DeepL konnte es schon lange vor Google
Jaroslaw Kutylowski schuf einen der besten Online-Übersetzer – doch jetzt ist ihm die Konkurrenz auf den Fersen
Fünf Kilometer vom Kölner Dom entfernt arbeitet Jaroslaw Kutylowski. Im Jahr 2017 hat er in dieser Stadt, die vor allem für ihre Kirchtürme bekannt ist, DeepL gegründet. Kutylowski hat mit seiner Übersetzungssoftware Google ausgestochen, dadurch wurde das Startup weltweit bekannt.
Zu einer Zeit, als der Google Translator noch Kauderwelsch produzierte, war Kutylowskis auf künstlicher Intelligenz basierte Software ein Novum: ein Online-Übersetzer, der wirklich korrekt übersetzte. Heute arbeiten die Schweizer Bundesverwaltung oder die Deutsche Bahn mit ihm, DeepL hat Kunden überall auf der Welt.
Während viele europäische KI-Startups in der Mittelmässigkeit steckenbleiben, hat es DeepL nach ganz oben geschafft. Das Wirtschaftsmagazin «Forbes» zählt DeepL zu den 50 vielversprechendsten KI-Startups weltweit, neben dem Chat-GPT-Entwickler Open AI und anderen Grössen aus dem Silicon Valley.
Glückliche Zufälle und Können
Jaroslaw Kutylowski hat wenig mit dem zu tun, wie sich viele einen Startup-Gründer aus der Tech-Welt vorstellen. Weisses Hemd, blaue Jeans, Lederschuhe. Auf einem Startup-Kongress in St. Gallen bringt Kutylowski seinen vierzehnjährigen Sohn mit. Er wolle einmal in den Berufsalltag des Papas schnuppern, sagt dieser. Der Vater, 41 Jahre alt, spricht über seine Kindheit. Darüber, wie ihn die Erfahrungen zu dem Unternehmer gemacht haben, der er heute ist.
Als Kind ist er mit seinen Eltern aus Polen nach Deutschland gekommen. «Ich wurde in eine neue Schule geworfen, ohne ein Wort Deutsch zu sprechen», sagt er. «Ich weiss, wie schwer es ist, eine neue Sprache zu lernen.» Doch Kutylowski hat es geschafft, er machte Abitur, ging an die Uni, heute spricht er das eloquente Deutsch eines Akademikers, akzentfrei.
Kutylowski promovierte in Informatik an der Universität Paderborn. Hier lernte er auch den Gründer von Linguee kennen. Linguee ist ein Online-Wörterbuch, das auf einer riesigen Datenbank von fehlerfreien Übersetzungen beruht, zum Beispiel von Institutionen der EU. Diesen Datenschatz nutzte Kutylowski, nachdem er 2012 als Technikchef in das Kölner Startup eingestiegen war, und er realisierte, dass sie damit eine KI für ein Wörterbuch trainieren konnten.
2017 ging sein KI-Übersetzer DeepL online. Linguee wurde zur DeepL GmbH und Kutylowski 2019 dessen Geschäftsführer. Vor dem Eintritt Kutylowskis war das Unternehmen defizitär, 2021 resultierte bei einem Umsatz von 28,3 Millionen Euro ein Gewinn von 1,5 Millionen. Das Geschäftsmodell von DeepL beruht auf kostenpflichtigen Abos. Nutzer können sich kostenlos bis zu 5000 Zeichen übersetzen lassen. Wollen sie mehr, müssen sie zahlen. Und das tun immer mehr.
Der Erfolg überzeugt auch Investoren. Nach einer Finanzierungsrunde Ende 2022 wurde das Unternehmen zu einem sogenannten Einhorn, es wird mit mehr als einer Milliarde Dollar bewertet.
Die Qualität zählt
Doch Google und Co. holen auf, ChatGPT wandelt die Art des digitalen Arbeitens, und Microsoft baut eigene KI-Anwendungen in seine Produkte ein. DeepL profitiert noch immer davon, dass es vor ein paar Jahren als Erster den Markt betrat. Als DeepL 2017 online ging, nutzte das Tool eine völlig neue Übersetzungstechnik, die der von Google und den anderen überlegen war.
DeepL arbeitet mit neuronalen Netzen, es schaut sich zu jedem Wort im Satz alle möglichen Übersetzungen an und berechnet dann die wahrscheinlichste Version des Satzes. Dabei blickt es auch auf den gesamten Textabsatz. Google und Co. arbeiteten damals anders, sie spalteten einen Satz in kleine Gruppen aus mehreren Wörtern und übersetzten diese einzeln. Das machte sie fehleranfällig.
Auf seiner Website schreibt DeepL daher noch immer, Tests unter Übersetzern hätten ergeben, dass es «der präziseste und differenzierteste maschinelle Übersetzer der Welt» sei. Doch die Untersuchungen stammen von 2020 und 2021. Im Jahr 2023 kommt der Branchendienstleister Intento bei einem Vergleich zu einem anderen Ergebnis: DeepL ist einer der besten Übersetzer, aber nicht mehr der beste. Bei manchen Sprachen sei DeepL führend, schreibt Intento, bei anderen sei es gleichauf mit Google. DeepL hat zudem weniger Sprachen im Angebot als die Konkurrenz, bei DeepL sind es um die 30, bei anderen über 100.
Jaroslaw Kutylowksi setzt auf die Qualität der Übersetzungen, nicht auf die Zahl der angebotenen Sprachen. «Um unsere Qualitätsstandards zu halten, müssen wir uns für jede Sprache mehr Zeit lassen als die Konkurrenz», sagt er. Wenn DeepL eine neue Sprache anbieten will, muss seine KI zuerst mit fehlerfreien Übersetzungen gefüttert werden. Sobald die KI selbständig arbeiten kann, korrigieren Wissenschafter und Muttersprachler die Ergebnisse.
2017 arbeiteten bei DeepL 22 Personen, heute sind es 900. Sie sitzen in Köln, Amsterdam oder Tokio. Zu Beginn dieses Jahres hat DeepL ein Büro in Austin, Texas, eröffnet. DeepL ist zu einem internationalen Unternehmen geworden. Die europäischen Wurzeln des Unternehmens sieht Kutylowski aber als Standortvorteil. Auf dem Kontinent werden mehr als 200 Sprachen und Dialekte gesprochen, mehr als 60 Prozent der EU-Bürger sprechen eine Fremdsprache.
Im angelsächsischen Raum fehle die Weitsicht, was sprachliche Vielfalt bedeute, überall auf der Welt spreche man Englisch. Er sagt: «Das Silicon Valley ist der falsche Ort, um eine Übersetzungsfirma zu gründen.»
Der Kampf steht noch bevor
Noch hat Kutylowski einen Vorsprung zu den Tech-Giganten, noch denken viele Menschen bei guten Übersetzungen zuerst an DeepL. Soll sein Unternehmen auch weiterhin bestehen, muss das so bleiben. In seine Zukunftspläne lässt sich Kutylowski jedoch nur ungern schauen. Wird DeepL auch bald gesprochene Sprache übersetzen? Ja, vielleicht. Der sonst so eloquente Unternehmenschef weicht hier aus.
Damit DeepL erfolgreich bleibe, setze er auf die Forschungsabteilung. Er sagt: «Unsere Forscher sind akademisch brillant, aber sie arbeiten weder an einer Universität, noch publizieren sie Forschungsarbeiten. Sie arbeiten in jeder Minute ihrer Arbeitszeit für das Produkt.» Seine Forscher behalten ihr Wissen also für sich, sie teilen es weder mit Kollegen noch mit Studenten. Kutylowski schützt die KI, die ihn erfolgreich gemacht hat. Was zunehmend schwieriger wird. «Ich denke, im Bereich der KI sehen wir in den nächsten fünf Jahren eine Entwicklung, die dem Tempo der letzten 30 Jahre entspricht.»
Welche Vision hat er für die kommenden 30 Jahre? «DeepL ist ein sehr junges Unternehmen, 30 Jahre sind da kein Zeitraum zum Nachdenken», sagt er. Geht es um DeepL, scheut Kutylowski die lauten Töne, er wirkt bescheiden.
Kurz zuvor, in St. Gallen am StartupKongress, hat Kutylowski für Studenten einen Karriere-Workshop mit dem Titel «Fragt mich, was ihr wollt» gehalten. Eine Sache konnten die Studenten lernen: Kutylowski ist ein bodenständiger Visionär. Er hat Google geschlagen, doch er brüstet sich nicht damit. Vielmehr betont er: An der Spitze zu bleiben, ist harte Arbeit.