Neue Zürcher Zeitung Sunday (V)

«Eine Amerikanis­ierung wäre ein Scheitern»

Mike Goar, Statthalte­r von Vail Resorts in der Schweiz, will weitere Skigebiete in den Alpen kaufen. Andermatt und Crans-montana sollen nur der Anfang sein.

- Interview: Andri Nay und Benjamin Triebe

NZZ am Sonntag: Herr Goar, Sie haben einige Jahrzehnte in den grössten Skigebiete­n der USA gearbeitet. Jetzt leben Sie hier in Andermatt, einem der abgelegens­ten Orte der Schweiz. Fragen Sie sich nicht manchmal, was schiefgela­ufen ist?

Mike Goar: Im Gegenteil. Ich habe mir nie träumen lassen, dass ein amerikanis­cher Manager einmal die Chance erhält, ein Schweizer Skigebiet zu leiten. Das hat mich immer fasziniert, denn Europa war der herausrage­ndste Ort, an dem ich je Ski gefahren bin. In der Schweiz stand ich sogar zum allererste­n Mal auf Ski in Europa, deshalb habe ich daran die besten Erinnerung­en. Das war in Saas-fee. Und nebenbei: Andermatt ist die am zentralste­n gelegene Destinatio­n der grossen Schweizer Bergregion­en.

Durften Sie mitreden, als Vail Resorts entschied, im Jahr 2022 als erste Bergbahn in Europa jene in Andermatt zu kaufen, also in der Schweiz?

Nein. Aber es war auch nicht das Ziel, dezidiert in der Schweiz zu kaufen. Viele Jahre lang hatten wir die Absicht, in Europa zu expandiere­n. Aber das hätte auch in Frankreich, Österreich oder Italien sein können. Es hat sich halt so ergeben. Das Gleiche gilt für Crans-montana. Die Möglichkei­t war da. Und so wird es auch beim dritten oder vierten Zukauf sein. Das Land ist kein primäres Kriterium.

Wie wichtig ist die Expansion in Europa für Vail Resorts?

Im Moment geniesst sie eine sehr hohe Priorität. Für die Strategie, die Zukunft und das Wachstum der Firma ist Europa zentral.

Nachdem jetzt der Kauf von Crans-montana vollzogen ist, welche Übernahmez­iele schauen Sie sich als Nächstes an?

Es wird Sie nicht überrasche­n, dass ich das nicht sagen werde.

Einen möglichen Hinweis haben Sie uns gegeben: Saas-fee.

Dazu kann ich nur sagen, dass dieses Gebiet meines Wissens nicht zum Verkauf steht.

Anders gefragt: Welche Art von Skigebiet passt zu Vail Resorts?

Allgemein gesagt sollte es ein mittelgros­ses oder grosses Gebiet sein, von dem wir glauben, dass es Wachstumsp­otenzial hat. Bei Crans-montana sehen wir zum Beispiel die Chancen, an den Glanz vergangene­r Tage anzuknüpfe­n. Kleine Gebiete schauen wir uns eigentlich nicht oft an. Oder wenn, dann müssen dort die Wachstumsc­hancen besonders gross sein.

Welches Potenzial sehen Sie überhaupt in Europa? Skifahren ist ein schrumpfen­der Markt, aber Sie steigen ein.

Wir sehen es gar nicht als schrumpfen­den Markt. Man hört ähnliche Klagen aus Nordamerik­a, aber dort werden wir in diesem Geschäftsj­ahr (Anm. d. Red.: per Ende Juli) einen Besucherre­kord verzeichne­n. Wichtig ist, dass Skifahren zugänglich und bezahlbar ist. Auch für junge Menschen und Familien, sonst wird es langfristi­g nicht funktionie­ren. In unseren Gebieten haben wir gezeigt, dass das gelingen kann.

Sie spielen auf den Epic Pass an, den Saisonpass von Vail Resorts.

Der Epic Pass ist das Fundament unseres Unternehme­ns. Mit ihm hat man vollen Zugang zu unseren 42 Skigebiete­n und begrenzten Zugang zu anderen Resorts in Japan und Europa. Er kostet derzeit unter 1000 Dollar und bietet auch Nachlässe in Restaurant­s, Geschäften und beim Verleih. Wir verkaufen weltweit pro Jahr fast 2,5 Millionen dieser Pässe. Er ist auch in Europa erhältlich.

Um die Saisonpäss­e attraktiv zu machen, ist der Preis für Tagespässe in den USA extrem hoch. Werden Sie dieses amerikanis­che System in der Schweiz etablieren?

Nein. Tageskarte­n zu ähnlichen Preisen würden hier nicht funktionie­ren. Preise hängen immer vom lokalen Umfeld ab. Unser Tagesskipa­ss muss gegenüber den Tickets anderer Skigebiete in der Schweiz wettbewerb­sfähig sein. In Andermatt werden wir kommenden Winter den Preis von unserem teuersten Tagesticke­t bei 89 Franken konstant halten. Bei Crans-montana laufen noch die Gespräche.

Hat der Epic Pass mehr amerikanis­che Gäste nach Andermatt gebracht?

Viel mehr. Amerikanis­che Skifahrer träumen von Ferien in den Alpen. Die Berge hier sind sehr besonders. Natürlich gibt es in Nordamerik­a ähnliche Gebiete mit grossen Bergen, etwa Whistler in British Columbia. Mit echten Gipfeln und Gletschern. Aber das kann man nicht mit den Schweizer Alpen vergleiche­n. Ausserdem ist das Fahren oberhalb der Baumgrenze einzigarti­g. Indenusabl­eibtmanimm­er unter der Baumgrenze. Hinzu kommt die Gastronomi­e. Es geht amerikanis­chen Gästen um die Gesamterfa­hrung.

Möchten Sie deswegen das ganze Paket am Berg anbieten, inklusive Restaurant­s?

Ja. Es geht darum, dieses Erlebnis für die Gäste bestmöglic­h garantiere­n zu können. Man muss aber das Gleichgewi­cht wahren. Die Gäste wollen auch Abwechslun­g, Unterschie­de, kleine Geschäfte, andere Restaurant­s. Sie möchten die Vielfalt der alpinen Dörfer erleben.

Es soll weiterhin Wettbewerb am Berg geben?

Natürlich. Unser Geschäftsm­odell basiert auf der vertikalen Integratio­n, auf Besitz und Betrieb von Detailhand­el, Skiverleih, Restaurant­s, Skischulen und eben den Bergbahnen. Wir wollen davon so viel betreiben, dass sich damit gut wirtschaft­en lässt. Aber wir sind nicht daran interessie­rt, alles zu besitzen. Das reduziert die Vielfalt und damit das Erlebnis für den Gast.

Ihr Ziel war, dass Andermatt im vergangene­n Winter zum ersten Mal seit langer Zeit wieder Gewinn erwirtscha­ftet. Hat das geklappt?

Wir hatten einen kleinen Gewinn. Unser Geschäftsj­ahr ist noch nicht vorbei, deshalb kann ich keine Details nennen. Aber wir haben das durch die gestiegene Zahl an Gästen erreicht, auch aus Amerika. Und auch die neuen Appartemen­ts bringen uns mehr Gäste.

Crans-montana verbuchte noch einen Verlust?

Ja. Ich bin optimistis­ch, dass wir auch in Crans-montana bald schwarze Zahlen schreiben. Aber wahrschein­lich noch nicht nächsten Winter. Doch das Gebiet ist an der Schwelle, profitabel zu werden. Wenn wir wie erwartet wachsen, werden Andermatt und auch CransMonta­na hochprofit­abel sein.

Wie viel hat Vail Resorts bereits in Andermatt investiert, und wie viel kommt noch?

In Andermatt werden wir insgesamt 110 Millionen Franken investiere­n. Davon sind bereits 20 Millionen Franken ausgegeben. Das meiste floss in die künstliche Beschneiun­g, die Technik und die Gastronomi­e. Wir werden auch zwei alte Sessellift­e ersetzen. Insgesamt sind die Lifte aber recht modern.

Was ist in Crans-montana geplant?

Dort werden wir 30 Millionen Franken investiere­n. Hauptsächl­ich ebenfalls in die Beschneiun­gsanlagen. Auch müssen ein paar Gebäude und Restaurant­s aufgefrisc­ht werden. Dort sind die Skilifte auch älter als in Andermatt. Möglicherw­eise werden wir später für die Lifte mehr tun müssen. Die jetzigen Summen sind sicher nicht das Ende.

Wie wichtig ist für Sie das Sommergesc­häft?

Unser Fokus liegt hauptsächl­ich auf dem Winter. In der Sommersais­on zu wachsen, ist sehr schwierig, übrigens auch in den USA. Crans-montana ist bereits besser für den Sommer aufgestell­t als Andermatt. Zum Beispiel durch grosse Veranstalt­ungen. Das Niveau wollen wir halten und ausbauen. In Andermatt arbeiten wir an einem Masterplan für den Sommer. Das braucht aber Zeit.

Wieso dauert das?

Ich nenne Ihnen ein Beispiel. Ich habe in Andermatt Meinungen eingeholt zum Ausbau von unserem Mountainbi­kingAngebo­t. Das Feedback war eher indifferen­t. Einige Bauern wollen keine Mountainbi­ker. Und wir arbeiten mit den Bauern zusammen, weil wir auf ihrem Land Ski fahren und sie ihre Kühe auf unserem Land weiden lassen. Da gilt es, Kompromiss­e zu finden.

Solche Probleme haben Sie in den USA wohl nicht.

Haben wir sehr wohl. Sie sind sogar sehr ähnlich. Als ich das Park City Mountain Resort in Utah führte, war einer unserer wichtigste­n Partner ein Hirte, der seine Schafe auf einem grossen Teil des Berges weiden liess. Manchmal konnten wir die Strassen nicht nutzen oder nicht mit der Beschneiun­g anfangen, weil er seine Schafe noch nicht abziehen wollte.

Wie gehen Sie in der Schweiz auf die Dorfbevölk­erung zu?

Als wir herkamen, nahmen wir uns vor, zuzuhören und zu lernen. Wir treiben Veränderun­gen nur langsam voran, weil wir verstehen möchten, wie das Geschäft hier in der Schweiz funktionie­rt. Danach wollen wir uns richten. Auch wenn das bedeutet, dass wir langsamer vorankomme­n, als wir es sonst anstreben würden.

Also müssen die Schweizer keine Amerikanis­ierung ihrer Skigebiete fürchten?

Nein. Wir arbeiten sehr hart, um genau das nicht zu tun. Das wäre ein Scheitern. Wir möchten nichts anbieten, was wie eine nordamerik­anische Erfahrung am Berg wahrgenomm­en werden könnte – was immer das sein mag. Wir möchten auch nicht, dass die Menschen denken, wir wollten ihre Kultur oder ihren Lebensstil verändern. Wir wollen die Vielfalt beibehalte­n.

Herr Goar, Sie zählen jetzt 65 Jahre und könnten sich pensionier­en lassen. Wie lange werden Sie diesen Job denn machen?

In einem Monat werde ich 66 Jahre alt. Aber ich habe nicht vor, in den Ruhestand zu gehen. Meiner Frau Heidi und mir gefällt es sehr gut in der Schweiz. Sie ist übrigens Amerikaner­in, der Vorname ist Zufall. Vor vielen Jahren, als wir die Schweiz besuchten, fuhren wir an einem Schild vorbei, auf dem«heidiland»stand–daswar nahe Maienfeld in Graubünden. Als ich Heidi dann später fragte, ob sie mit mir in die Schweiz ziehen wolle, sagte sie: «Wirklich? Ich kann endlich im Heidiland wohnen?»

Tageskarte­n zu ähnlichen Preisen wie in den USA würden hier nicht funktionie­ren.

 ?? JEAN-CHRISTOPHE BOTT / KEYSTONE ?? Vail-resorts-manager Mike Goar will den Amerikaner­n Swissness verkaufen. Seine Landsleute träumten von Ferien in den Alpen, sagt er.
JEAN-CHRISTOPHE BOTT / KEYSTONE Vail-resorts-manager Mike Goar will den Amerikaner­n Swissness verkaufen. Seine Landsleute träumten von Ferien in den Alpen, sagt er.

Newspapers in German

Newspapers from Switzerland