Chancenlos gegen das Velo
Der öffentliche Verkehr in den Schweizer Städten erreicht nicht einmal doppeltes Fussgängertempo, wie eine Auswertung von Avenir Suisse zeigt
Wer in einer Schweizer Stadt von A nach B will, wählt meistens das Tram, den Bus oder die S-Bahn. Der öffentliche Verkehr ist für viele die erste Wahl, weil er sicher, bequem, sauber und pünktlich ist. Doch wirklich schnell kommt man damit nicht ans Ziel. Durchschnittlich erreicht man mit dem öV in der Stadt eine Geschwindigkeit von 8,3 km/h. Zu diesem Ergebnis kommt eine Auswertung der Denkfabrik Avenir Suisse.
Anhand von mehr als 100 000 Google-Maps-Verbindungen hat Avenir Suisse verglichen, wie schnell man in den zehn grössten Schweizer Städten von Tür zu Tür gelangt. Gemessen wurde die Gesamtdauer der Verbindung inklusive aller Fusswege von und zu den ÖV-Haltestellen. Ausgewertet wurden auch je fünf Städte aus Deutschland und Österreich.
Immerhin: Im internationalen Vergleich stehen drei Schweizer Städte an der Spitze. Schnellste Stadt der Schweiz ist St. Gallen mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 9,3 km/h, es folgen Biel (9,2 km/h) und Luzern (8,8 km/h). St. Gallen profitiert vor allem von seiner quer durch die Stadt führenden S-BahnStrecke (St. Fiden-Winkeln); ohne diese fiele die Bilanz deutlich schlechter aus.
An vierter Stelle folgt bereits Berlin mit 8,6 km/h. Von den insgesamt zwanzig untersuchten Städten schneidet Genf am schlechtesten ab. Die ÖV-Verbindungen erreichen dort eine Geschwindigkeit von 7,2 km/h.
Winterthur fällt ab
Der Durchschnitt der Schweizer Städte von 8,3 km/h ist nur unwesentlich höher als jener der untersuchten Städte in Deutschland und Österreich (jeweils 7,8 km/h). «Der Wert bedeutet auch, dass der schweizerische städtische öV gegenüber der Fortbewegung zu Fuss (4,8 km/h) nicht einmal die Hälfte der Zeit einzusparen vermag. Und gegenüber der Fortbewegung auf dem Fahrrad (im Mittel ca. 16 km/h) hat er keine Chance», schreiben die Autoren.
Der städtische öV sei in der Schweiz allerdings nicht durchgehend schneller als in Deutschland und Österreich. Seine Vorteile habe er vor allem auf den kürzeren und mittleren Distanzen.Auf Distanzen von 10 bis 15 km ist der öV sogar langsamer als in den beiden Nachbarländern. Der Grund: Schweizer Städte haben kaum S- oder U-Bahn-Netze, die über längere Distanzen massiv höhere Geschwindigkeiten erreichen.
Dafür lohnt sich der öV in den Schweizer Städten schon bei kurzen Distanzen. In der Kategorie von 500 bis 1000 Meter liegen auf den ersten acht Plätzen ausschliesslich Schweizer Städte, angeführt von Lausanne und Luzern. Einzig Winterthur fällt auf Platz 16 deutlich ab. Winterthur schneidet noch in einer anderen Kategorie von allen Schweizer Städten am schlechtesten ab: Pro ÖV-Verbindung muss dort eine Fussdistanz von durchschnittlich 836 Meter zurückgelegt werden. Die übrigen Schweizer Städte kommen hier auf Werte zwischen 570 Meter (Biel) und 742 Meter (Lugano).
Vergleich mit Auto schwierig
Die Studienautoren weisen darauf hin, dass die Geschwindigkeiten wenig darüber aussagen, wie viele Personen die ÖV-Verbindungen in einer bestimmten Zeitspanne von A nach B bringen. Im dicht besiedelten Genf erreicht der öV deutlich mehr Personen als etwa in Freiburg im Breisgau, das sich auf ein fast zehnmal grösseres Gebiet erstreckt.
Bei Städten mit grosser Fläche kämen zudem häufiger lange Verbindungen vor als in kleinen, kompakten Städten. Je länger die Strecke, desto tiefer der Anteil an Geh- und Wartezeiten – und umso höher sei tendenziell die Geschwindigkeit, weil lange Verbindungen geringere Geh- und Warteanteile aufwiesen auf als kurze. Zudem sei es eher möglich, auf schnellere Verkehrsmittel wie S-Bahnen umzusteigen. Diese Unschärfen wurden in den Messmethoden berücksichtigt, etwa mit standardisierten Durchschnittsgeschwindigkeiten.
In der Studie wird auch eine weitere Alternative zum öffentlichen Verkehr angesprochen: Das Auto bleibt für viele Verkehrsteilnehmer auch innerhalb der Stadt die erste Wahl. «Sich in seinen eigenen vier (Blech-)Wänden ohne Anstrengung von A nach B zu bewegen, geschützt vor Einflüssen anderer Personen und vom Wetter, hat für viele einen grossen Wert», so die Autoren.
Ein Vergleich mit dem öffentlichen Verkehr sei aber nur schlecht möglich. Die Fortbewegungsgeschwindigkeit könne bei flüssigem Verkehr gut 30 km/h erreichen, zu Stosszeiten aber auf Schritttempo fallen. Ins Gewicht falle auch die Verfügbarkeit von Parkmöglichkeiten: «Ohne Parkplätze bringt das schnellste Fortkommen nichts.»