Licht und Schatten der USA
Die Sprachkünstlerin Jenny Holzer bespielt das Guggenheim-Museum mit ihren politischen Botschaften – und Tweets von Trump
Die Ausstellung ist politisch und unheimlich. Einst klassifizierte US-Geheimdokumente zeugen von den dunklen Seiten der Grossmacht.
Beim Einnachten bildete sich eine Menschenmenge auf dem Trottoir gegenüber dem Guggenheim-Museum in New York. Sie wartete auf eine Erleuchtung. Als es endlich dunkel war, kam sie. Erst waren es nur ein paar Worte, die strahlend weiss über die Museumsfassade glitten, dann Sätze, verrätselt, poetisch – unter anderem Gedichte von der polnischen Nobelpreisträgerin Wislawa Szymborska.
Zum Auftakt ihrer grossen Retrospektive «Light Line» bespielte die amerikanische Konzeptkünstlerin Jenny Holzer die Innen- und Aussenwände des Gebäudes. Die ephemeren Fassadengedichte («You were saved because you were the last») blieben den Besuchern der ersten vier Nächte vorbehalten. Aber drinnen gibt es bis Ende September noch Erhellendes zu lesen.
Gute sechs Stunden brauchte man allein, um sämtliche Sätze zu studieren: Jenny Holzers eigene wie «Protect me from what I want» und von ihr ausgewählte Texte. Einige winden sich an der spiralförmigen Rotunde hinauf, einige markieren die engen Toiletten des Museums. Die konzeptuelle Textkünstlerin hat den Ort auf ihre Weise infiltriert.
Nicht nur die Kunstliebhaber
Die 74-jährige Jenny Holzer hat schon immer ein zufälliges Publikum an den gewöhnlichsten Orten mit unerwarteten Aussagen konfrontiert. Im New York der siebziger Jahre hat sie damit begonnen: mit Postern, die sie an Hauswände, Strassenschilder oder Metrowagen klebte. Sie wollte alle überall erreichen: «Ich habe mich der Sprache bedient, weil ich Inhalte liefern wollte, die Menschen – nicht nur die Kunstliebhaber – verstehen können», sagt sie in Interviews.
Jenny Holzer wurde bekannt, als sie 1982 ihre «Truisms», also Binsenwahrheiten, am Times Square wie enorme Leuchtreklamen inszenierte. 1990 bespielte sie als erste Frau den amerikanischen Pavillon an der Biennale in Venedig; sie gewann den goldenen Löwen. Seither hat sie sich daran gewöhnen müssen, ihre Spruchbänder immer öfter auch in Museen auszustellen.
Jetzt ist sie also zurück in der Stadt ihrer Anfänge. Die Ausstellung ist ein Déjà-vu, denn dort hat sie schon 1989 Leuchtschriften der Rotunde entlanglaufen lassen. Statt wie damals drei nimmt sie nun aber – wie sie es sich ursprünglich gewünscht hatte – alle sechs Stockwerke ein. Und dank einer KI entfachen wechselnde Farben, Schriften und Spezialeffekte ein noch bunteres Textfeuerwerk.
«I consider sleeping with people I do not like», «Action causes more trouble than thought» oder «Guns make wrong right fast». Die Inhalte sind mal verspielt, mal bedrohlich; einleuchtend oder paradox, manchmal zynisch, oft philosophisch. Es kann um Ethik gehen, um Mutterschaft oder um Krieg und Folter. Kein Satz, über den man nicht eine Weile nachdenken oder diskutieren könnte; so mancher brennt sich ein, bevor er wieder entschwindet.
Zeugenaussagen aus dem Krieg
Jenny Holzers Schaffen beginnt mit ihren Strassenpostern, den «Inflammatory Essays» (aufrührerischen Essays), erschreckenden Manifesten aus der Position von Menschen, die Schmerz, Erniedrigung und Gewalt erfahren haben oder anderen zufügen. So parodiert sie etwa einen amerikanischen Waffennarren mit einer Lobpreisung des Gewehrs. Einer ihrer sarkastischen Texte. Saaltexte zur Kontextualisierung finden sich kaum. Die Texte sollen für sich sprechen.
Wie mit einem dicken, schwarzen Filzstift haben Künstlerinnen und Autoren mit bunten Postern verkleidete Wände überschrieben. Es sind Zeugenaussagen aus den gegenwärtigen Kriegen, die Verfasser sind unter anderem aus der Ukraine, aus Palästina und Israel. Zehntausende von täglichen Kriegsberichterstattungen später verfehlen diese hervorgehobenen Sätze ihre Wirkung nicht. Auch das Wort ist eine Waffe, ein Messer, wie es gerade ein weiterer bekannter New Yorker, Salman Rushdie, in seiner Aufarbeitung des auf ihn verübten Attentats schreibt.
Im Posterraum stehen Bänke, auf deren melierten Marmorplatten Sätze eingraviert sind, wie Inschriften auf Grabsteinen. Sich darauf zu setzen, ist verboten. Die eingemeisselten Sätze sind schwer zu sehen und zwingen dadurch zum verlangsamten Lesen; so prägen sie sich eher ins Gedächtnis ein, genauso wie die gemächlich über den Screen laufenden Leuchttexte. Weiter oben im Museum finden sich ähnliche Marmortafeln wieder, aber diesmal als Sarg oder gar zertrümmert, die zerhackten Gedanken nur noch erahnbar.
Geheime Telefongespräche
Die Ausstellung ist politisch und unheimlich. Einst klassifizierte, inzwischen freigegebene US-Geheimdokumente zeugen von den dunklen Seiten der Grossmacht. Jenny Holzer macht aus ihnen schreckliche Kunstgegenstände, bei denen die visuelle Darstellung und der Inhalt im Kontrast stehen. Da ist etwa die stark vergrösserte Transkription eines 1972 heimlich aufgenommen Telefongesprächs zwischen dem damaligen Präsidenten Richard Nixon und Staatssekretär Henry Kissinger über die Bombardierung Vietnams.
Auf golden glänzenden Tafeln findet sich das dunkelste Kapitel amerikanischer Militärgeschichte: Akten aus dem Irakkrieg zeugen von Verhören mit illegalen Foltermethoden, die euphemistisch «erweiterte Verhörtechnik» genannt wurden; doch die heikelsten Informationen sind geschwärzt. Sogar fast nur aus schwarzen Balken besteht die Geheimdienstakte über den Schriftsteller George Orwell.
Vor dem omnipräsenten Donald Trump gibt es auch im Museum kein Entkommen. Jenny Holzer hat zahlreiche seiner Tweets, die er während seiner Präsidentschaft unablässig absetzte, auf giftigem Material verewigt. Seine Spuren im Internet – samt Anzahl Likes, Retweets und Kommentaren – hangeln sich auf verkohlt ausschauenden Platten aus Blei und Kupfer an der Wand entlang und landen schliesslich auf einem Haufen am Boden. Toxischer Abfall.
Ganz oben unter der lichten Museumskuppel liegt die Zukunft. Auf noch mehr golden glänzenden Tafeln finden sich dunkle Diagramme; Pläne zur Steuerung von Menschen, Kriterien für deren Auslöschung. Die Texte beginnen hinter der Oberfläche zu verschwinden. Auf einem Werk steht nur noch «slaughterbots». Auf dem allerletzten: «thanks». Danke. Und adieu. Das war’s. Man fragt sich, ob die USA Jenny Holzer auch heute noch als offizielle Vertreterin für die Biennale berufen würden.
Jenny Holzer: Light Line. Museum Guggenheim, New York, bis 29. September 2024.