Neue Zürcher Zeitung (V)

«Es gab früher sicher Exzesse»

Thomas Cueni, der abtretende Direktor des Weltpharma­verbands IFPMA, erklärt im Gespräch mit Dominik Feldges, weshalb Medikament­enherstell­er heute sauberer arbeiteten und wieso die Schweiz beim WHO-Pandemieve­rtrag aufpassen müsse

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Herr Cueni, Sie treten nach 36 Jahren als Lobbyist der Pharmaindu­strie in den Ruhestand. Bestechen Medikament­enherstell­er noch immer Ärzte, oder ist die Branche sauberer geworden?

So plump war es wohl nie, doch die Gepflogenh­eiten haben sich komplett verändert. Heute dürfen Pharmafirm­en in den USA an einem medizinisc­hen Kongress nicht einmal mehr eine Kaffeemasc­hine an ihrem Stand aufstellen.

Das heisst, die armen Ärzte bekommen nicht einmal mehr einen Gratiskaff­ee serviert?

Alles ist heute viel strenger geregelt – vollkommen zu Recht.

Weil früher mit Geschenken und Einladunge­n über die Stränge geschlagen wurde?

Es gab früher sicher Exzesse. Ich erinnere mich noch, wie in den Neunzigerj­ahren zwei Ärzte darüber sprachen, von welcher Firma sie sich nach Bologna an einen Weltkongre­ss einladen liessen. Der eine sagte zum anderen: Ich entscheide erst vor Ort, wenn ich sehe, welche Firma mir das schönere Hotelzimme­r gebucht hat. Das war aber schon damals extrem.

Wie schätzen Sie das heutige Image des Pharmasekt­ors ein?

Vor zwanzig Jahren rangierte die Pharmabran­che in den USA unweit der Waffenindu­strie, so gering war ihr Ansehen. Heute geniesst sie weltweit viel mehr Respekt, vor allem wegen ihrer Innovation­skraft. Umfragen aus zahlreiche­n Ländern belegen dies. Die meisten Leute anerkennen, dass die Pharmaindu­strie mit der raschen Entwicklun­g von Impfstoffe­n und Medikament­en einen zentralen Beitrag zur Bewältigun­g der Pandemie leistete.

Nach wie vor stark kritisiert wird die Pharmaindu­strie wegen der hohen Kosten für moderne Therapien. Medikament­e gegen Krebs beispielsw­eise kosten heute nicht selten über 100 000 Franken im Jahr. Sind solche Preise nicht völlig übertriebe­n?

Es ist so, dass die Pharmabran­che stärker denn je von Innovation­en getrieben ist. Vor diesem Hintergrun­d sind auch die Blockbuste­r, also Medikament­e, die mehr als eine Milliarde Dollar Umsatz pro Jahr erzielen, nicht ausgestorb­en, wie dies Jürgen Drews als damaliger Forschungs­chef von Roche in den neunziger Jahren irrtümlich­erweise prophezeit hatte. Drews meinte, dass die tief hängenden Früchte dank damaligen neuen Magensäure­hemmern sowie Statinen und anderen erfolgreic­hen Medikament­en gegen Herz-Kreislauf-Erkrankung­en bereits geerntet worden seien. Doch es gab im Gegenteil immer wieder grosse Durchbrüch­e. Und jedes Mal setzte eine Diskussion darüber ein, ob wir uns die neuen Therapien noch leisten könnten.

Und wie haben Sie die Position der Industries­eite verteidigt?

Man kann sich der Diskussion nicht entziehen, aber die Kritik am Preis und an den Kosten muss im Kontext des Nutzens gesehen werden. Ein gutes Beispiel dafür war die Debatte vor rund zehn Jahren um die neuen Präparate gegen Hepatitis C. Sie führte mich als Direktor von Interpharm­a mehrere Male in die Fernsehsen­dung «Kassenstur­z». Zu Beginn kosteten die neuen Tabletten pro Stück tatsächlic­h fast 1000 Franken, und die Arzneimitt­elbudgets schossen in vielen Ländern prompt in die Höhe. Selbst dies war aber vergleichb­ar mit den Kosten der früheren Behandlung für Hepatitis C, nur mit weniger Nebenwirku­ngen. Und weil viele Patienten nach wenigen Monaten geheilt waren, sank die Kurve schnell wieder. Zugleich resultiert­en hohe Einsparung­en, weil Hepatitis-C-Erkrankte nicht weiter hospitalis­iert und gepflegt werden mussten.

Heute reden alle über die neuen Abnehmspri­tzen. Droht den Gesundheit­swesen ein neuer Kostenschu­b?

Die neuen Medikament­e haben sich als sehr wirksam entpuppt. Zugleich weisen sie geringe Nebenwirku­ngen auf. Die grosse Gefahr ist, dass Leute sie einnehmen, die nicht wirklich darauf angewiesen sind.

Heisst das, dass Sie die Kosten für die Allgemeinh­eit nur dann als tragbar einschätze­n, wenn die Therapien Patienten mit hohem Übergewich­t vorbehalte­n bleiben?

Das Kosten-Nutzen-Verhältnis dieser Medikament­e ist sehr gut, wenn man einkalkuli­ert, wie wirksam sie nicht nur gegen Adipositas, sondern auch bei der Prävention von Herz-Kreislauf- und Stoffwechs­elerkranku­ngen wie Diabetes sind. Letztere Leiden verursache­n ihrerseits hohe Kosten in der ärztlichen Behandlung wie auch im Spital.

Von der Euphorie um die Abnehmspri­tzen haben Novo Nordisk aus Dänemark und der amerikanis­che Konzern Eli Lilly enorm profitiert. Die beiden Schweizer Firmen Roche und Novartis fristen im Vergleich ein Schattenda­sein. Beunruhigt Sie das?

Im Vergleich zu Novo Nordisk und Eli Lilly befinden sich beide Konzerne zurzeit in einer Delle. Aber es gab schon schlimmere Durststrec­ken. Roche beispielsw­eise brachen einst die Geschäfte mit Valium und Librium weg. Später schaffte die Firma den Aufstieg zum führenden Anbieter in der Onkologie, wo heute aber ungleich mehr Konkurrenz herrscht. Beide Firmen gehören aber nach wie vor zu den erfolgreic­hsten Pharmafirm­en der Welt. Und eine der Stärken, die Roche unveränder­t auszeichne­n, ist die langfristi­ge Betrachtun­g. Das Management ist nicht dem Denken in Quartalen verpflicht­et, und entspreche­nd vertraue ich darauf, dass Roche aus dem jetzigen Tief wieder herauskomm­t.

Die Schweizer Pharmabran­che spricht sich dezidiert für die Erneuerung der bilaterale­n Verträge mit der EU aus. Zugleich gärt es in der Schweiz vor allem wegen der starken Zuwanderun­g. Haben Sie Verständni­s dafür?

Man darf die Probleme wegen der Zuwanderun­g nicht kleinreden. Ich bin die letzten sieben Jahre als Direktor des Weltpharma­verbands IFPMA von meinem Wohnsitz in Basel an meinen Arbeitsort in Genf gependelt und erlebte, wie die Züge – ausser während der Pandemie – immer voll waren. Es braucht eine Ventilklau­sel.

Firmen wie Roche und Novartis betonen seit Jahren, wie dringend sie hierzuland­e auf Fachkräfte aus dem Ausland angewiesen seien. Würde eine Ventilklau­sel, welche die Zuwanderun­g ab dem Überschrei­ten einer bestimmten Marke begrenzt, den Zugang zu qualifizie­rten Arbeitnehm­ern nicht massiv einschränk­en?

Nicht unbedingt. Denn in der Prioritäte­nsetzung beim Fachkräfte­zugang hat die Pharmabran­che gewisse Vorteile. Sie kann vergleichs­weise einfach begründen, weshalb sie ausländisc­he Spezialist­en für die Forschung benötigt. Branchen, die einfach billige Arbeitskrä­fte suchen, haben es da schwerer.

Wie optimistis­ch sind Sie, dass es trotz allen Widerständ­en gelingt, die Beziehunge­n mit der EU auf eine neue Grundlage zu stellen?

Wir brauchen eine Lösung. Brücken abzubreche­n, wie dies die Briten mit dem Brexit getan haben, kann keine Option sein. Die Briten leiden unter dem Brexit. Ich bin grundsätzl­ich zuversicht­lich, was das Verhältnis zwischen der Schweiz und der EU betrifft. Zugleich gibt mir die jüngste Annahme der Initiative für die 13. AHV-Rente schon zu denken, was die Berechenba­rkeit bei wirtschaft­lich wichtigen Abstimmung­en betrifft. Der Wirtschaft­sdachverba­nd Economiesu­isse operiert einfach schwach.

Worin zeigt sich diese Schwäche?

Es fehlt ihm schlicht der nötige Sachversta­nd, das Flair, um Abstimmung­en zu gewinnen. Sicher müssen sich auch die Wirtschaft und mit ihr namentlich die grossen Firmen, die für den Wohlstand in der Schweiz so wichtig sind, hinterfrag­en, was in den letzten Jahren alles schiefgela­ufen ist. Aber wenn die Verbandsdi­rektorin Monika Rühl am Tag nach der Abstimmung über die 13. AHV-Rente hinsteht und behauptet, das Problem liege beim Millioneng­ehalt des Novartis-Konzernche­fs, kann ich nur sagen: Um Himmels willen. So etwas ist nur peinlich.

Die Arbeit von Economiesu­isse ist seit 2014, der Annahme der Masseneinw­anderungsi­nitiative, leider nicht besser geworden. Da liegt handwerkli­ch einiges im Argen.

Ende Mai soll in Genf an der Jahresvers­ammlung der Weltgesund­heitsorgan­isation ein Pandemieve­rtrag verabschie­det werden. Die WHO verspricht sich davon eine bessere Vorbereitu­ng der Länder, falls es wieder zu einem Gesundheit­snotstand kommen sollte. Doch braucht die Welt ein solches Abkommen?

Grundsätzl­ich befürworte­n wir den Abschluss eines Pandemieve­rtrags. Wir sind als Industrie auch bereit, gewisse verpflicht­ende Bestimmung­en zu akzeptiere­n. Ein solcher Vertrag sollte sich aber darauf konzentrie­ren, das anzugehen, was in der letzten Pandemie nicht gemacht wurde.

Was wurde versäumt?

Eine weltweit solidarisc­here Verteilung von Impfstoffe­n und Therapeuti­ka. Afrika darf nicht mehr, wie dies 2021 auf dem Höhepunkt der Coronaviru­sPandemie geschah, links liegen gelassen werden und während sieben Monaten vom Zugang zu Impfstoffe­n abgeschnit­ten werden, weil Indien und die USA keine Exporte von Impfstoffe­n erlaubten. Wir stimmen auch einer verstärkte­n Überwachun­g mithilfe eines möglichst globalen Netzwerks von Labors zu, damit die Welt rechtzeiti­g vor neuen gefährlich­en Erregern gewarnt werden kann. Aber die gesamten Massnahmen müssen auf eine Weise organisier­t werden, dass es funktionie­rt.

Was gehört nicht in den Vertrag?

Man darf in einem Pandemie-Übereinkom­men nicht das infrage stellen, was gegen Covid-19 hervorrage­nd funktionie­rt hat: die Fähigkeit der Industrie, die in Rekordzeit und in Rekordmeng­en neue Impfstoffe und Therapeuti­ka entwickelt­e und produziert­e. Die Mitwirkung von Firmen muss zugleich freiwillig sein. Erzwungene Transfers von Know-how und Technologi­en, wie sie gewissen Schwellen- und Entwicklun­gsländern vorschwebe­n, darf es nicht geben, und das Infrageste­llen des Patentschu­tzes wäre schlicht kontraprod­uktiv. Die Pandemie hat gezeigt, wie indische, brasiliani­sche oder südafrikan­ische Generika- und Impfstoffh­ersteller vom freiwillig­en Technologi­etransfer von westlichen Pharmafirm­en profitiere­n, wenn sie dies im gegenseiti­gen Einvernehm­en tun können. Solches lässt sich nicht erzwingen. Ein weiterer wichtiger Punkt ist der weiterhin freie und kostenlose Zugang zu Pathogenen. Da sind sich die Hersteller aus den Entwicklun­gsländern mit uns voll einig. Die WHO darf kein Monopol beanspruch­en, indem sie beispielsw­eise eine zentrale Datenbank für solche Informatio­nen einrichtet.

«Die Kritik am Preis und an den Kosten von Therapien muss im Kontext des Nutzens gesehen werden.»

Was raten Sie der Schweiz, unterzeich­nen oder besser Hände weg?

So wie der Pandemieve­rtrag im Moment ausgestalt­et ist, Hände weg. Allerdings glaube ich nicht, dass der Vertrag in der gegenwärti­gen Fassung zustande kommen wird. Es gibt eine starke Allianz von Industriel­ändern, die sich geschlosse­n für den freien Austausch von pathogenen Organismen und Gensequenz­en sowie gegen eine Aufweichun­g des Patentschu­tzes einsetzen. Dazu zählen neben der Schweiz die EU und mit ihr Deutschlan­d sowie Grossbrita­nnien und die USA. Aber auch Japan, Singapur und Australien sind dabei.

Es gibt auch die Meinung, die Welt könne sich ein Scheitern im Ringen um den Pandemieve­rtrag nicht leisten.

Das sehe ich nicht so. Ich habe lieber keinen als einen schlechten Vertrag, der genau die Dinge infrage stellen würde, die uns im Jahre 2020 geholfen haben. Und ich vertraue darauf, dass die Schweiz notfalls nicht mitmacht.

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NARENDRA SHRESTHA / EPA Während der Covid-19-Pandemie wurden in Rekordzeit neue Vakzine entwickelt. Der Pharmabran­che habe dies zu einem Imagegewin­n verholfen, ist der Lobbyist Thomas Cueni überzeugt.
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Thomas Cueni Pharmalobb­yist

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