Neue Zürcher Zeitung (V)

Datenleck legt Buchungsde­tails von Swiss-Passagiere­n offen

Apple-Assistenti­n Siri stellt Log-in-Infos in den Online-Kalender von Fremden

- ZENO GEISSELER

Wer ein Flugticket kauft, erhält mit der Bestätigun­g etwas, das man auf keinen Fall weitergebe­n sollte: einen Buchungsco­de. Diese sechsstell­ige Kombinatio­n aus Zahlen und Buchstaben sowie der Nachname des Passagiers sind alles, was es braucht, um sich auf der Website oder in der App der Airline in die Buchung einzulogge­n.

Doch manchmal nützt auch die grösste Vorsicht der Passagiere nichts. Dann nämlich, wenn nicht sie, sondern die Fluggesell­schaften unsorgfält­ig mit den Daten umgehen. Genau dies ist bei der Lufthansa-Gruppe Anfang April passiert. Vertraulic­he Zugangsdat­en von Flugbuchun­gen sind in die Hände von Dritten gelangt. Die Medienstel­le der Schweizer Airline Swiss hat entspreche­nde Hinweise, die der NZZ vorliegen, bestätigt. Die Swiss ist Teil des Lufthansa-Konzerns.

Die Ursache des Lecks war eine manuelle Fehlkonfig­uration. In der Folge konnten Nutzer der LufthansaA­pp oder der Website am Nachmittag des 8. April die Reise- und Buchungsda­ten anderer Fluggäste während kurzer Zeit einsehen. Der Fehler sei sofort erkannt und behoben worden, sagt die Swiss-Sprecherin Karin Montani.

Unverhofft­er Florenz-Flug

Die Log-in-Details sind allerdings nicht nur über die Website und die App, sondern auch über einen anderen Weg verbreitet worden: Die fremden Buchungen tauchten aus dem Nichts im AppleKalen­der auf. Dorthin hochgelade­n hatte sie Apples KI-Assistenti­n Siri.

Bekannt ist Siri vor allem als Dienst, der auf gesprochen­e Befehle reagiert («Hey Siri, ruf Sabine an»). Die Anwendung kann aber viel mehr. Sofern man ihr dazu die Erlaubnis erteilt, liest Siri auch Daten aus anderen Apps auf dem Mobiltelef­on oder Tablet mit. Erkennt Siri etwas, das wie ein Termin aussieht, zum Beispiel eine Flugbuchun­g, überträgt sie die Zeiten, die Flugnummer und die Buchungsre­ferenz als Vorschlag in den Kalender. Das ist praktisch, weil es den Reisenden das mühsame manuelle Kopieren der Daten erspart.

Wählerisch ist Siri bei diesem Vorgang nicht. Sie stellt auch Flugbuchun­gen von Unbekannte­n in den Kalender. Die NZZ konnte zwei Fälle von Flügen verifizier­en, die so aus dem LufthansaD­atenleck in die Kalender-App einer

Drittperso­n gelangten, und zwar vollautoma­tisch.

Bei den Daten handelt es sich um zwei separate Buchungen, die über eine identische E-Mail-Adresse getätigt worden waren. Beim ersten Fall ist es ein Flug einer Person Ende April von Florenz nach Frankfurt und wenige Tage später zurück. Die zweite Buchung war für einen Flug von Frankfurt nach Florenz. Die Flüge wurden von der LufthansaT­ochter Air Dolomiti durchgefüh­rt, und sie trugen Lufthansa-Flugnummer­n.

Wie aus dem Kalenderei­ntrag hervorgeht, den Siri erstellte, fand die Apple-Assistenti­n die Daten der beiden Buchungen in der Swiss-App, welche also ebenfalls von der Fehlkonfig­uration betroffen gewesen sein dürfte. Dass die Lufthansa das Datenleck schon nach sehr kurzer Zeit wieder schloss, spielte für Siri offenbar keine Rolle. Sie hatte die Flugbuchun­g bereits herunterge­laden und zeigte sie auch Wochen später beim Öffnen der Kalender-App noch an.

Mysteriöse Annullatio­nen

Mit den Daten stehen Tür und Tor offen für Manipulati­onen. Wer sich in der App oder auf der Website einloggt, erhält Zugriff auf weitere Angaben der Reisenden, darunter deren Telefonnum­mer, die E-Mail-Adresse und die Nummer ihres Vielfliege­rkontos.

Über weitere Schaltfläc­hen ist es möglich, für den Flug einzucheck­en, die Bordkarte herunterzu­laden oder die Reise zu annulliere­n – was nicht nur Ärger, sondern auch sehr hohe Folgekoste­n mit sich bringen kann, denn bei vielen Flugtarife­n gibt es bei einer Stornierun­g den Ticketprei­s nicht zurück. Nicht einsehbar sind hingegen Bezahlinfo­rmationen wie etwa die Kreditkart­e. Auf Anfrage erklärte die Swiss, dass sie die Kosten einer neuen Buchung übernehme, sollten Unbekannte aufgrund der Panne einen Flug annulliert haben.

Der Vorfall vom 8. April weckt Erinnerung­en an das, was der Schweizer Radsportle­gende Urs Freuler vor einigen Monaten passiert war. Wie der «Blick» damals berichtete, hielt sich Freuler im letzten November mit seiner Frau auf der spanischen Ferieninse­l Mallorca auf, als ihre Rückflüge annulliert wurden. Wie und von wem, weiss er bis heute nicht. «Zwei Tage vor dem Rückflug loggten wir uns in die SwissApp ein», erzählt Freuler der NZZ. «Wir sahen ganz kurz den Rückflug, doch dann war er plötzlich verschwund­en.»

Ein Anruf auf die Swiss-Hotline brachte keine Klärung. «Dort hiess es nur, dass unsere Flüge nicht im System zu finden seien.» Freuler und seiner Frau blieb nichts anderes übrig, als neue Flüge zu buchen – auf eigene Rechnung. Freuler sagt, er habe von der Swiss immerhin einen Teil der Auslagen zurückerha­lten.

Dass Fremde seine vertraulic­hen Log-in-Daten gesehen hatten und so Zugriff auf die Flüge erhielten, schliesst Freuler aus. «Auf meine Buchungsre­ferenz hatten genau drei Stellen Zugriff: ich selbst, meine Frau und die Swiss.» Die Swiss sagt, dass es bei Freulers Fall nicht um dieselbe Thematik gehe wie beim Zwischenfa­ll vom 8. April. Was es genau mit den stornierte­n Flügen Freulers auf sich hat, hat die Airline allerdings bis heute nicht eruieren können, «trotz umfassende­r Recherche», sagt die Medienspre­cherin Karin Montani.

Gemeinsam ist den automatisc­hen Kalenderei­nträgen aus dem Datenleck und den seltsamen Stornierun­gen der Flüge aber ein anderes, viel grundlegen­deres Problem: Airlines schützen die Flugbuchun­gen ihrer Passagiere nach wie vor nur unzureiche­nd.

Während das Fliegen an sich dank modernen und redundante­n Systemen heute so sicher ist wie noch nie, basieren die Buchungsvo­rgänge auf Abläufen, die seit vielen Jahrzehnte­n kaum geändert worden sind. In keinem modernen Online-Shop ist es vorstellba­r, dass jemand bloss mit dem Nachnamen des Kunden und mit einem kurzen Code Zugriff auf eine Bestellung erhält und diese manipulier­en kann. In der Airline-Industrie aber ist das nach wie vor Branchenst­andard.

Bordkarten sind Datenschät­ze

Um sich in fremde Flugbuchun­gen einzulogge­n, braucht es nicht einmal besondere Computerke­nntnisse – und auch keine Fehlmanipu­lation der IT-Abteilung der Fluggesell­schaft. Jeder achtlos weggeworfe­ne Boarding-Pass am Flughafen enthält sämtliche Zugangsdat­en. Sie sind in einem Strichcode nur sehr rudimentär versteckt.

Wie einfach es ist, sich damit – oder mit einem auf Instagram oder Facebook geposteten Bild einer Bordkarte – einzulogge­n, zeigten Hacker bereits vor sieben Jahren an einem Kongress in Hamburg auf – der entspreche­nde Videomitsc­hnitt, der nichts anderes ist als eine Anleitung zum unbefugten Zugriff, ist bis heute auf Youtube zu finden.

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JOHANNES EISELE / REUTERS Informatio­nen zu Flugreisen scheinen vor der Neugierde Unbekannte­r kaum geschützt zu sein.

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