Das unlesbare Buch
Der kleine spanische Verlag Siloé sichert sich das Recht am Voynich-Manuskript, das seit Jahrhunderten ein Rätsel bleibt
Auf fast alles gibt es heutzutage eine Antwort, doch manche Dinge weigern sich hartnäckig, von Technologie, Gelehrten oder Wissenschaftlern entschlüsselt zu werden. Dazu zählt bislang auch das geheimnisvolle Voynich-Manuskript im Bestand der Beinecke Rare Book and Manuscript Library der Yale University in den USA. Ein kleiner Verlag in Burgos hat es nun geschafft, das Recht auf eine Kopie an dem berühmt-berüchtigten Werk zu bekommen. Geplant sind 898 originalgetreue Faksimiles.
Entdeckt wurde das mysteriöse Manuskript, um das sich so viele Legenden ranken, erstmals wieder 1912 von dem Antiquar und Bü- chersammler Wilfrid Michael Voynich (1865-1930), nach dem später das Manuskript benannt wurde. Bei einer Italienreise erwarb er das eher unscheinbare Buch aus einem Jesuiten-Kolleg, der Villa Mondragone, in Frascati nahe Rom. Das Buch soll aus dem Nachlass des Jesuiten und Gelehrten Athanasius Kircher (16021680) stammen. Voynich selbst schwieg sich aus über den Herkunftsort des Schriftwerks. Er umschrieb ihn lediglich als „ein altes Schloss in Südeuropa“. Erst 30 Jahre nach seinem Tod sollte der genaue Fundort ans Licht kommen.
Ins Auge gefallen, so Voynich, sei ihm das Buch aufgrund seiner Einfachheit. „Es war ein so hässli- ches Entlein, verglichen mit den anderen, mit Gold und Farben reich verzierten Manuskripten, dass meine Neugier sogleich erregt war. Ich stellte fest, dass es voll- ständig in einer Geheimschrift geschrieben war. Dass ein Manuskript des 13. Jahrhunderts in Geheimschrift verfasst war, überzeugte mich von dessen außerordentlicher Bedeutung, da meines Wissens dergleichen in so früher Zeit nicht existierte, weshalb ich es den zu erwerbenden Manuskripten hinzufügte“, so Voynich.
Kein Titel, kein Autor
Der Einband ist aus dickem Pergament, es hat keinen Titel, und scheinbar ist kein Autor angegeben. Die Seitenmaße sind etwas ungewöhnlich: 22,5 mal 16 Zentimeter. Verständlich, dass das Buch Voynich sein ganzes Leben lang beschäftigt und in den Bann gezogen hat. Bis heute geht es vielen ähnlich: Kryptologen, Sprachfor-
Voynich selbst schwieg über den genauen Fundort des mysteriösen Buchs
scher, Experten, Computerspezialisten und Enthusiasten beißen bislang auf Granit beim Versuch, die Schrift, die Sprache und die vielen Illustrationen zu enträtseln. Es ist noch nicht einmal klar, ob es sich bei dem Text um einen Geheimcode handelt oder um eine unbekannte Sprache.
Das Manuskript besteht aus 236 Pergamentseiten und 170.000 Schriftzeichen ohne Korrekturen. Auf fast allen Seiten befinden sich bunte Illustrationen. Letztendlich wurden diese herangezogen, um das Buch in übersichtliche Sektionen einzuteilen: Pflanzen, Anatomie-Balneologie, Astronomie-Astrologie, Kosmologie, Pharmazie sowie Rezepte mit Schlüssel.
Weit gefehlt, wer denkt: „Ein Bild sagt mehr als 1.000 Worte.“So rätselhaft wie der Text sind auch die Zeichnungen. Keine der abgebildeten Pflanzen lässt sich eindeutig zuordnen. Es scheint, dass manche Pflanzenteile überdimensional dargestellt sind. Das lässt Experten vermuten, dass es primär darum ging, die medizinische Wirkungsweise hervorzuheben. Vielleicht auch deshalb die ausführliche astronomische und astrologische Sektion mit Sternen, Himmelskörpern und Tierkreiszeichen. Früher gehörten Medizin und Einfluss der Sterne untrennbar zueinander.
Aber auch hier gibt es Ungereimtheiten. Die Sternzeichenfolge beginnt im Skript mit dem Stern- zeichen Fisch statt mit dem Widder. Ebenfalls rätselhaft bleiben die vielen nackt badenden Frauen in der sogenannten balneologischen und anatomischen Sektion, die teilweise mit röhrenhaften Erscheinungen interagieren.
Dem Voynicht-Manuskript beigefügt war ein Brief des Philosophen und Naturwissenschaftlers Johannes Marcus Marci (15951667), gerichtet an den Gelehrten Athanasius Kircher, dessen Spezialgebiet die Kryptografie war. Darin bat er Kirchner um Hilfe, das Buch zu entschlüsseln. Zudem erwähnte er, dass Kaiser Rudolf II. (1552-1612), bekannt für seinen Hang zum Mysteriösen und seine Sammelwut, im Besitz des Manuskripts gewesen sei. Er soll es für die damals horrende Summe von 600 Dukaten einem unbekannten Händler abgekauft haben. Der Kaiser selbst vermutete, der franziskanische Universalgelehrte Roger Bacon (1220-1292), „Doctor Mirabilis“(lat. „wunderbarer Lehrer“) sei Autor des geheimnisvollen Werks.
Neben dem Brief machte Voynich noch eine weitere Entdeckung. Ausgekratzt auf der ersten Seiten des Manuskriptes vermochte er es, den Namen Jacobj a Tepenece zu entziffern. Jakub Horcicky de Tepenec (1575-1622) war einst der Hofpharmazeut Rudolfs II. Der Name lässt sich heute unter UVLicht lesen. Unweigerlich war dies eine Zeit lang der Grund zur Annahme, Tepenec könne der Verfasser des Manuskriptes gewesen sein. Jedoch grenzte eine Radiokarbonanalyse das Alter des Manuskripts auf den Zeitraum zwischen 1404 und 1438 ein.
Ein mittelalterliches Buch, das nicht entziffert werden kann, regt zu Spekulationen an: eine Alchemistenrezeptur für den sagenumworbenen Jungbrunnen oder gar der Schlüssel zum Stein der Weisen? Ein Geheimdokument über verbotenes Wissen, zu einer Zeit, als Alchemisten von der katholischen Kirche geächtet und verfolgt wurden? Eventuell nur das Werk eines schizophrenen Menschen oder Autisten? Sogar in Dan Browns Roman „Das verlorene Symbol“spielt der Text eine wichtige Rolle.
Als mögliche Verfasser werden neben dem Universalgelehrten Roger Bacon und dem Heilpflanzenkundigen Tepenec unter anderem Leonardo Da Vinci, der Alchemist und Arzt Paracelsus und der Abenteurer Edward Kelley genannt.
Seit 1969 lagert das Manuskript nun im klimatisierten Tresor der nordamerikanischen Yale-Universität, wo es zum Bestand der Beinecke Rare Book & Manuscript Library gehört. Nur wenige Male wurde es bislang herausgeholt, obwohl es an Anfragen keineswegs fehlt. Und jetzt ist es wieder so weit. Der kleine Verlag Siloé in Burgos hat die Erlaubnis bekommen, 898 Faksimiles des rätselhaftesten Buches der Welt detailgetreu anzufertigen und diese zu verkaufen. Medienberichten zufolge soll ein Exemplar um die 7.000 Euro kosten.
„Für meinen Partner Pablo Molinero und für mich ist jede Faksimile-Ausgabe wie ein Kind: zahl- reiche Reisen, um Proben abzugleichen und sich mit dem Original vertraut zu machen. Manchmal vergehen zwei, drei bis vier intensive, recht aufwühlende Arbeitsjahre“, erzählt Siloé-Direktor Juan José García Gil, der übrigens ein bekennender Deutschlandfan ist und in den 80er Jahren in Lübeck gewohnt hat.
20 Jahre ist der kleine Verlag nun schon in der Faksimilierkunst tätig. „Wir haben originalgetreue Kopien von Büchern aus Nationalbibliotheken Spaniens, Frankreichs und Österreichs angefertigt, aus den Bibliotheken von Westminster Abbey und Genf, aus der Corsiniana in Rom. Dass wir unter so vielen Bewerbern, die das VoynichManuskript replizieren wollten, von der Beinecke Library aus Yale ausgesucht worden sind, ist eine grandiose Wertschätzung unserer Arbeit und unseres Werdegangs.“
Die Faksimilierung ist eine hohe Kunst, bei der laut Juan José García, „weder Kosten noch Mühe gescheut werden dürfen“. Als erstes werden hochauflösende Fotos der Blätter, aller Details sowie des gesamten Werkes gemacht. Das Werk wird gründlich inspiziert, um genauestens Herstellung, Vorbereitung und Abläufe bestimmen und planen zu können. Sorgfältige Arbeit am Vordruck, Druck, der Buchbindung sowie Alterung sind unerlässlich. Wie der Alterungsprozess vonstatten geht, bleibt aber ein Verlagsgeheimnis.
Was denkt nun jemand, der professionell mit antiquarischen Büchern und Meisterwerken des Altertums zu tun hat, über die Herkunft des Voynich Dokuments? „Eigentlich bin nicht ich es, als einfacher Beauftragter, eine gute Kopie von diesem wunderbaren Rätsel anzufertigen, dem es zusteht, eine wissenschaftliche Theorie abzugeben. Aber um keine Antwort schuldig zu bleiben, würde ich sagen, ist es vermutlich ein Sadist gegen die künftige Menschheit gewesen, der sein Geheimnis mit ins Grab genommen und uns zur ewigen Ungewissheit verdammt hat“, sagt García-Gil.
Die Theorie, es sei das JugendWerk Da Vincis klingt für den Verlagsdirektor plausibel. Am besten aber findet er folgende Vorstellung: „Meine wahnwitzige Lieblings-Hypothese wäre: ein weibliches Wesen von einem anderen Sternensystem, in einem Kloster aufgenommen, mit Zugang zu ihrem Skriptum, beschreibt die Flora ihres Planeten Amazonia und stirbt in der Verschwiegenheit der Zellenwände.“
Keine der abgebildeten Pflanzen lässt sich bis heute eindeutig identifizieren Ist das Buch eine Alchemistenrezeptur für den sagenumwobenen Jungbrunnen?