Halbes Leben auf dem Mittelmeer
Britisches Ehepaar war jahrelang mit selbst gebautem Segelboot unterwegs, bis es in Alicante landete
Calp – ms. David Charles Lewis lächelt. Mit zittrigen Händen blättert er einen Stapel verblichener Fotos durch. Auf dem Tisch im Aufenthaltsraum der Calper Seniorenresidenz Colina Club liegen Dutzende davon. Der 87-Jährige ist auf der Suche nach einem ganz bestimmten Bild. Schließlich dreht er ein Foto um und wird fündig – „Rami III, Alicante“hat jemand mit blauem Kuli auf die Rückseite gekritzelt. Das Boot, das auf dem Foto zu sehen ist, ist Lewis’ ganzer Stolz. Er hat es in den 70er Jahren mit seiner Frau Joan selbst gebaut.
Der britische Beamte und die Sekretärin hegten damals den Traum, das normale Leben in England hinter sich zu lassen und mit ihrem eigenen Segelschiff das Mittelmeer zu durchqueren. David Lewis schwelgt gerne in den gemeinsamen Erinnerungen. Besonders, seit seine Frau nicht mehr lebt. Joan starb im Mai 2014. Seitdem wohnt Lewis in der Seniorenresidenz in Calps Urbanisation Colina del Sol. In den 70ern begann das Ehepaar Lewis damit, den hölzernen Schiffskorpus im heimischen Wohnzimmer im britischen Horsham zu entwerfen. Das Zimmer maß in der Länge zwölf Meter, „also durfte die Rami eben nur 41 Fuß lang werden“, erklärt Lewis lachend. Als der künftige Segler zu hoch für das Wohnzimmer wurde, verlegten die Lewis die Werkstatt kurzerhand nach draußen in den Garten.
Um das Boot möglichst leicht zu halten, ließ sich das Ehepaar eine Technik einfallen, die viele Schiffsbauer später kopierten: In einer Fabrik ließen sie Schaumstoff anfertigen. „Der kostete fast nichts, war ohne große körperliche Anstrengung zu verbauen und sorgte dafür, dass das Boot super schwamm“, erklärt Lewis. Insgesamt vier Schiffe baute das Ehe- paar, „manche waren so leicht, dass wir sie nachträglich künstlich beschweren mussten“, so der Brite. Einige waren dem erfahrenen Segler zu schnell, er verkaufte sie. Mit der „Rami III“stach das Ehepaar Lewis schließlich 1977 in See. Von den britischen Inseln ging es über den Atlantik in den Süden – ganz ohne GPS. „Uns kam das damals nicht gefährlich vor, wir waren ja jung“, sagt Lewis und lächelt.
Im Golf von Biskaya kamen die Abenteurer trotzdem in einen Sturm, der Mast splitterte, Joan verletzte sich dabei den linken Daumen. Sie hielt bis zum nächsten Hafen durch, aber der Finger war nicht mehr zu retten. Die begeisterte Gitarristin musste lernen, ihr Instrument auf Links zu spielen. Wenn sie an Land kamen, gab sie Gitarrenunterricht. David half an den Häfen aus.
Schließlich landeten David und Joan Lewis in Alicante. Weil der Hafen dort gebührenfrei war. Außerdem sprach Joan ein bisschen Spanisch. „Sie war die Intelligente von uns beiden“, sagt David und grinst verschmitzt. Von den Wolkenkratzern in Benidorm und Calp war da noch nichts zu ahnen, erklärt der 87-Jährige. „Die ersten Menschen, die wir auf spanischem Festland trafen, waren Flüchtlinge aus Nordafrika. „Mir wurde klar, wie wichtig das Meer als Verbindung zwischen den Kontinenten ist.“
Nach 16 Jahren Rundreise durchs Mittelmeer sehnten sich die Segler nach einem Leben an Land. „Wir waren zu alt dafür geworden“, sagt Lewis. Das Paar kaufte sich ein renoviertes Haus in Alicantes Altstadtviertel Santa Cruz und verkaufte die „Rami III“an einen deutschen Segler. „Am meisten vermisse ich heute die Gemeinschaft an Bord“, sagt Lewis etwas wehmütig. Dass er in seinem 87-jährigen Leben allerdings mehr erlebt hat, als die meisten seiner Nachbarn in der Residenz, ist ihm mehr als bewusst. Besuch bekommt er regelmäßig von Nichte Helene Parker, die noch immer so gerne den Seefahrergeschichten ihres Onkels zuhört.