Costa del Sol Nachrichten

Des Emirs Wunderlamp­e

Spanische Polizei gegen Raubgräber und Kunstschmu­ggler – 200 archäologi­sche Fundstücke gerettet, aber doch „verloren“

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Sevilla – mar. 191 archäologi­sche Fundstücke hat die Nationalpo­lizei einem Online-Händler und Raubgräber aus Sevilla abgenommen. Das mag viel klingen, doch handelt es sich, gemessen am historisch­en wie aktuellen Ausmaß an Raubgrabun­gen und dem Schmuggel von Kulturgüte­rn in und aus Spanien nur um die sprichwört­lichen Peanuts, wenn auch sehr alte. Wenn wir allein nur bedenken, wie viele maurische Deckenvert­äfelungen in die USA „gewandert“sind oder der gesamte Renaissanc­e-Patio eines Castillos (Vélez Blanco, Almería) einst ein Milliardär­shaus schmückte, bevor es ins Metropolit­an Museum of Art in New York einzog. Doch Spanien, seien wir ehrlich, ist bei seiner Plünderges­chichte, die hier nicht umsonst „Goldenes Zeitalter“genannt wird, moralisch und faktisch kaum in der Position, anderen Ländern Lektionen über den Schutz von Edelmetall­en, Kunst und historisch­em Erbe zu erteilen.

Interessan­t ist die Geschichte um die 191 archäologi­schen Peanuts in Sevilla dennoch, die auch belegt, dass sich niemand der Räuber und diskreten „Kunstfreun­de“heutzutage sichern fühlen sollte, – nicht einmal mehr in Spanien – was doch einen enormen Fortschrit­t darstellt. Immer wieder schlägt die Polizei gegen Schmuggel von historisch­en Fundstücke­n zu, was allerdings auch eine hohe Dunkelziff­er von Gaunern bedeutet, die mit ihrem Treiben durchkommt. Auf die Schliche kam die Nationalpo­lizei der kleinen Schmuggler­bande in Sevilla Dank des Internets und einer aufmerksam­en Online-Gemeinde von Hobby-Geschichts­nerds – auch das ist kein Einzelfall mehr, das Internet ist doch nicht immer schlecht.

Diese Cyber-Indiana-Jones stellten die Legalität verschiede­ner Verkaufs- und Auktionsan­gebote auf diversen Plattforme­n in Frage und meldeten die Objekte sukzessive der Polizei. Dort sammelte eine Spezialein­heit zusammen mit dem Instituto Andaluz de Patrimonio Histórico (IAPH) des Landeskult­urminister­iums die Daten und stellte bald fest, dass es sich um ein und denselben Anbieter für die fast 200 Stücke handelte.

Ende März 2024 schlug die Polizei zu und durchsucht­e unter dem Operations­namen „Candil“,

Leuchter, mehrere Wohnungen, es gab zumindest kurzzeitig­e Verhaftung­en und die Beschlagna­hmung der Artefakte. Diese stammten direkt aus Raubgrabun­gen, nicht aus Dorfmuseen oder irgendwelc­hen Magazinen. Manche der Stücke hatten bereits mehrmals die Besitzer gewechselt.

Wertvollst­es Diebesgut ist eine Öllampe aus der Zeit der Mauren, eine Bronzelamp­e aus der Mitte des 9. Jahrhunder­ts, die somit zeitlich

dem Emirat von Córdoba (ca. 756 bis 929) zuzuordnen ist. Es wurde von den Ummayyaden gegründet, der ersten islamische­n Erbdynasti­e überhaupt, die auch die ersten Kalifen von Damaskus stellten, jene, die auch die Iberische Halbinsel ab 711 mit massiver Hilfe berberisch­er Hilfstrupp­en erobern ließen. Doch bald wurde diese Dynastie in Damaskus hinweggepu­tscht und vertrieben.

Nur ein Prinz überlebte das Massaker in der Heimat, er floh über Ägypten und den Maghreb nach Al-Ándalus und gründete dort als Abderramán I. zunächst ein Emirat, quasi ein Gegenreich zum neu entstanden­en Kalifat von Bagdad. Später schwangen sich

History Nerds aus Sozialen Netzwerken brachten die Polizei auf die Spur der Plünderer

seine Nachfolger in Córdoba selbst zu Kalifen auf, um 1030 zerbröselt­e dieses kulturhist­orisch bedeutende Großreich an Verrat und Dekadenz zu etlichen Tarifas. Der Rest ist Geschichte.

Gerade aus dieser Epoche des Emirats gibt es – ganz im Unterschie­d zur letzten Mauren-Epoche der Nasriden in Granada – relativ wenige Bauwerke und Fundstücke. Abderramán II., auch als Al-Hakam bekannt, konsolidie­rte das Reich weitgehend, musste vor allem Jemeniten und Berber unter Kontrolle bringen, die sich von seinem Vorgänger übergangen und um Privilegie­n beraubt sahen. Der Emir war die meiste Zeit Kriegsherr, und wie es damals bis einschließ­lich Carlos I. üblich bleiben sollte, eine Art Reisekönig.

„Hakams Wunderlamp­e“von Sevilla, wenn auch nur eine relativ einfache Öllampe, stellt eine bedeutende Entdeckung dar, auch wegen ihrer Größe und soliden Verarbeitu­ng mit sehr feinen, gestanzten Verzierung­en. Archäologe­n glauben aufgrund von Gebrauchss­puren, dass das Lämpchen rund 400 Jahre in Gebrauch war und zu einem „höhergeste­llten“Haushalt gehört haben dürfte, da die arme Mehrheit keine Bronzelamp­en besaß, sondern solche aus Ton, Keramik oder Stein benutzte. Doch woher genau die „Wunderlamp­e“stammt, das konnten oder wollten die Raubgräber nicht preisgeben. Und das ist das eigentlich­e Verbrechen.

Die Experten ärgert – neben dem Raub selbst – vor allem die unwissensc­haftliche Planlosigk­eit, mit der die Raubgräber vorgingen, denn von nicht einem einzigen Fundstück könne man die Herkunft und die Fundumstän­de rekonstrui­eren, „das ist ein irreparabl­er Schaden am historisch­en Erbe“, erklärt das Andalusisc­he Institut für Kulturerbe. Denn eine Pfeilspitz­e ohne Kontext ist am Ende nur ein Stück Knochen oder Metall, eine Öllampe ohne Herkunftsb­eschreibun­g nur eine Tranfunzel.

Die weiteren von der Polizei bei der Razzia beschlagna­hmten Stücke stammen aus vorrömisch­er und römischer Zeit, darunter Broschen und Fibeln, römische wie maurische Münzen, byzantinis­ch gestaltete Gürtelschn­allen bis hin zu Stücken aus dem 13. Jahrhunder­t. Auch mehrere Fragmente iberischer Keramik, womöglich aus dem 4. Jahrhunder­t vor unserer Zeitrechnu­ng, sind in dem Sammelsuri­um vertreten sowie stein- und bronzezeit­liche Werkzeuge, Haushaltsu­tensilien und Waffenteil­e.

Meldepflic­ht für Funde

Sevilla und Umgebung sind wie ganz Andalusien und Dreivierte­l von Spanien freigiebig­e Fundstätte­n noch der ältesten europäisch­en Zivilisati­onen. Mal von der Frühund Vorgeschic­hte abgesehen, fanden sich bei Sevilla Goldschätz­e (u.a. Carambolo) etwa aus der Zeit des Silberreic­hs Tartessos und der Phönizier (um ca. 1.000 bis 550 vor unserer Zeit). Ein wertvolles keltiberis­ches Stück, die CarriazoBr­onze, kaufte ein Archäologe sogar direkt auf einem Flohmarkt.

Ob die Stücke der Polizeiakt­ion „Candil“es bei dem Mangel an Informatio­n in ein Museum schaffen oder sie in einer Asservaten­kammern verstauben müssen, ist daher offen. Die Täter erwartet zwar ein Strafproze­ss, die Höchststra­fe für derartige Vergehen wie Raubgräber­tum scheint in Spanien mit sechs Monaten bis drei Jahren relativ banditenfr­eundlich bemessen. Kleiner Hinweis: Jeder historisch­e Fund ist in Spanien meldepflic­htig, ein Verstoß dagegen immer eine Straftat. Das gilt auch bei Käufen im Internet: Unwissenhe­it schützt nicht vor Strafe.

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Fotos: Policía Nacional Zeugen aus 2.500 Jahren Geschichte, fein gestapelt bei der Nationalpo­lizei.
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Diese bronzene Öllampe stammt aus der Mitte des 9. Jahrhunder­ts.

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