Caravaggio fast zum Spottpreis
In Madrid ist ein Gemälde des Barockkünstlers aufgetaucht
Solche Werke nennt man «Sleepers». Sie bleiben lange unerkannt. Und meistens handelt es sich dabei um alte Meister. Sind diese berühmt wie Caravaggio, ist die Sensation perfekt. Eine solche Wiederentdeckung hat nun der Pardo in Madrid bestätigt. Das Bild mit dem Titel «Ecce Homo» galt als verschollen. Vom berühmt-berüchtigten italienischen Barockmaler, dem Laster und Verbrechen angedichtet wurden, sind nur gerade 60 Werke bekannt.
Besonders überraschend an dem Fall ist, dass das Gemälde nicht einmal von dem Auktionshaus, bei dem es vor drei Jahren hätte versteigert werden sollen, als eine Arbeit von der Hand des italienischen Grossmeisters erkannt wurde.
Grotesk tiefer Preis
Von den Spezialisten des Madrider Auktionshauses Ansorena wurde das Bild irrtümlicherweise einem Schüler des spanischen Malers José de Ribera, eines Caravaggio-Nachfolgers, zugeschrieben. Die untere Schätzung für das Werk belief sich auf 1500 Euro – ein grotesk tiefer Preis für einen echten Caravaggio. In letzter Minute griffen die Behörden ein. Das Auktionshaus zog das Los zurück. Das spanische Kulturministerium verhängte ein Exportverbot. Dahinter steckte das renommierte Madrider Prado-Museum. Es hatte gemeldet, dass es sich bei dem Werk um ein Original von Michelangelo Merisi da Caravaggio handeln könnte. Experten des Museums und Altmeisterspezialisten der Kunsthandlung Colnaghi machten stilistische Besonderheiten aus, die auf Caravaggio als Urheber hindeuteten.
Gemäss dem Prado-Museumsdirektor Miguel Falomir nun handelt es sich eindeutig um ein Originalwerk des italienischen Malers. Der Befund stützt sich auf kunsthistorische Untersuchungen des Gemäldes mit den neusten wissenschaftlichen Methoden. Überdies wurde es einer Restaurierung unterzogen.
Aus der Königs-Sammlung
Offen bleibt die Frage, warum das Werk nicht früher erkannt wurde. Ein schlechtes Bild von Caravaggio ist es jedenfalls nicht. Allein der grosse Name wirkt sich nun auf seinen Wert aus: Auf dem internationalen Kunstmarkt könnte es leicht einen hohen zweistelligen Millionenbetrag erzielen. Das zwischen 1607 und 1610 entstandene, nicht sonderlich grosse Gemälde mit den Massen 111 mal 86 Zentimeter soll sich einmal in der Sammlung von König Philipp IV. von Spanien befunden haben. Im Zuge der Napoleonischen Kriege auf der iberischen Halbinsel gelangte es 1821 in den Besitz des spanischen Diplomaten Evaristo Pérez de Castro Méndez. Es verblieb in dessen Familie, bis es von dessen Nachkommen vor kurzem an eine Privatperson verkauft wurde.
Das Werk, das auf das berühmte Motiv aus der Passionsgeschichte zurückgreift, hat alles, was ein ausgewachsener Caravaggio benötigt. Es ist in dramatischen Hell-dunkel-Effekten gehalten – dem für Caravaggio so charakteristischen Chiaroscuro. Die expressiv gemalte und dynamisch komponierte Darstellung ist zudem charakteristisch für sein Alterswerk.
Dargestellt ist der historische Augenblick, in dem der gefolterte Christus von Pontius Pilatus, dem römischen Präfekten in Judäa, mit den Worten «Ecce homo» – Seht ihn an, diesen Menschen! – dem Volk vorgeführt wird. Christus wird zusammen mit dem Statthalter und einem Soldaten in Nahaufnahme gezeigt.
Diese grosse Szene der Weltgeschichte bot unzähligen Malern Anlass zu eindringlichen Bildkompositionen. Caravaggios wiederentdecktes Gemälde kann als ein besonders eindrückliches Beispiel dafür gelten. Das Bild wird nun im Prado vom 28. Mai bis zum Oktober in einer Sonderausstellung erstmals der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Ob es als Leihgabe an das Museum gehen wird, ist offen.