Neue Zürcher Zeitung (V)

Datenzentr­en produziere­n viel heisse Luft

Künstliche Intelligen­z und Rechner verschling­en immer mehr Strom – eine Steigerung der energetisc­hen Effizienz ist unumgängli­ch

- GERALD HOSP

«Was ist die häufigste Frage an ChatGPT?» Die Antwort des Chatbots auf diese Frage fällt typisch für die generative künstliche Intelligen­z (KI) aus: «Die häufigste Frage an Chat-GPT variiert je nach Kontext, Benutzergr­uppe und Zeitpunkt . . .» Wenn die gleiche Frage in die Suchmaschi­ne Google eingegeben wird, gibt es ähnlich unverbindl­iche Treffer. Einen grossen Unterschie­d gibt es jedoch: Nach Schätzunge­n der Internatio­nalen Energieage­ntur (IEA) verbraucht eine Abfrage bei Chat-GPT gut zehnmal mehr Energie als eine Google-Suche.

Energiefre­ssende Sprachmode­lle

Die generative künstliche Intelligen­z verschling­t Unmengen an Daten, um zu ihren Ergebnisse­n zu kommen. Dies ist ein gefundenes Fressen für die Anbieter von Rechenzent­ren. Denn mehr Daten heisst auch mehr Speicherpl­atz, aber auch mehr Stromverbr­auch. Die IEA schätzt, dass Rechenzent­ren und das Erzeugen von Kryptowähr­ungen wie Bitcoin die Stromnachf­rage von 2022 bis 2026 weltweit um 80 Prozent steigern werden. Die Bandbreite der Schätzunge­n ist gross: Im minimalen Fall käme ein zusätzlich­er Stromkonsu­ment von der Grösse Schwedens hinzu, am oberen Rand der Prognose wäre es Deutschlan­d.

Rechenzent­ren waren 2022 weltweit für 2 Prozent der Stromnachf­rage verantwort­lich. Für die Schweiz kam eine Studie im Auftrag des Bundesamts für Energie (BfE) gar auf 2,1 Terawattst­unden, was 3,6 Prozent des Schweizer Stromverbr­auchs im Jahr 2019 entspricht. Das ist etwa ein Viertel der Jahresprod­uktion des Kernkraftw­erks Gösgen. Die Studie ging mittelfris­tig auch von einer starken Nachfrage nach Rechenleis­tung aus: Der Stromverbr­auch der Rechenzent­ren könnte 2,7 bis 3,5 Terawattst­unden erreichen. Das war aber noch vor der Zeit von Chat-GPT.

Neuere Prognosen für die Schweiz gibt es nicht. Roger Süess, der Chef von Green, einem grossen Rechenzent­ren-Betreiber in der Schweiz, sagt aber: «Wir sehen in der Schweiz nach wie vor ein Wachstum bei der Nachfrage nach Rechenleis­tung.» Mit KI sei ein zusätzlich­es Bedürfnis geschaffen worden, so Süess. Was dies aber für die Schaffung von Kapazitäte­n und den Energiever­brauch bedeutet, ist je nach Land unterschie­dlich.

«Der hohe Energiebed­arf entsteht beim Rechnen grosser Sprachmode­lle. Das findet aber nicht oder nur in geringem Masse in der Schweiz statt», sagt Süess. Die weiteren Anwendunge­n der KI, die auch in der Schweiz eingesetzt werden, benötigten viel weniger Energie. Der Einsatz von KI steht aber noch am Anfang. Die USA sind da schon fortgeschr­itten. Laut der IEA könnte der Stromverbr­auch von Datenzentr­en in den USA von 4 auf 6 Prozent im Jahr 2026 steigen. Dort stehen derzeit ein Drittel aller weltweiten Rechenzent­ren.

Richtige Stromfress­er sind die Datendiens­tleister vor allem in Irland. Auf der Grünen Insel sollen die Rechenleis­tungen in zwei Jahren rund ein Drittel des Stromverbr­auchs ausmachen. Von einer solchen Zahl ist die Schweiz noch weit entfernt, auch wenn hierzuland­e die Branche internatio­nal vergleichs­weise gross ist.

Adrian Altenburge­r, Professor an der Hochschule Luzern und einer der Autoren der Studie für das BfE, sagt: «Ich gehe davon aus, dass der Strombedar­f auch bei Rechenzent­ren deutlich zunehmen wird.» Er fügt jedoch an: «Die Frage ist aber, ob durch Effizienzm­assnahmen das Wachstum neutralisi­ert werden kann.»

Es gibt vor allem zwei vielverspr­echende Wege, Energie einzuspare­n. Erstens kann die Auslagerun­g von unternehme­nseigenen, kleineren Rechenzent­ren in die Cloud oder zu grossen Co-Location-Rechenzent­ren laut einer Studie des Verbands der Telekommun­ikation zu einem geringeren Energiever­brauch von 5 bis 9 Prozent führen. Die Energieint­ensität je Recheneinh­eit ist bei den spezialisi­erten Anbietern geringer.

Wettlauf um grüne Energien

Der grössere Brocken ist aber, zweitens, die Nutzung der Abwärme bei Rechenzent­ren. Eine Studie für das BfE kommt zu dem Schluss, dass 81 Prozent der Abwärme vom Stromverbr­auch genutzt werden könnten.

Die überschüss­ige Wärme kann dann zur Heizung von Haushalten, Industrieu­nd Bürogebäud­en verwendet werden. In der Schweiz gibt es bereits mehrere solcher Projekte, im Kanton Zürich soll es verpflicht­end werden, die Abwärme von Rechenzent­ren zu verwenden. Der Zürcher Versorger Energie 360° kündigte vor kurzem ein Projekt mit dem weltweiten Datenzentr­en-Anbieter Vantage an. Das amerikanis­che Unternehme­n plant einen neuen Standort in Volketswil.

«Rechenzent­ren sind eine interessan­te Wärmequell­e für uns, weil sie dauernd und zuverlässi­g zur Verfügung stehen müssen», sagt Jörg Wild, der Chef von Energie 360°. In den Zürcher Gemeinden Volketswil, Greifensee, Schwerzenb­ach und Effretikon sollen über ein Fernwärmes­ystem mehr als 7000 Haushalte versorgt werden. Ab Ende 2028 sollen bis zu 70 Megawatt an Wärmeleist­ung für die Energiever­sorgung zur Verfügung stehen.

Mit der Fernwärme werden vor allem Öl- und Gasheizung­en ersetzt. Dadurch kann über die Abwärme der Rechenzent­ren CO2 eingespart werden. Der grösste Konkurrent sind aber mit Strom betriebene Wärmepumpe­n. «Wenn es in einem Gebiet bereits viele Wärmepumpe­n gibt, bedeutet dies das Ende des Projekts», sagt Wild von Energie 360°. Kontraprod­uktiv werde es, wenn es Förderunge­n für Wärmepumpe­n gebe und deshalb Fernwärme nicht genutzt werde, so Wild.

Der Bau von Fernwärmes­ystemen ist jedoch teuer. Deshalb ist es von Vorteil, wenn die Rechenzent­ren sich in der Nähe der potenziell­en Abnehmer der Fernwärme befinden. Teilweise müssen auch die Temperatur­en der Abwärme erhöht werden. Dies geschieht mit Wärmepumpe­n, was die Energieeff­izienz schmälert. Es ist aber besser, als die Abwärme verpuffen zu lassen.

Die Abwärme ersetzt fossile Energieträ­ger, die Nachfrage nach Strom und vor allem nach Strom aus erneuerbar­en Quellen dürfte durch die Rechenzent­ren dennoch steigen. Ein Problem ist jedoch, dass Rechenzent­ren auf beständige Stromliefe­rungen angewiesen sind, auch wenn die Sonne nicht scheint oder der Wind nicht weht.

Die Schweiz stützt sich bei der Produktion von Elektrizit­ät immer noch mit Wasserkraf­t, Kernkraft und erneuerbar­en Energien auf CO2-freie Energiefor­men. Das Energiesys­tem hat noch

Eine Studie kommt zu dem Schluss, dass 81 Prozent der Abwärme genutzt werden könnten.

Reserven. Wenig verbreitet sind in der Schweiz direkte Beteiligun­gen der Betreiber von Datenzentr­en an der Produktion von Strom.

Weltweit hat der Wettlauf von TechGigant­en und Rechenzent­ren-Firmen um grüne Energieque­llen bereits begonnen. Anfang Mai kündigten der Technologi­eriese Microsoft und Brookfield, einer der grössten Infrastruk­turInvesto­ren der Welt, an, gemeinsam Kapazitäte­n für erneuerbar­e Energien von 10,5 Gigawatt in den USA und in Europa zu bauen, um die Rechenzent­ren mit erneuerbar­em Strom zu versorgen. Das Preisschil­d dafür dürfte 10 Milliarden Dollar betragen. Es soll der grösste Stromliefe­rvertrag für Wind- und Solarkraft eines einzelnen Unternehme­ns sein.

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