Der spanische Ötzi
Die sensationellen Ausgrabungen der El-Argar-Kultur im andalusischen Galera – Ursprung reicht bis in die Kupferzeit
Ausgrabungen im andalusischen Galera bieten Einblicke in El-Argar-Kultur
Es ist immer wieder schön zu erleben, wie stolz die Spanier von ihren Kulturschätzen erzählen. So kam ich auf einer meiner Andalusienwanderungen mit einer liebenswerten Reisegruppe ins Gespräch, die mir von Ausgrabungen der El-Argar-Kultur und dem 3.500 Jahre alten „Hombre de Galera“erzählte. „Hombre de Galera“hörte sich für mich ein bisschen an wie „spanischer Ötzi“, der 5.000 Jahre alte Mann aus dem Eis, den man 1991 in den Ötztaler Alpen fand. Das machte mich neugierig. Recht fürsorglich meinten sie, wenn ich mich besser informieren wolle, müsste ich nach Galera fahren.
Der hübsche Ort liegt in der Provinz Granada auf 830 Metern Höhe und ist über die Ausfahrt 330 der Autobahn A-92 Murcia-Granada leicht zu erreichen. Umgeben von den Bergketten Sagra, Cazorla, Castril und Baza liegt er recht malerisch in einer fruchtbaren Ebene am Fluss Castillejar. Im Ortskern findet man etliche Höhlenhäuser, ein Museum, die zum kunsthistorischen Monument deklarierte Brücke Puente de Hierro sowie die Kirche Iglesia Parroquial de la Anunciación aus dem 16. Jahrhundert. Den Namen „Galera“ erhielt der Ort kurioserweise durch seine Orografie, die einem Schiff sehr ähnlich ist.
Galera besitzt sieben archäologische Ausgrabungsstätten, wobei mir als die interessanteste die der El-Argar-Kultur auf dem Castellón Alto erscheint. Diese Kultur, die sich etwa 1800 v. Chr. entwickelte und im Südosten von Spanien weit verbreitet war, hielt sich etwa 600 Jahre lang. Benannt wurde sie nach einer der Fundstätten, nämlich einer Höhlensiedlung bei Antas in der Provinz Almeria.
Der Ursprung der menschlichen Besiedlung dieses Ortes aber geht bis auf die Kupferzeit zurück. Nach dem Verschwinden der Argar-Kultur gründeten die Iberer in der Gegend um Galera die Stadt Tútugi, die man 1918 entdeckte und in der man 130 Grabhügel fand. Später wurde der Ort von den Römern und Westgoten besetzt. Durch die Lage im Grenzgebiet zwischen den Königreichen Granada und Murcia spielte Galera auch während der Maurenzeit eine tragende Rolle.
Bevor er im Jahre 1488 an die katholischen Könige fiel, gehörte er zum Königreich der Nasriden, einer muslimisch-maurischen Dynastie des Emirats von Granada. Im Jahre 1570, während des Moriskenaufstands, erlebte der Ort als Zentrum des Widerstandes gegen die christlichen Truppen schlimme Zeiten. Nach der Eroberung durch Juan de Austria wurden alle Einwohner hingerichtet und der Ort komplett entvölkert. Erst Ende des 16. Jahrhunderts konnte er durch Christen aus der Levante, Kastilien und La Mancha zu neuem Leben erweckt werden.
Aber an diese schlimmen Zeiten denkt heute kaum einer mehr. Bis zum Jahre 1983 träumte Galera mehr oder weniger im Dornröschenschlaf vor sich hin. Aber dann veränderte sich etwas im sonst so beschaulichen Leben des kleinen Ortes. Denn dann kamen die Archäologen, die schon länger in die-
ser Umgebung Spuren der ältesten andalusischen Kultur vermuteten. Und tatsächlich hatte man Glück, man grub und grub und fand am Berg Castellón Alto, etwa einen Kilometer von Galera entfernt, immer mehr Hinweise für eine Besiedlung der El Argar-Kultur.
Heute kann man diese hochinteressante Fundstätte in allen Einzelheiten besichtigen. Es ist die älteste prähistorische Fundstätte in Andalusien, die für das Publikum geöffnet ist.
Die sieben Wunder von Granada
Aber bis dahin war es noch ein weiter Weg. Dank der unermüdlichen Arbeit der Archäologen entdeckte man nach und nach immer mehr Fundstücke und konnte sich so schon bald ein ziemlich genaues Bild des damaligen Lebens machen. Als man im Jahre 2002 auch noch den „Hombre de Galera“fand, war das Glück der Archäologen vollkommen. Er gilt als die am besten konservierte Mumie aus dem prähistorischen Europa.
Ein Abbild des Ötzi? Irgendwie schon, nur dass er keine 5.000 Jahre, sondern „nur“3.500 Jahre vorweisen kann. Neben dem Männerkörper fand man Waffen und Keramikgefäße sowie die Mumie eines etwa vierjährigen Jungen, der sein Sohn gewesen sein könnte.
Dieser „spanische Ötzi-Fund“erregte großes Aufsehen. Inzwischen hatte man auch genügend Hinweise gesammelt, um die Besiedelung dieses Bergs ziemlich originalgetreu zu rekonstruieren. Dieses Bemühen wurde im Jahre 2005 mit dem Preis „Premio nacional de Conservación y Restauración“belohnt. Im Jahre 2008 wurde Castellón Alto zu einem der „Sieben Wunder von Granada“gewählt.
Fährt man nun durch den verwinkelten Ort Galera auf die Ausgrabungsstätte Castellón Alto zu, ist man sogleich überrascht von der strategisch günstigen Lage dieser Wohnsiedlung auf einem erst im letzten Moment einsehbaren Hügel.
Melden Sie sich im Informationsbüro neben dem großen Parkplatz an (bitte Öffnungszeiten beachten!) und kaufen Sie für einen kleinen Unkostenbeitrag Ihre Eintrittskarte. Die nette Señora wird Sie danach einladen, sich im Kinosaal einen Film über das Leben und Wirken dieser bronzezeitli- chen Vorfahren anzuschauen. Mit diesem Wissen ausgerüstet und sicherlich auch etwas von Neugier geplagt, nimmt man den kleinen Spaziergang auf den Berg gerne in Kauf. Schon unterwegs wird man mittels Infotafeln über etliche Details aufgeklärt.
Auf dem Hügel erwarten Sie ziemlich naturgetreue Nachbildungen der Häuser, welche rechteckig und mit zwei oder drei Zimmern ausgestattet waren. Es sollen hier 80 bis 100 Personen gelebt haben. Man erfährt von der Fremdenführerin, dass diese Kultur viel weiter entwickelt war, als man gemeinhin denkt. Denn schon damals beschäftigte man sich mit den astronomischen Phänomenen, was der Fund der mindestens 3.700 Jahre alten „Himmelsscheibe von Nebra“beweist (Unesco-Weltdokumentenerbe, gefunden in Deutschland). Auch weitreichende Handelsverbindungen mit dem östlichen Mittelmeer und Ägypten konnten aufgrund spezieller Funde nachgewiesen werden.
Relativ klein von Wuchs
Und wie in all diesen frühen Kulturen gab es auch hier Hierarchien, die streng eingehalten wurden. Man erfährt etwas über das Leben und Arbeiten der Bewohner, die relativ klein von Wuchs waren und im Durchschnitt nicht älter als 40 Jahre wurden. Sie stellten Waffen her, widmeten sich dem Getreideanbau, sie webten und töpferten. Sie besaßen Haustiere und gingen natürlich auf die Jagd. Die Kindersterblichkeit war hoch und den Toten, die allesamt innerhalb der Wohnhäuser in Grabkammern beerdigt wurden, gab man Waffen, Schmuck und Lebensmittel auf die lange Reise ins Jenseits mit.
Gespannt lauschen die Besucher den Ausführungen der freundlichen Señorita, deren Begeisterung über die sensationellen Funde man förmlich spürt. Sie wird nicht müde, alle Fragen zu beantworten, und meint, im Laufe der nächsten Zeit könnte man noch viele interessante Details entdecken, falls es einen Etat für dieses Stöbern in der Vorgeschichte Spaniens geben wird.
Um mit den Gedanken noch ein wenig in der Geschichte zu bleiben, würde sich ein Besuch im archäologischen Museum in Galera anbieten. Es ist im ehemaligen Kloster Convento de Cristo Rey untergebracht und wurde 2001 eröffnet. Hier werden Fundstücke aus allen geschichtlichen Entwicklungsperioden der Region aufbewahrt und ausgestellt.
Die ältesten Fundstücke sind ungefähr 4.500 Jahre alt und die jüngsten stammen aus dem Mittelalter. Das Museum zeigt Stücke aus der Kupferzeit, der El-Argar-Kultur, der Bronzezeit sowie aus den Siedlungen der Iberer, Römer, Westgoten und Mauren.
Diesen geschichtsträchtigen Tag könnte man mit einer Einkehr in einem der netten Restaurants beschließen, die allesamt regionale Spezialitäten anbieten. In der Umgebung von Galera laden auch etliche Hotels zum Übernachten ein.