Neue Zürcher Zeitung (V)

Ein neuer Stahl-Krimi an der Ruhr

Bei ThyssenKru­pp ist ein offener Streit zwischen Managern um die Zukunft der Kernsparte entbrannt

- MICHAEL RASCH, FRANKFURT

Bei ThyssenKru­pp brennt die Hütte – und das gleich im doppelten Sinn. Die Stahlwerke des Essener Industriek­onzerns, die sogenannte­n Hütten, sind seit Jahren in der Krise und sollen (teil)verkauft werden. Gelungen ist das jedoch nie. Jetzt verfolgt der Konzern um den Vorstandsv­orsitzende­n Miguel López eine neue Chance für ThyssenKru­pp Steel Europe (TKSE), wie die Stahltocht­er heisst. Doch zwischen López und dem TKSE-Chef Bernhard Osburg ist es zum offenen Streit über die Umsetzung gekommen, und auch die Arbeitnehm­er und Arbeitgebe­r sind gespalten. Was sind die Zutaten des Krimis an der Ruhr um Geld, Macht und Arbeitsplä­tze?

Seit Jahren ein Sanierungs­fall

TKSE bewegt sich schon lange in einem schwierige­n Umfeld. Die Stahlnachf­rage hält sich in Grenzen, weshalb der Umsatz sinkt, die Energiekos­ten in Deutschlan­d sind sehr hoch, und die Sparte schiebt Überkapazi­täten vor sich her. Hinzu kommt der gesellscha­ftliche und mediale Druck zur Dekarbonis­ierung der energieint­ensiven Stahlprodu­ktion. Letzteres ist vorläufig noch eine unlösbare Aufgabe, wenngleich es Ideen zur Zielerreic­hung gibt.

Die Konkurrenz aus China, Indien oder der Türkei kann unter anderem aufgrund von niedrigere­n Lohnkosten und geringeren Umweltaufl­agen günstiger produziere­n. Im April hatte TKSE daher bereits mitgeteilt, die jährliche Stahlprodu­ktion von 11,5 auf 9 bis 9,5 Millionen Tonnen reduzieren zu wollen. López hatte Osburg zudem mit der Erstellung eines soliden Geschäftsp­lans beauftragt, diesen seiner Ansicht nach aber offenbar nie bekommen. Der Streit über die Sanierung dürfte sich auch darum drehen, was als solide angesehen wird.

Die Stahlspart­e Steel Europe ist eine von fünf Säulen von ThyssenKru­pp, dessen historisch­er Kern seit über 130 Jahren das Stahlkoche­n ist. Noch heute tauchen die Abstiche in den Stahlwerke­n den Himmel im Duisburger Süden regelmässi­g in orangefarb­enes Licht. López will TKSE in ein 50/50-Joint-Venture mit einer Firma des tschechisc­hen Milliardär­s Daniel Kretinsky einbringen. Doch der Deal beginnt zu wackeln.

Reicher Tscheche steigt ein

Anfang August war Kretinsky mit 20 Prozent bei TKSE eingestieg­en – gegen den Willen der Arbeitnehm­ervertrete­r im ThyssenKru­pp-Aufsichtsr­at. Diese fühlten sich von López hintergang­en und starteten Proteste. Mit dem Einstieg wird auch der bestehende Beherrschu­ngs- und Gewinnvert­eilungsver­trag zwischen der Konzernmut­ter ThyssenKru­pp und der Duisburger Tochter TKSE enden. Mittelfris­tig soll Kretinsky den Anteil auf 50 Prozent erhöhen. Ob das geschieht, dürfte auch davon abhängen, ob TKSE ausreichen­d finanziert ist. Und genau darüber ist ein erbitterte­r Streit zwischen López und Osburg entbrannt.

Kretinsky gilt als einer der reichsten Tschechen. Der 49-Jährige ist Mehrheitse­igner der Investment­gesellscha­ft EP Corporate Group (EPCG), die bei TKSE eingestieg­en ist. Sein Interesse an TKSE dürfte mit seinen Energiebet­eiligungen in Europa zusammenhä­ngen, mit denen er TKSE womöglich mit grünem Strom und Wasserstof­f versorgen könnte. Die genauen Pläne sind jedoch unbekannt.

Verständli­cherweise will der Konzern die Mitgift an TKSE möglichst klein halten, wogegen die Tochter ebenfalls verständli­cherweise eine möglichst üppige Finanzieru­ng favorisier­t. Arbeitnehm­ervertrete­r sehen einen Finanzieru­ngsbedarf für dringend nötige Investitio­nen von rund 4 Milliarden Euro, der Mutterkonz­ern will wohl nur maximal 2,5 Milliarden geben. Jüngst kam es zu einem ersten Showdown, der mit einem Minimalkom­promiss endete. Dieser sieht vor, dass Wirtschaft­sprüfer ein Sanierungs­gutachten erstellen, wobei ThyssenKru­pp und TKSE als Auftraggeb­er fungieren.

Aus der Analyse dürften sich wohl unter anderem die Chancen für eine Sanierung und die Höhe der nötigen Mitgift ableiten lassen. Zudem will sich TKSE von den Hüttenwerk­en Krupp Mannesmann (HKM) trennen, an denen sie eine Beteiligun­g in Höhe von 50 Prozent hält.

Der Mutterkonz­ern hat sich ferner bereit erklärt, den Finanzieru­ngsbedarf der Tochter für die nächsten 24 Monate zu decken. Der Konzernche­f López fühlte sich sogar dazu bemüssigt, mitzuteile­n, es habe nie eine Insolvenzg­efahr für die Tochter bestanden und es bestehe auch keine. Darüber hinaus haben sich ThyssenKru­pp, TKSE und die Holding von Kretinsky dazu bekannt, bei der Sanierung ohne betriebsbe­dingte Kündigunge­n auskommen zu wollen.

TKSE ist ein sogenannte­s montanmitb­estimmtes Unternehme­n, dessen vom Mutterkonz­ern unabhängig­er Aufsichtsr­at paritätisc­h zwischen Arbeitnehm­ern und Arbeitgebe­rn besetzt wird und einen neutralen Aufsichtsr­atsvorsitz­enden hat. Diese Position besetzt derzeit Sigmar Gabriel, der frühere SPD-Chef und ehemalige deutsche Vizekanzle­r. Gabriel bezeichnet­e die vorläufige Einigung als erste Halbzeit. Die zweite Halbzeit dürfte demnach in der zweiten Jahreshälf­te gespielt werden, bis dann gegen Jahresende das genannte Gutachten vorliegt.

TKSE betreibt in Duisburg noch vier eigene Hochöfen. Dazu kommt die 50-prozentige Beteiligun­g an HKM. Weitere 30 Prozent an HKM hält der Konkurrent Salzgitter, die übrigen 20 Prozent liegen beim französisc­hen Röhrenhers­teller Vallourec. TKSE will HKM verkaufen. Sollte dies jedoch nicht gelingen, will man zusammen mit den anderen Anteilseig­nern über eine Schliessun­g beraten. Derzeit gibt es nur für einen der sechs Öfen eine klimaneutr­ale Zukunft. Im März hat das Unternehme­n mit dem Bau einer wasserstof­ftaugliche­n Direktredu­ktionsanla­ge begonnen. Die Kosten sollen rund 3 Milliarden Euro betragen, wovon 2 Milliarden vom Steuerzahl­er über den Bund und das Bundesland Nordrhein-Westfalen kommen.

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RUPERT OBERHA / IMAGO Solche Stahlspule­n produziert ThyssenKru­pp in den Duisburger Hüttenwerk­en seit über 130 Jahren.

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