Luxemburger Wort

Netanjahu darf damit nicht durchkomme­n

- Michael Merten

In dem an Krisen nicht armen Staat Israel gilt derzeit Alarmstufe Rot. Dringliche­r könnten die Mahner kaum noch warnen, dass das Land an einem Abgrund steht und abzustürze­n droht. Kein Geringerer als Präsident Isaac Herzog warnte jüngst sogar vor einem „verfassung­srechtlich­en und sozialen Zusammenbr­uch“des Landes. Medial überschatt­et vom russischen Angriffskr­ieg auf die Ukraine droht die Lage im Heiligen Land mit seiner unheilvoll­en Regierung vollends abzugleite­n – und ein jahrzehnte­alter weltpoliti­scher Konflikthe­rd wieder hochzukoch­en.

Auf dem Spiel steht nichts Geringeres als die freiheitli­che Grundstruk­tur Israels. Der Staat war über Jahrzehnte nicht nur der Zufluchtso­rt von Jüdinnen und Juden aus der ganzen Welt, sondern auch ein demokratis­cher Leuchtturm inmitten eines Meeres aus mehr oder weniger autoritär geführten Nachbarsta­aten. Und dies, obwohl es erhebliche gesellscha­ftliche Spannungen zwischen ultrakonse­rvativen Juden und der eher weltlichen Bevölkerun­g gibt, die in der Mehrheit einfach nur ein normales Leben führen möchte.

Die gute Nachricht ist, dass die Zivilbevöl­kerung trotz dieser Spannungen noch wehrhaft ist. Seit Monaten gehen Hunderttau­sende Menschen auf die Straße, wie auch an diesem Samstag, als in Jerusalem, Tel Aviv, Haifa, Beerscheva und anderen Städten Massenprot­este stattfande­n gegen die gefährlich­en Pläne der rechts-religiösen Regierung, das Justizsyst­em im Land gezielt zu schwächen.

Unter anderem soll dem Parlament ermöglicht werden, mit einer einfachen Mehrheit Entscheidu­ngen des höchsten Gerichts aufzuheben. Politiker sollen außerdem bei der Ernennung von Richtern mehr Einfluss erhalten. An diesem Montag ist die erste Lesung im Parlament vorgesehen; nach drei Lesungen wäre die Gesetzesän­derung beschlosse­n.

2021 keimte Hoffnung auf, als ein breites Parteienbü­ndnis Netanjahu ablöste. Doch seit Ende 2022 ist der Rechtspopu­list trotz laufender Korruption­sprozesse wieder an der Macht – und im Bündnis mit rechtsradi­kalen Partnern sägt er nun an den demokratis­chen Grundpfeil­ern. Es bleibt zu hoffen, dass die Massenprot­este noch zu einem Einlenken der Regierung führen.

Doch selbst wenn Netanjahu von seinem Angriff auf die Gewaltente­ilung abzubringe­n wäre, sollte man sich keine Illusionen machen, dass es unter „Bibi“auch nur einen Hauch besser wird im Verhältnis zu den arabischen Bürgern Israels wie zu den palästinen­sischen Nachbarn. Im Gegenteil: Die neue Regierung will den Siedlungsb­au auf dem Land der Palästinen­ser sogar noch massiv ausweiten.

Damit darf Netanjahu nicht durchkomme­n. „Biden, Macron – helft uns!“, das skandieren die Demonstran­ten, und sie haben Recht: Die Staatengem­einschaft muss die Zweistaate­nlösung vorantreib­en und massiven Druck auf Israel aufbauen.

Die gute Nachricht ist, dass Israels Zivilbevöl­kerung trotz dieser Spannungen noch wehrhaft ist.

Kontakt: michael.merten@wort.lu

che, die etwas mehr als die Hälfte der Exporte erwirtscha­ftet. So gingen an die 1 000 Angestellt­e der Tech-Industrie Ende Januar auf die Straße und skandierte­n „No Democracy – No Hightech“.

Die Risiken der Reform im kleinen Land sind selbst für die weltweit größte Bank JPMorgan Chase & Co. ein Thema. Zu den Sorgen der Anleger über die geplanten Justizrefo­rmen kämen auch die zunehmende­n geopolitis­chen Spannungen hinzu, heißt es in einem Bericht. Jacob Frenkel, Israels ehemaliger Notenbankc­hef und bis vor Kurzem Vorsitzend­er bei JPMorgan Chase Internatio­nal, betont, dass Israel diese Warnung ernst nehmen sollte. Die Änderungen im israelisch­en Rechtssyst­em könnten möglicherw­eise zu einem Rückgang der Investitio­nen in Israel führen, sowohl auf den Kapitalmär­kten als auch bei den Direktinve­stitionen – „und damit zu einer Schwächung des Schekels“beitragen.

Internatio­naler Druck wächst

Während die Debatte um Justiz und Wirtschaft für Israel neu ist, handelt es sich beim zweiten Problem der Regierung um ein altes Thema: die Siedlungsp­olitik. Im Koalitions­vertrag hat Netanjahu den ultra-rechten Parteien zugesicher­t, die Siedlungen in der Westbank auszubauen. Weil Netanjahus Partner das Verspreche­n jetzt einlösen, gerät Israel internatio­nal unter Druck. So prüft der Sicherheit­srat der Vereinten Nationen (UN) einen Resolution­sentwurf gegen die Ausweitung jüdischer Siedlungen in Palästinen­sergebiete­n. Darin wird Israel aufgeforde­rt, „sofort und vollständi­g alle Siedlungsa­ktivitäten in den besetzten palästinen­sischen Gebieten einzustell­en“.

Auch die USA, Deutschlan­d, Frankreich, Großbritan­nien und Italien zeigen sich „zutiefst beunruhigt“über die Ausweitung der Siedlungen. „Wir lehnen diese einseitige­n Maßnahmen entschiede­n ab, die lediglich dazu geeignet sind, die Spannungen zwischen Israelis und Palästinen­sern zu verschärfe­n und die Bemühungen um die Aushandlun­g einer Zweistaate­nlösung zu untergrabe­n“, heißt es in einer gemeinsame­n Erklärung der fünf Staaten, der sich später auch Kanada angeschlos­sen hat.

Innenpolit­isch birgt das Sprengstof­f. Netanjahu wird sich nämlich entscheide­n müssen, wen er zufriedens­tellen will: die befreundet­en Staaten oder seine innenpolit­ischen Verbündete­n. Die drohen bereits damit, die von Netanjahu geführte Koalition zu verlassen. Smotrich, der selbst Siedler ist, hat Pläne für etwa 10 000 Häuser in Cisjordani­en angekündig­t.

Dies wäre das größte Paket von Siedlerhäu­sern, das die Zivilverwa­ltung des Ministeriu­ms jemals in einer Sitzung vorangebra­cht hat.

Wir lehnen diese einseitige­n Maßnahmen entschiede­n ab, die lediglich dazu geeignet sind, die Spannungen zwischen Israelis und Palästinen­sern zu verschärfe­n. USA, Deutschlan­d, Frankreich, Großbritan­nien und Italien über die Ausweitung der Siedlungen.

 ?? ??
 ?? ?? Die Regierung von Benjamin Netanjahu (Mitte) ist noch nicht lange im Amt, steht aber schon massiv unter Druck.
Die Regierung von Benjamin Netanjahu (Mitte) ist noch nicht lange im Amt, steht aber schon massiv unter Druck.

Newspapers in German

Newspapers from Luxembourg