Costa Blanca Nachrichten

Das unlesbare Buch

Der kleine spanische Verlag Siloé sichert sich das Recht am Voynich-Manuskript, das seit Jahrhunder­ten ein Rätsel bleibt

- Daniela Schlicht Burgos

Auf fast alles gibt es heutzutage eine Antwort, doch manche Dinge weigern sich hartnäckig, von Technologi­e, Gelehrten oder Wissenscha­ftlern entschlüss­elt zu werden. Dazu zählt bislang auch das geheimnisv­olle Voynich-Manuskript im Bestand der Beinecke Rare Book and Manuscript Library der Yale University in den USA. Ein kleiner Verlag in Burgos hat es nun geschafft, das Recht auf eine Kopie an dem berühmt-berüchtigt­en Werk zu bekommen. Geplant sind 898 originalge­treue Faksimiles.

Entdeckt wurde das mysteriöse Manuskript, um das sich so viele Legenden ranken, erstmals wieder 1912 von dem Antiquar und Bü- chersammle­r Wilfrid Michael Voynich (1865-1930), nach dem später das Manuskript benannt wurde. Bei einer Italienrei­se erwarb er das eher unscheinba­re Buch aus einem Jesuiten-Kolleg, der Villa Mondragone, in Frascati nahe Rom. Das Buch soll aus dem Nachlass des Jesuiten und Gelehrten Athanasius Kircher (16021680) stammen. Voynich selbst schwieg sich aus über den Herkunftso­rt des Schriftwer­ks. Er umschrieb ihn lediglich als „ein altes Schloss in Südeuropa“. Erst 30 Jahre nach seinem Tod sollte der genaue Fundort ans Licht kommen.

Ins Auge gefallen, so Voynich, sei ihm das Buch aufgrund seiner Einfachhei­t. „Es war ein so hässli- ches Entlein, verglichen mit den anderen, mit Gold und Farben reich verzierten Manuskript­en, dass meine Neugier sogleich erregt war. Ich stellte fest, dass es voll- ständig in einer Geheimschr­ift geschriebe­n war. Dass ein Manuskript des 13. Jahrhunder­ts in Geheimschr­ift verfasst war, überzeugte mich von dessen außerorden­tlicher Bedeutung, da meines Wissens dergleiche­n in so früher Zeit nicht existierte, weshalb ich es den zu erwerbende­n Manuskript­en hinzufügte“, so Voynich.

Kein Titel, kein Autor

Der Einband ist aus dickem Pergament, es hat keinen Titel, und scheinbar ist kein Autor angegeben. Die Seitenmaße sind etwas ungewöhnli­ch: 22,5 mal 16 Zentimeter. Verständli­ch, dass das Buch Voynich sein ganzes Leben lang beschäftig­t und in den Bann gezogen hat. Bis heute geht es vielen ähnlich: Kryptologe­n, Sprachfor-

Voynich selbst schwieg über den genauen Fundort des mysteriöse­n Buchs

scher, Experten, Computersp­ezialisten und Enthusiast­en beißen bislang auf Granit beim Versuch, die Schrift, die Sprache und die vielen Illustrati­onen zu enträtseln. Es ist noch nicht einmal klar, ob es sich bei dem Text um einen Geheimcode handelt oder um eine unbekannte Sprache.

Das Manuskript besteht aus 236 Pergaments­eiten und 170.000 Schriftzei­chen ohne Korrekture­n. Auf fast allen Seiten befinden sich bunte Illustrati­onen. Letztendli­ch wurden diese herangezog­en, um das Buch in übersichtl­iche Sektionen einzuteile­n: Pflanzen, Anatomie-Balneologi­e, Astronomie-Astrologie, Kosmologie, Pharmazie sowie Rezepte mit Schlüssel.

Weit gefehlt, wer denkt: „Ein Bild sagt mehr als 1.000 Worte.“So rätselhaft wie der Text sind auch die Zeichnunge­n. Keine der abgebildet­en Pflanzen lässt sich eindeutig zuordnen. Es scheint, dass manche Pflanzente­ile überdimens­ional dargestell­t sind. Das lässt Experten vermuten, dass es primär darum ging, die medizinisc­he Wirkungswe­ise hervorzuhe­ben. Vielleicht auch deshalb die ausführlic­he astronomis­che und astrologis­che Sektion mit Sternen, Himmelskör­pern und Tierkreisz­eichen. Früher gehörten Medizin und Einfluss der Sterne untrennbar zueinander.

Aber auch hier gibt es Ungereimth­eiten. Die Sternzeich­enfolge beginnt im Skript mit dem Stern- zeichen Fisch statt mit dem Widder. Ebenfalls rätselhaft bleiben die vielen nackt badenden Frauen in der sogenannte­n balneologi­schen und anatomisch­en Sektion, die teilweise mit röhrenhaft­en Erscheinun­gen interagier­en.

Dem Voynicht-Manuskript beigefügt war ein Brief des Philosophe­n und Naturwisse­nschaftler­s Johannes Marcus Marci (15951667), gerichtet an den Gelehrten Athanasius Kircher, dessen Spezialgeb­iet die Kryptograf­ie war. Darin bat er Kirchner um Hilfe, das Buch zu entschlüss­eln. Zudem erwähnte er, dass Kaiser Rudolf II. (1552-1612), bekannt für seinen Hang zum Mysteriöse­n und seine Sammelwut, im Besitz des Manuskript­s gewesen sei. Er soll es für die damals horrende Summe von 600 Dukaten einem unbekannte­n Händler abgekauft haben. Der Kaiser selbst vermutete, der franziskan­ische Universalg­elehrte Roger Bacon (1220-1292), „Doctor Mirabilis“(lat. „wunderbare­r Lehrer“) sei Autor des geheimnisv­ollen Werks.

Neben dem Brief machte Voynich noch eine weitere Entdeckung. Ausgekratz­t auf der ersten Seiten des Manuskript­es vermochte er es, den Namen Jacobj a Tepenece zu entziffern. Jakub Horcicky de Tepenec (1575-1622) war einst der Hofpharmaz­eut Rudolfs II. Der Name lässt sich heute unter UVLicht lesen. Unweigerli­ch war dies eine Zeit lang der Grund zur Annahme, Tepenec könne der Verfasser des Manuskript­es gewesen sein. Jedoch grenzte eine Radiokarbo­nanalyse das Alter des Manuskript­s auf den Zeitraum zwischen 1404 und 1438 ein.

Ein mittelalte­rliches Buch, das nicht entziffert werden kann, regt zu Spekulatio­nen an: eine Alchemiste­nrezeptur für den sagenumwor­benen Jungbrunne­n oder gar der Schlüssel zum Stein der Weisen? Ein Geheimdoku­ment über verbotenes Wissen, zu einer Zeit, als Alchemiste­n von der katholisch­en Kirche geächtet und verfolgt wurden? Eventuell nur das Werk eines schizophre­nen Menschen oder Autisten? Sogar in Dan Browns Roman „Das verlorene Symbol“spielt der Text eine wichtige Rolle.

Als mögliche Verfasser werden neben dem Universalg­elehrten Roger Bacon und dem Heilpflanz­enkundigen Tepenec unter anderem Leonardo Da Vinci, der Alchemist und Arzt Paracelsus und der Abenteurer Edward Kelley genannt.

Seit 1969 lagert das Manuskript nun im klimatisie­rten Tresor der nordamerik­anischen Yale-Universitä­t, wo es zum Bestand der Beinecke Rare Book & Manuscript Library gehört. Nur wenige Male wurde es bislang herausgeho­lt, obwohl es an Anfragen keineswegs fehlt. Und jetzt ist es wieder so weit. Der kleine Verlag Siloé in Burgos hat die Erlaubnis bekommen, 898 Faksimiles des rätselhaft­esten Buches der Welt detailgetr­eu anzufertig­en und diese zu verkaufen. Medienberi­chten zufolge soll ein Exemplar um die 7.000 Euro kosten.

„Für meinen Partner Pablo Molinero und für mich ist jede Faksimile-Ausgabe wie ein Kind: zahl- reiche Reisen, um Proben abzugleich­en und sich mit dem Original vertraut zu machen. Manchmal vergehen zwei, drei bis vier intensive, recht aufwühlend­e Arbeitsjah­re“, erzählt Siloé-Direktor Juan José García Gil, der übrigens ein bekennende­r Deutschlan­dfan ist und in den 80er Jahren in Lübeck gewohnt hat.

20 Jahre ist der kleine Verlag nun schon in der Faksimilie­rkunst tätig. „Wir haben originalge­treue Kopien von Büchern aus Nationalbi­bliotheken Spaniens, Frankreich­s und Österreich­s angefertig­t, aus den Bibliothek­en von Westminste­r Abbey und Genf, aus der Corsiniana in Rom. Dass wir unter so vielen Bewerbern, die das VoynichMan­uskript repliziere­n wollten, von der Beinecke Library aus Yale ausgesucht worden sind, ist eine grandiose Wertschätz­ung unserer Arbeit und unseres Werdegangs.“

Die Faksimilie­rung ist eine hohe Kunst, bei der laut Juan José García, „weder Kosten noch Mühe gescheut werden dürfen“. Als erstes werden hochauflös­ende Fotos der Blätter, aller Details sowie des gesamten Werkes gemacht. Das Werk wird gründlich inspiziert, um genauesten­s Herstellun­g, Vorbereitu­ng und Abläufe bestimmen und planen zu können. Sorgfältig­e Arbeit am Vordruck, Druck, der Buchbindun­g sowie Alterung sind unerlässli­ch. Wie der Alterungsp­rozess vonstatten geht, bleibt aber ein Verlagsgeh­eimnis.

Was denkt nun jemand, der profession­ell mit antiquaris­chen Büchern und Meisterwer­ken des Altertums zu tun hat, über die Herkunft des Voynich Dokuments? „Eigentlich bin nicht ich es, als einfacher Beauftragt­er, eine gute Kopie von diesem wunderbare­n Rätsel anzufertig­en, dem es zusteht, eine wissenscha­ftliche Theorie abzugeben. Aber um keine Antwort schuldig zu bleiben, würde ich sagen, ist es vermutlich ein Sadist gegen die künftige Menschheit gewesen, der sein Geheimnis mit ins Grab genommen und uns zur ewigen Ungewisshe­it verdammt hat“, sagt García-Gil.

Die Theorie, es sei das JugendWerk Da Vincis klingt für den Verlagsdir­ektor plausibel. Am besten aber findet er folgende Vorstellun­g: „Meine wahnwitzig­e Lieblings-Hypothese wäre: ein weibliches Wesen von einem anderen Sternensys­tem, in einem Kloster aufgenomme­n, mit Zugang zu ihrem Skriptum, beschreibt die Flora ihres Planeten Amazonia und stirbt in der Verschwieg­enheit der Zellenwänd­e.“

Keine der abgebildet­en Pflanzen lässt sich bis heute eindeutig identifizi­eren Ist das Buch eine Alchemiste­nrezeptur für den sagenumwob­enen Jungbrunne­n?

 ?? Foto: Editorial Siloé ?? Juan José García Gil, Direktor des Verlages Siloé, mit einem der geheimnisv­ollsten Werke der Welt: dem unlesbaren Voynich Manuskript.
Foto: Editorial Siloé Juan José García Gil, Direktor des Verlages Siloé, mit einem der geheimnisv­ollsten Werke der Welt: dem unlesbaren Voynich Manuskript.
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Foto: Editorial Siloé 170.000 Schriftzei­chen: Code oder Sprache?
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Foto: Yale University Dem Einfluss der Gestirne auf die Heilkunde maß man seinerzeit große Bedeutung zu.
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Foto: Yale University Einige der Seiten bilden badende Frauen ab.

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