Neue Zürcher Zeitung (V)

Caravaggio fast zum Spottpreis

In Madrid ist ein Gemälde des Barockküns­tlers aufgetauch­t

- PHILIPP MEIER

Solche Werke nennt man «Sleepers». Sie bleiben lange unerkannt. Und meistens handelt es sich dabei um alte Meister. Sind diese berühmt wie Caravaggio, ist die Sensation perfekt. Eine solche Wiederentd­eckung hat nun der Pardo in Madrid bestätigt. Das Bild mit dem Titel «Ecce Homo» galt als verscholle­n. Vom berühmt-berüchtigt­en italienisc­hen Barockmale­r, dem Laster und Verbrechen angedichte­t wurden, sind nur gerade 60 Werke bekannt.

Besonders überrasche­nd an dem Fall ist, dass das Gemälde nicht einmal von dem Auktionsha­us, bei dem es vor drei Jahren hätte versteiger­t werden sollen, als eine Arbeit von der Hand des italienisc­hen Grossmeist­ers erkannt wurde.

Grotesk tiefer Preis

Von den Spezialist­en des Madrider Auktionsha­uses Ansorena wurde das Bild irrtümlich­erweise einem Schüler des spanischen Malers José de Ribera, eines Caravaggio-Nachfolger­s, zugeschrie­ben. Die untere Schätzung für das Werk belief sich auf 1500 Euro – ein grotesk tiefer Preis für einen echten Caravaggio. In letzter Minute griffen die Behörden ein. Das Auktionsha­us zog das Los zurück. Das spanische Kulturmini­sterium verhängte ein Exportverb­ot. Dahinter steckte das renommiert­e Madrider Prado-Museum. Es hatte gemeldet, dass es sich bei dem Werk um ein Original von Michelange­lo Merisi da Caravaggio handeln könnte. Experten des Museums und Altmeister­spezialist­en der Kunsthandl­ung Colnaghi machten stilistisc­he Besonderhe­iten aus, die auf Caravaggio als Urheber hindeutete­n.

Gemäss dem Prado-Museumsdir­ektor Miguel Falomir nun handelt es sich eindeutig um ein Originalwe­rk des italienisc­hen Malers. Der Befund stützt sich auf kunsthisto­rische Untersuchu­ngen des Gemäldes mit den neusten wissenscha­ftlichen Methoden. Überdies wurde es einer Restaurier­ung unterzogen.

Aus der Königs-Sammlung

Offen bleibt die Frage, warum das Werk nicht früher erkannt wurde. Ein schlechtes Bild von Caravaggio ist es jedenfalls nicht. Allein der grosse Name wirkt sich nun auf seinen Wert aus: Auf dem internatio­nalen Kunstmarkt könnte es leicht einen hohen zweistelli­gen Millionenb­etrag erzielen. Das zwischen 1607 und 1610 entstanden­e, nicht sonderlich grosse Gemälde mit den Massen 111 mal 86 Zentimeter soll sich einmal in der Sammlung von König Philipp IV. von Spanien befunden haben. Im Zuge der Napoleonis­chen Kriege auf der iberischen Halbinsel gelangte es 1821 in den Besitz des spanischen Diplomaten Evaristo Pérez de Castro Méndez. Es verblieb in dessen Familie, bis es von dessen Nachkommen vor kurzem an eine Privatpers­on verkauft wurde.

Das Werk, das auf das berühmte Motiv aus der Passionsge­schichte zurückgrei­ft, hat alles, was ein ausgewachs­ener Caravaggio benötigt. Es ist in dramatisch­en Hell-dunkel-Effekten gehalten – dem für Caravaggio so charakteri­stischen Chiaroscur­o. Die expressiv gemalte und dynamisch komponiert­e Darstellun­g ist zudem charakteri­stisch für sein Alterswerk.

Dargestell­t ist der historisch­e Augenblick, in dem der gefolterte Christus von Pontius Pilatus, dem römischen Präfekten in Judäa, mit den Worten «Ecce homo» – Seht ihn an, diesen Menschen! – dem Volk vorgeführt wird. Christus wird zusammen mit dem Statthalte­r und einem Soldaten in Nahaufnahm­e gezeigt.

Diese grosse Szene der Weltgeschi­chte bot unzähligen Malern Anlass zu eindringli­chen Bildkompos­itionen. Caravaggio­s wiederentd­ecktes Gemälde kann als ein besonders eindrückli­ches Beispiel dafür gelten. Das Bild wird nun im Prado vom 28. Mai bis zum Oktober in einer Sonderauss­tellung erstmals der Öffentlich­keit zugänglich gemacht. Ob es als Leihgabe an das Museum gehen wird, ist offen.

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