Gemeinnützige Vereine funktionieren nicht wie Wirtschaftsunternehmen
Warum nicht die Verwaltungsräte von gemeinnützigen Vereinigungen an der Krise der Freiwilligenarbeit schuld sind, sondern deren rechtlicher Rahmen, erklärt von Gastautor Romain Biever
Die Rufe nach einer Professionalisierung von Verwaltungsräten werden immer lauter. Gemeint sind die Verwaltungsräte von Verantwortung übernehmenden Bürgern in Vereinigungen wie ASBLs, Mutuellen oder anderen nicht privatwirtschaftlichen Institutionen. Diese Forderungen, die Vorzugsweise aus der Ecke der Privatwirtschaft kommen, aber auch von verschiedenen öffentlichen Verwaltungen vorgebracht werden, entwickeln seit einigen Jahren einen immer stärker maßregelnden Charakter.
Aktuelle Beispiele, welche belegen sollen, dass die jetzigen Verantwortlichen dieser Aufgabe nicht gewachsen sind, sind die rezent in die Schlagzeilen geratenen Organisationen wie Benu-Village, Proactif, die CMCM, das LNS, das CDMH oder das Jugendhaus in Lasauvage. Gefordert wird, dass diese Institutionen mit ihrem spezifisch auf den sozialen Zusammenhalt abzielenden Aktivitäten nach einem für die Privatwirtschaft geltenden Organisationsmodell funktionieren sollen. Beide Modelle sind aber grundverschieden und bedürfen eigener, für sie geltenden, Rahmenbedingungen.
Vornehmlich der sogenannte „Return on Invest“hat dann eine ganz andere Bedeutung. Er ist nicht finanziell, sondern er misst sich mit den Instrumenten einer auf den Werten der Demokratie aufgebauten Analyse des sozialen Zusammenhalts. Das Ziel, welches sie verfolgen, ein ganz anderes als einem finanziell-profitablen Ergebnis aus einer ökonomischen Aktivität hinterherzuhecheln. Die „gutgemeinten“Ratschläge aus der Privatwirtschaft sowie die Bevormundung der öffentlichen Verwaltungen sind somit zumindest fragwürdig.
Diese uneigennützigen Institutionen brauchen ihren eigenen rechtlichen Rahmen, der ihnen die Möglichkeit gibt, Rechenschaft abzulegen. Die Messbarkeit der Leistung dieser Institutionen ist also nicht nur mit finanztechnischen Methoden zu erfassen. Aber gerade das ist aktuell die Forderung von den Leuten, welche immer weniger vom Kuchen teilen wollen und alles, aber auch alles, dem Diktat des kapitalistischen Handelns, sprich der Kommerzialisierung unterordnen wollen. Es ist festzustellen, dass hierbei die öffentlichen Verwaltungen seit geraumer Zeit immer strammer mitziehen.
Wer will denn, dass solch elementare, den sozialen Zusammenhalt betreffenden Bereiche, wie das Soziale, die Gesundheit, die Pflege, der Sport, die Kultur, das solidarische Wirtschaften, kurz das Prinzip der Gegenseitigkeit in unserer Gesellschaft, abgeschafft werden? Das neoliberale Credo bemühend, sagte in den
achtziger Jahren Margaret Thatcher dazu: „There is no alternative.“Wohin das führen kann, kann man hier und heute feststellen.
Neue Gesellschaftsform führt zu „ungesundem Abhängigkeitsverhältnis“
Um auf die aktuelle Situation in Luxemburg zurückzukommen, sind es einige rezente, oben erwähnte Beispiele, die uns Aufklärung über diese schleichende Entwicklung gewähren können.
Da wären zuerst einmal die ASBL’s, die in das Kreuzfeuer der Kritik der Befürworter des „freien Marktes“genommen werden, also die Institutionen, welche ohne Gewinnzweck arbeiten. Ein gutes Beispiel dafür ist der Fall der Vereinigung Proactif, die dazu gezwungen wurde, sich als ASBL zu einer SIS (Société d’Impact Sociétal) umzuwandeln (1). Der damalige Direktor wollte sich an die vorgegebenen neuen gesetzlichen Verpflichtungen halten. Die Protagonisten im Verwaltungsrat der Vereinigung aber wollten ihre von Gegenseitigkeit geleiteten Ideale beibehalten (2).
Grund für diese Misere ist das 2017 eingeführte Gesetz für eine neue Gesellschaftsform, der SIS. Ziel dieses Unterfangens war es, den Vereinigungen eine kommerzielle Haube überzustülpen. Im gleichen Atemzug wurde von der damaligen Regierung das Gesetz zur Optimierung der ASBLs gehandhabt. Heraus kam, dass die ASBLs vorrangig auf ihre finanzielle „Performance“hin wahrgenommen werden und dafür das Kriterium ihrer „to
lerierten geschäftlichen“Handlungen herangezogen wird.
Das angestrebte Zusammenspiel dieser beiden Gesetze ist ein „non sens“. Denn durch die finanztechnische Gewichtung in den Verträgen der Verwaltungen mit den Vereinigungen, entsteht dadurch ein ungesundes Abhängigkeitsverhältnis zwischen beiden Partnern. Dem eigentlichen Auftrag wird dadurch zwangsläufig immer weniger Rechnung getragen. Ein Wuseln also in einem halblegalen Raum, in dem die Interpretationshoheit letztendlich ganz auf der Seite der öffentlichen Verwaltungen bleibt. Steht dieser Sachverhalt für Ordnung und Transparenz? Kafka lässt grüßen.
Auch Verwaltungsräte aus der Privatwirtschaft kämpfen mit Skandalen
Zu fragen wäre in diesem Kontext auch, inwiefern sich die Kritik an den Vereinigungen von privatwirtschaftlicher Seite als fundiert erweist. „In allen Bereichen, in die öffentliche Gelder fließen, brauchen wir Standards, Kompetenz, Professionalismus, Unabhängigkeit. Dazu brauchen wir keine neuen gesetzlichen Regeln, sondern wir müssen die bekannten Governance-Regeln anwenden“(3). Mit dieser Aussage des ehemaligen Direktors der SNCI, Marc Niederkorn, entsteht durchaus der Eindruck, dass die Privatwirtschaftler an den Trögen der Subventionen der Vereinigungen interessiert sind.
Ist also der erhobene Zeigefinger berechtigt, wenn man von Inkompetenz der Verwaltungsräte der Vereinigungen redet? Man sollte sich vielleicht an die eigene Nase fassen, um diesbezüglich festzustellen, dass in dieser Hinsicht die rezenten Beispiele von Cum-Ex bis hin zu Pim Knaff, absolut aussagekräftig sind.
Wenn auf politischer Ebene so weiter agiert wird und den Bürgern, die sich engagieren wollen, die Freiheit genommen wird, zusammen mit anderen dem sozialen Zusammenhalt zu dienen, dann spre
chen wir auch über den Verlust einer möglichen Identitätsfindung eines jeden Einzelnen. Im Kontext einer „eigenen Identität in der Gesellschaft“, ist es aber vor allem die Möglichkeit des solidarischen Handelns, welche den Bürgern erlaubt, Anerkennung zu erfahren (4).
Es wäre fatal, durch die Unterwanderung des hier diskutierten Solidaritätsprinzips den Rechtsextremen das Feld um die Identitätsproblematik zu überlassen.
Es wäre fatal, durch die Unterwanderung des hier diskutierten Solidaritätsprinzips den Rechtsextremen das Feld um die Identitätsproblematik zu überlassen.
* Der Autor ist Präsident des Institut Luxembourgeois de l’Economie Solidaire (ILES)
(1) Zitat aus einem Interview von Ex-Proactif-Direktor François Georges mit dem „Luxemburger Wort“: „Proactif hat ein ernstes Governance-Problem. Es ist entstanden, nachdem der frühere Arbeitsminister Dan Kersch beschlossen hatte, Proactif in eine SIS umzuwandeln.“
(2) Zitat von Patrick Dury aus seiner Rede zum Tag der Arbeit am 1. Mai 2024: „Es ist ein Witz, dass der Ex-Direktor den Verein als Kapitalgesellschaft bezeichnen und auch so handeln wollte.“
(3) Zitat von Marc Niederkorn, ehemaliger Direktor der SNCI, aus einem Interview mit dem „Luxemburger Wort“: Proactif, CMCM und Staatslabor nur die Spitze des Eisbergs?
(4) Axel Honneth: Kampf um Anerkennung, 1992 im Suhrkamp Verlag erschienen.
Diese uneigennützigen Institutionen brauchen ihren eigenen rechtlichen Rahmen, der ihnen die Möglichkeit gibt, Rechenschaft abzulegen.