Liebe Leser,
und schon rollt der Ball der ungewöhnlichen Fußball-EM „2020“. Vergangene Woche stellten wir im fußballkritischen Kommentar fest, dass bei allem Kommerz, aller Show das sportliche Herz tief verborgen immer noch schlägt. Aber wo genau? Nach den ersten Spielen der Europameisterschaft können wir es etwas besser sagen. Allem voran, das zeigte uns der Samstag, pocht das Herz dort, wo viele Spieler die Hand hinlegen, während ihre Nationalhymne erklingt: In der Brust.
Ein zartes Herz ist es. Auch wenn die Fußballer sich oft gottgleich geben. Christian Eriksen wäre fast auf dem Platz verstorben. Weil das Herz des Dänen plötzlich versagte. Ein dramatischer, prägender Moment war es, als die Mitspieler, fassungslos und unter Tränen, eine Wand bildeten, während die Rettungskräfte um das Leben des jungen Mannes kämpften.
Europa hielt den Atem an. Und feierte, als Eriksen sich meldete: Ihm gehe es gut. Was für eine Erleichterung, was für ein Glück. Für seine Familie. Für das Turnier. Aber auch für die Zuschauer, die sich dem mit dem Tod kämpfenden Kicker auf einmal ganz nah fühlten. Kann das Schicksal nicht in jeder Sekunde jeden von uns ereilen?
Ja, im Fußball steckt noch Leben, wenn man gut hinschaut. Oder hinhört. „We are the people“, der EM-Song, der ständig erklingt, besingt die Hoffnung auf eine Generation, die das Herz in der Brust des Mitmenschen stärker beachtet: „I feel your heart beatin‘ in my chest“. Diese Hoffnung tut gut, angesichts der Realität abseits des Fußballs, auch in Spanien.
An der Grenze bei Ceuta wurden kürzlich tausende Menschen als lebendiges Druckmittel der Politik missbraucht. Auf den Kanaren brachte ein Vater seine kleinen Töchter um, um sich an der Frau zu rächen.
So etwas verstört, beklemmt, entmutigt. Doch siehe da: Es geht auch anders. In Spanien sollen katalanische Separatisten begnadigt und aus der Haft befreit werden. Schön wäre noch, wenn das nicht aus politischem Kalkül erfolgte. Sondern aus Rücksicht darauf, dass in der Brust des anderen vielleicht eine andere Flagge weht, aber dasselbe Herz pocht.