Neue Zürcher Zeitung Sunday (V)

Rechtsprof­essor fordert gesellscha­ftspolitis­che Diskussion

Der Professor Marcel Niggli kritisiert die unscharfen Sanktionsr­egeln, die den USA in die Hand spielen.

- Zoé Baches, Isabelle Wachter

Am kommenden Mittwoch berät der Nationalra­t in einer Sondersess­ion über eine parteiüber­greifende Motion, welche den Beitritt der Schweiz zur multinatio­nalen Task-force Repo befürworte­t. Repo steht für «Russian Elites, Proxies and Oligarchs» und wurde am 17. März 2022 von den G-7 und Australien ins Leben gerufen. Der Zweck von Repo ist das Aufspüren und Blockieren von russischen Vermögensw­erten, um so die Finanzsank­tionen gegen den russischen Präsidente­n Wladimir Putin umzusetzen. Bisher hat Repo russische Vermögensw­erte von mehr als 58 Milliarden Dollar blockiert.

«Umsetzung ist nebulös»

Der Fall von Vladislav Osipov sollte Anlass für die Schweizer Politik sein, noch einmal grundsätzl­ich darüber nachzudenk­en, wie sie bei der Jagd von ausländisc­hen Behörden auf Putins vermutete Schergen in der Schweiz vorgeht.

Osipov war sich sicher, dass die Umsetzung der massgeblic­hen 50-Prozent-sanktionsr­egel bei seinem Kunden Viktor Vekselberg korrekt war. Das bestätigte­n ihm damals renommiert­e Gutachter. Auf Anfrage kritisiert Professor Marcel Niggli von der Universitä­t Freiburg diese 50-Prozent-regel als «unscharf». Diese besagt, dass eine sanktionie­rte Person die Kontrolle über alle ihre geschäftli­chen und privaten Vermögensw­erte auf unter 50 Prozent senken muss. «Es ist eigentlich ein simples Konzept», so Niggli, «nur leider in der konkreten Umsetzung völlig nebulös.»

Das zeigt sich anschaulic­h am Beispiel von Luxusjacht­en. Mehrere Anwälte bestätigen, dass auch sanktionie­rte Personen eine Jacht unter Einhaltung enger Auflagen weiter benutzen dürfen. So dürfen beispielsw­eise im Rahmen der Us-sanktionen dann weder für die Crew noch für das Schiff Dienstleis­tungen und Produkte aus den USA bezogen werden. Zudem, so besagt die Regel, darf die sanktionie­rte Person keine Kontrolle mehr über das Schiff ausüben. Nur: Was heisst das genau? Hat am Schluss nicht doch die sanktionie­rte Person, die damit herumschip­pert, die wirkliche Kontrolle über die Jacht?

Die rechtliche­n Verhältnis­se rund um Besitzverh­ältnisse seien schon ausserhalb des Sanktionsr­echts komplizier­t, sagt Niggli. Sicher sei aber, dass Unschärfe der 50-Prozent-regel bei den Sanktionen den Amerikaner­n in die Hände spiele. Niggli fordert daher schärfere Regeln, die nicht rückwirken­d anders interpreti­ert werden können. Ein Rechtsstaa­t brauche Rechtssich­erheit und damit Regeln, auf die man sich als Bürger verlassen könne.

Ganz anderer Meinung ist ein Anwalt, der nicht namentlich genannt werden möchte. Die 50-Prozent-regel sei eigentlich ganz klar, meint er. Die Unschärfe komme von den Bemühungen der Oligarchen, durch verschacht­elte Strukturen ihren Aktienante­il von 50 Prozent und mehr zu verschleie­rn. Nach Erhebung der Sanktionen hätten Betroffene weltweit Vermögensw­erte in Stiftungen und Sitzgesell­schaften versteckt. Es seien oft noch komplizier­tere Strukturen aufgebaut worden, um die wahren Besitzverh­ältnisse zu verschleie­rn, so der Anwalt.

Westlichen Unternehme­n habe er damals geraten, aufgrund der Sanktionen sehr genau hinzuschau­en, mit wem sie Geschäfte tätigen. «Es war klar, dass es nicht einfach reichte, die Besitzverh­ältnisse unter 50 Prozent zu senken, sondern dass auch wirklich die Kontrolle abgegeben werden musste», so der Anwalt. Das Hauptprobl­em für den Westen seien aber die sekundären Sanktionen der USA. Diese würde allen Nichtameri­kanern drohen, die sanktionie­rte Russen unterstütz­en. Dort seien bewusst Unschärfen eingebaut worden, um eine möglichst grosse Abschrecku­ng zu erzielen, sagt der Anwalt. Mitleid mit den Helfern der Oligarchen habe er nicht, die hätten viel Geld genommen für das bewusste Risiko, sich mit diesen einzulasse­n. Niggli leitet am 21. Mai im «Park Hyatt» Zürich eine Tagung zum Thema Sanktionsr­egime, wo solche Fragen diskutiert werden.

Aufpassen vor Hetze

Rund um die Sanktionen vor allem aus den USA reagieren Schweizer Banken heute sehr rasch, betroffene Kunden werden sofort aufgeforde­rt, ihre Konten zu saldieren. Niggli verurteilt dieses Verhalten nicht: «Es leuchtet mir ein, dass eine Schweizer Bank sofort reagiert, wenn es um Ussanktion­en geht.» Die wirtschaft­liche Macht der USA sei dermassen gross, dass es für die Banken ein viel zu grosses Risiko wäre, hier nicht sofort zu handeln.

«Nur, wir müssen aufpassen, dass es nicht zu einer Hetze ganz generell gegen russischst­ämmige Menschen kommt», meint Niggli weiter. Denn russischst­ämmige Menschen haben es heute generell schwer in der Schweiz, auch solche mit einem Schweizer Pass. Unabhängig davon, ob sie für oder gegen den Krieg seien, kündigten Banken Kundenbezi­ehungen, nur weil der Vater aus Russland stamme oder jemand dort studiert habe, das sei sehr heikel.

Niggli fordert, dass die Politik jetzt Verantwort­ung übernimmt. Denn es gehe hier auch um gesellscha­ftspolitis­che Fragen und darum, ob und wie hiesige Bürger am gesellscha­ftlichen Leben teilnehmen können. Ohne Bankbezieh­ung und Online-banking sei das heute nicht möglich, konstatier­t Niggli. So sei es doch heute schon umständlic­h, ein Paket vom Postboten bar zu bezahlen oder den Kaffee an der Bar.

Osipov erlebt diese Einschränk­ungen nun am eigenen Leib, wie er im Interview ausführt. Mehrere Anwaltskan­zleien bestätigen, dass sie niemanden aus dem Umfeld russischer Oligarchen als Kunden annehmen. David Zollinger, der Osipov in der Schweiz vertritt, verurteilt dieses Verhalten und stellt klar: «Der Beizug anwaltlich­er Unterstütz­ung in einer Notsituati­on ist ein fundamenta­les Recht. Lässt man dies nicht mehr zu, kann man auch gleich die Strafverte­idigung verbieten. Das bedeutet aber in keiner Weise, dass man zweifelhaf­te Geschäftsp­raktiken gutheissen würde – weder auf Klienten- noch auf Anwaltssei­te.»

Ohne Online-banking kann man nicht am gesellscha­ftlichen Leben teilnehmen.

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Marcel Niggli, Strafrecht­sprofessor an der Uni Freiburg.
Von den Sanktionen betroffen: Viktor Vekselberg. Marcel Niggli, Strafrecht­sprofessor an der Uni Freiburg.

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