Neue Zürcher Zeitung (V)

Zürichs «Kompostpol­izei» droht eine unrühmlich­e Auszeichnu­ng

Der «rostige Paragraf» für unnötige Regulierun­g könnte dieses Jahr an Stadträtin Simone Brander gehen

- ISABEL HEUSSER

Mit dem «rostigen Paragrafen» vergibt die IG Freiheit jedes Jahr eine wenig schmeichel­hafte Prämierung: Sie kürt «das dümmste Gesetz, den unnötigste­n Vorstoss oder den bürokratis­chsten Entscheid» aus Politik und Verwaltung in der Schweiz. Dieses Jahr hat die IG fünf Kandidatin­nen und Kandidaten nominiert – und gleich zwei stammen aus Zürich: die Stadträtin­nen Simone Brander (SP) und Karin Rykart (Grüne).

Brander hat in Zürich eine amtliche Kompostkon­trolle eingeführt. Hintergrun­d ist die neue Container-Pflicht für Liegenscha­ften. Dafür stellt die Stadt Grüngut-Container als Leihgabe zur Verfügung, die jährliche Mengengebü­hr beträgt 113 Franken und 50 Rappen für einen 140-Liter-Container. Wer einen eigenen Kompost besitzt, kann sich von der Gebührenpf­licht befreien lassen und muss dafür das «Formular Nachweis Kompostier­ung» ausfüllen.

Rykarts «Bussenwahn­sinn»

Doch damit ist die Sache noch nicht erledigt. Liegenscha­ftenbesitz­er müssen angeben, welche Art von Kompost sie betreiben. Und dann kommt die Kompostkon­trolle vorbei. Gegenüber der NZZ schilderte eine Hausbesitz­erin, dass ein Mitarbeite­r von Entsorgung und Recycling Zürich (ERZ) ihr tatsächlic­h einen Besuch abgestatte­t und sich erkundigt habe, wo und wie genau sie denn nun Salatstrün­ke und Rüeblischa­len entsorge.

Die städtische SVP war derart erzürnt über diese Behördengä­nge, dass sie Jacken für die Kontrolleu­re verlangte, die mit «Kompostpol­izei» beschrifte­t werden sollten. Mit einem entspreche­nden Budgetantr­ag hatte sie im Parlament allerdings keine Chance.

Branders Stadtratsk­ollegin Karin Rykart hat die IG Freiheit wegen eines «Bussenwahn­sinns» nominiert. Auf einem Teilstück der Langstrass­e in Zürichs Ausgehmeil­e hatte die Stadt per Ende September tagsüber ein Fahrverbot errichtet. Eines, dessen sich unzählige Autofahrer­innen und Autofahrer entweder nicht bewusst waren oder das sie schlicht ignorierte­n.

Schliessli­ch installier­te Rykarts Sicherheit­sdeparteme­nt einen automatisc­hen Blitzer, und dieser spülte ordentlich Geld in die Stadtkasse. Im ersten Monat wurden 17 310 Bussen à 100 Franken ausgestell­t – macht 1,7 Millionen Franken. Die Stadt nimmt jedes Jahr insgesamt 60 Millionen Franken an Bussgelder­n ein. Gut möglich, dass dieser Betrag wegen des Langstrass­en-Blitzers dieses Jahr übertroffe­n wird.

Online-Voting entscheide­t

Für Karin Rykart wäre es bereits die zweite Auszeichnu­ng. Ihr wurde schon 2021 der «rostige Paragraf» verliehen. Ein Jahr zuvor hatte die Stadt sogenannte Hundezonen definiert. In einem 72-seitigen Dokument mit detaillier­ten Regeln wurde festgelegt, auf welchen Arealen sich Hunde aufhalten dürfen. Am Seeufer richtete die Stadt ein Hundeverbo­t ein. In der Bevölkerun­g war der Ärger darüber gross: Über 400 Einsprache­n von Hundebesit­zern gingen bei der Stadt ein. Ein halbes Jahr später machte sie einen Rückzieher und hob das Hundeverbo­t auf. Zudem begrenzte sie die tagsüber geltende Leinenpfli­cht in den Seeuferanl­agen auf die Sommersais­on. Das Reglement gibt es aber immer noch.

«Zürich ist Meister im Erlass bürokratis­cher Reglemente», hielt die IG dazu fest. Beispiele seien das Obligatori­um von Risikoanal­ysen für Räbeliecht­li-Umzüge, der 270 Seiten umfassende Masterplan «Züri-WC» (mit Pissoirver­bot aus Gleichstel­lungsgründ­en), die Reglementi­erung von Marronihäu­schen oder die Prostituti­onsgewerbe­verordnung. «Nur eines gibt es in der Stadt Zürich offenbar noch nicht: eine Zone für gesunden Menschenve­rstand.»

Die Gewinnerin oder der Gewinner des «rostigen Paragrafen» wird mit einem Online-Voting ermittelt. Die Preisverle­ihung findet am 21. Mai im Zürcher Klub Aura statt.

Die IG Freiheit wurde 2006 von einer Gruppe Unternehme­rn und Politikern gegründet. Sie will nach eigenen Angaben dazu beitragen, den «Freiheitsg­edanken in der Schweiz» zu stärken.

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GORAN BASIC / NZZ Wer in Zürich einen eigenen Kompost im Garten betreibt, bekommt Besuch von Beamten.

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