vielleicht liebevolle Ich-Botschaften. Hier wichtig: Kein In-die-Enge-Treiben, kein «Stell dich nicht so an». Das gelte für alle Menschen, sagt Perrig-Chiello. «Wenn ich sage, warum ich mir welche Sorgen mache, ist die Wahrscheinlichkeit grösser, dass ich im Gegenüber etwas auslöse.»
Es kann nur gemutmasst werden, was sich im Kreis der Biden-Familie abspielt. Aber selbst wenn wir nicht wissen, wer hier wirklich wen vom Festhalten an der Kandidatur überzeugt hat: Es ist offensichtlich, dass es selbst den mächtigsten Familien schwerfällt, unangenehme Wahrheiten zu akzeptieren, sie anzusprechen und Lösungen zu finden.