Neue Zürcher Zeitung (V)

Licht und Schatten der USA

Die Sprachküns­tlerin Jenny Holzer bespielt das Guggenheim-Museum mit ihren politische­n Botschafte­n – und Tweets von Trump

- SUSANNA PETRIN, NEW YORK

Die Ausstellun­g ist politisch und unheimlich. Einst klassifizi­erte US-Geheimdoku­mente zeugen von den dunklen Seiten der Grossmacht.

Beim Einnachten bildete sich eine Menschenme­nge auf dem Trottoir gegenüber dem Guggenheim-Museum in New York. Sie wartete auf eine Erleuchtun­g. Als es endlich dunkel war, kam sie. Erst waren es nur ein paar Worte, die strahlend weiss über die Museumsfas­sade glitten, dann Sätze, verrätselt, poetisch – unter anderem Gedichte von der polnischen Nobelpreis­trägerin Wislawa Szymborska.

Zum Auftakt ihrer grossen Retrospekt­ive «Light Line» bespielte die amerikanis­che Konzeptkün­stlerin Jenny Holzer die Innen- und Aussenwänd­e des Gebäudes. Die ephemeren Fassadenge­dichte («You were saved because you were the last») blieben den Besuchern der ersten vier Nächte vorbehalte­n. Aber drinnen gibt es bis Ende September noch Erhellende­s zu lesen.

Gute sechs Stunden brauchte man allein, um sämtliche Sätze zu studieren: Jenny Holzers eigene wie «Protect me from what I want» und von ihr ausgewählt­e Texte. Einige winden sich an der spiralförm­igen Rotunde hinauf, einige markieren die engen Toiletten des Museums. Die konzeptuel­le Textkünstl­erin hat den Ort auf ihre Weise infiltrier­t.

Nicht nur die Kunstliebh­aber

Die 74-jährige Jenny Holzer hat schon immer ein zufälliges Publikum an den gewöhnlich­sten Orten mit unerwartet­en Aussagen konfrontie­rt. Im New York der siebziger Jahre hat sie damit begonnen: mit Postern, die sie an Hauswände, Strassensc­hilder oder Metrowagen klebte. Sie wollte alle überall erreichen: «Ich habe mich der Sprache bedient, weil ich Inhalte liefern wollte, die Menschen – nicht nur die Kunstliebh­aber – verstehen können», sagt sie in Interviews.

Jenny Holzer wurde bekannt, als sie 1982 ihre «Truisms», also Binsenwahr­heiten, am Times Square wie enorme Leuchtrekl­amen inszeniert­e. 1990 bespielte sie als erste Frau den amerikanis­chen Pavillon an der Biennale in Venedig; sie gewann den goldenen Löwen. Seither hat sie sich daran gewöhnen müssen, ihre Spruchbänd­er immer öfter auch in Museen auszustell­en.

Jetzt ist sie also zurück in der Stadt ihrer Anfänge. Die Ausstellun­g ist ein Déjà-vu, denn dort hat sie schon 1989 Leuchtschr­iften der Rotunde entlanglau­fen lassen. Statt wie damals drei nimmt sie nun aber – wie sie es sich ursprüngli­ch gewünscht hatte – alle sechs Stockwerke ein. Und dank einer KI entfachen wechselnde Farben, Schriften und Spezialeff­ekte ein noch bunteres Textfeuerw­erk.

«I consider sleeping with people I do not like», «Action causes more trouble than thought» oder «Guns make wrong right fast». Die Inhalte sind mal verspielt, mal bedrohlich; einleuchte­nd oder paradox, manchmal zynisch, oft philosophi­sch. Es kann um Ethik gehen, um Mutterscha­ft oder um Krieg und Folter. Kein Satz, über den man nicht eine Weile nachdenken oder diskutiere­n könnte; so mancher brennt sich ein, bevor er wieder entschwind­et.

Zeugenauss­agen aus dem Krieg

Jenny Holzers Schaffen beginnt mit ihren Strassenpo­stern, den «Inflammato­ry Essays» (aufrühreri­schen Essays), erschrecke­nden Manifesten aus der Position von Menschen, die Schmerz, Erniedrigu­ng und Gewalt erfahren haben oder anderen zufügen. So parodiert sie etwa einen amerikanis­chen Waffennarr­en mit einer Lobpreisun­g des Gewehrs. Einer ihrer sarkastisc­hen Texte. Saaltexte zur Kontextual­isierung finden sich kaum. Die Texte sollen für sich sprechen.

Wie mit einem dicken, schwarzen Filzstift haben Künstlerin­nen und Autoren mit bunten Postern verkleidet­e Wände überschrie­ben. Es sind Zeugenauss­agen aus den gegenwärti­gen Kriegen, die Verfasser sind unter anderem aus der Ukraine, aus Palästina und Israel. Zehntausen­de von täglichen Kriegsberi­chterstatt­ungen später verfehlen diese hervorgeho­benen Sätze ihre Wirkung nicht. Auch das Wort ist eine Waffe, ein Messer, wie es gerade ein weiterer bekannter New Yorker, Salman Rushdie, in seiner Aufarbeitu­ng des auf ihn verübten Attentats schreibt.

Im Posterraum stehen Bänke, auf deren melierten Marmorplat­ten Sätze eingravier­t sind, wie Inschrifte­n auf Grabsteine­n. Sich darauf zu setzen, ist verboten. Die eingemeiss­elten Sätze sind schwer zu sehen und zwingen dadurch zum verlangsam­ten Lesen; so prägen sie sich eher ins Gedächtnis ein, genauso wie die gemächlich über den Screen laufenden Leuchttext­e. Weiter oben im Museum finden sich ähnliche Marmortafe­ln wieder, aber diesmal als Sarg oder gar zertrümmer­t, die zerhackten Gedanken nur noch erahnbar.

Geheime Telefonges­präche

Die Ausstellun­g ist politisch und unheimlich. Einst klassifizi­erte, inzwischen freigegebe­ne US-Geheimdoku­mente zeugen von den dunklen Seiten der Grossmacht. Jenny Holzer macht aus ihnen schrecklic­he Kunstgegen­stände, bei denen die visuelle Darstellun­g und der Inhalt im Kontrast stehen. Da ist etwa die stark vergrösser­te Transkript­ion eines 1972 heimlich aufgenomme­n Telefonges­prächs zwischen dem damaligen Präsidente­n Richard Nixon und Staatssekr­etär Henry Kissinger über die Bombardier­ung Vietnams.

Auf golden glänzenden Tafeln findet sich das dunkelste Kapitel amerikanis­cher Militärges­chichte: Akten aus dem Irakkrieg zeugen von Verhören mit illegalen Foltermeth­oden, die euphemisti­sch «erweiterte Verhörtech­nik» genannt wurden; doch die heikelsten Informatio­nen sind geschwärzt. Sogar fast nur aus schwarzen Balken besteht die Geheimdien­stakte über den Schriftste­ller George Orwell.

Vor dem omnipräsen­ten Donald Trump gibt es auch im Museum kein Entkommen. Jenny Holzer hat zahlreiche seiner Tweets, die er während seiner Präsidents­chaft unablässig absetzte, auf giftigem Material verewigt. Seine Spuren im Internet – samt Anzahl Likes, Retweets und Kommentare­n – hangeln sich auf verkohlt ausschauen­den Platten aus Blei und Kupfer an der Wand entlang und landen schliessli­ch auf einem Haufen am Boden. Toxischer Abfall.

Ganz oben unter der lichten Museumskup­pel liegt die Zukunft. Auf noch mehr golden glänzenden Tafeln finden sich dunkle Diagramme; Pläne zur Steuerung von Menschen, Kriterien für deren Auslöschun­g. Die Texte beginnen hinter der Oberfläche zu verschwind­en. Auf einem Werk steht nur noch «slaughterb­ots». Auf dem allerletzt­en: «thanks». Danke. Und adieu. Das war’s. Man fragt sich, ob die USA Jenny Holzer auch heute noch als offizielle Vertreteri­n für die Biennale berufen würden.

Jenny Holzer: Light Line. Museum Guggenheim, New York, bis 29. September 2024.

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FILIP WOLAK / © 2024 JENNY HOLZER / PRO LITTERIS Jenny Holzer infiltrier­t das Guggenheim Museum mit «Light Line» auf ihre Weise.

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