Brexit-Abkommen: EU und Briten einigen sich
LONDON. Boris Johnson will mit seinem « great new deal» den geordneten Brexit möglich machen. Wie realistisch ist das?
Herr Legge, ist der Deal ein Durchbruch?
Es ist ein etwas bizarres Ergebnis, denn der vorliegende Deal unterscheidet sich nur wenig von dem, was bereits vor Jahren vorlag. Ich vermute, dass die Hardliner und Boris Johnson dem neuen Deal nur zustimmen, damit der Brexit auch wirklich vollzogen wird.
Was heisst es, wenn der Deal so durchkommt?
Damit fällt eine grosse Unsicherheit weg. Investitionen, die bisher zurückgehalten wurden, können wieder ins Land fliessen. Zweitens kann sich die Politik aus dem Bann des Brexit lösen und andere Probleme angehen: Infrastruktur, Gesundheitswesen oder wirtschaftliche Reformen zur Produktivitätssteigerung.
Wie kann Johnson den Deal durchbringen?
Dafür ist er auf jene 21 Konservativen (Tories) angewiesen, die wegen des Brexit bereits aus der Partei ausgetreten sind. Zudem braucht er die Unterstützung von Labour, falls die Nordiren wie angedeutet den Deal ablehnen. Es ist denkbar, dass die Zustimmung zum Deal noch an ein Referendum geknüpft wird. Ob eine solche Abstimmung noch vor dem 31. Oktober durchgeführt werden soll, ist allerdings fraglich.
Wird der Brexit ohne Einigung nochmals verschoben?
Die EU wird es nicht akzeptieren, wenn Johnson jetzt einen Rückzieher macht – eine weitere Verlängerung wird es kaum geben. Irgendwann reicht es der Europäischen Union auch, und sie wird einen Hard Brexit in Kauf nehmen.
Was bedeutet das für die Verhandlungen zum Rahmenabkommen mit der Schweiz?
Mit Grossbritannien verlieren wir einen Verbündeten, der für uns Verständnis zeigte. Die EU wird noch weniger zu Kompromissen bereit sein als bis anhin. Zwar ist die EU nicht mehr durch Brexit-Verhandlungen gebunden. Aber die Taktgeber Frankreich und Deutschland werden damit beschäftigt sein, die Union neu auszurichten. Stefan Legge ist Dozent für internationalen Handel und politische Ökonomie an der Universität St. Gallen.