Netanjahu darf damit nicht durchkommen
In dem an Krisen nicht armen Staat Israel gilt derzeit Alarmstufe Rot. Dringlicher könnten die Mahner kaum noch warnen, dass das Land an einem Abgrund steht und abzustürzen droht. Kein Geringerer als Präsident Isaac Herzog warnte jüngst sogar vor einem „verfassungsrechtlichen und sozialen Zusammenbruch“des Landes. Medial überschattet vom russischen Angriffskrieg auf die Ukraine droht die Lage im Heiligen Land mit seiner unheilvollen Regierung vollends abzugleiten – und ein jahrzehntealter weltpolitischer Konfliktherd wieder hochzukochen.
Auf dem Spiel steht nichts Geringeres als die freiheitliche Grundstruktur Israels. Der Staat war über Jahrzehnte nicht nur der Zufluchtsort von Jüdinnen und Juden aus der ganzen Welt, sondern auch ein demokratischer Leuchtturm inmitten eines Meeres aus mehr oder weniger autoritär geführten Nachbarstaaten. Und dies, obwohl es erhebliche gesellschaftliche Spannungen zwischen ultrakonservativen Juden und der eher weltlichen Bevölkerung gibt, die in der Mehrheit einfach nur ein normales Leben führen möchte.
Die gute Nachricht ist, dass die Zivilbevölkerung trotz dieser Spannungen noch wehrhaft ist. Seit Monaten gehen Hunderttausende Menschen auf die Straße, wie auch an diesem Samstag, als in Jerusalem, Tel Aviv, Haifa, Beerscheva und anderen Städten Massenproteste stattfanden gegen die gefährlichen Pläne der rechts-religiösen Regierung, das Justizsystem im Land gezielt zu schwächen.
Unter anderem soll dem Parlament ermöglicht werden, mit einer einfachen Mehrheit Entscheidungen des höchsten Gerichts aufzuheben. Politiker sollen außerdem bei der Ernennung von Richtern mehr Einfluss erhalten. An diesem Montag ist die erste Lesung im Parlament vorgesehen; nach drei Lesungen wäre die Gesetzesänderung beschlossen.
2021 keimte Hoffnung auf, als ein breites Parteienbündnis Netanjahu ablöste. Doch seit Ende 2022 ist der Rechtspopulist trotz laufender Korruptionsprozesse wieder an der Macht – und im Bündnis mit rechtsradikalen Partnern sägt er nun an den demokratischen Grundpfeilern. Es bleibt zu hoffen, dass die Massenproteste noch zu einem Einlenken der Regierung führen.
Doch selbst wenn Netanjahu von seinem Angriff auf die Gewaltenteilung abzubringen wäre, sollte man sich keine Illusionen machen, dass es unter „Bibi“auch nur einen Hauch besser wird im Verhältnis zu den arabischen Bürgern Israels wie zu den palästinensischen Nachbarn. Im Gegenteil: Die neue Regierung will den Siedlungsbau auf dem Land der Palästinenser sogar noch massiv ausweiten.
Damit darf Netanjahu nicht durchkommen. „Biden, Macron – helft uns!“, das skandieren die Demonstranten, und sie haben Recht: Die Staatengemeinschaft muss die Zweistaatenlösung vorantreiben und massiven Druck auf Israel aufbauen.
Die gute Nachricht ist, dass Israels Zivilbevölkerung trotz dieser Spannungen noch wehrhaft ist.
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che, die etwas mehr als die Hälfte der Exporte erwirtschaftet. So gingen an die 1 000 Angestellte der Tech-Industrie Ende Januar auf die Straße und skandierten „No Democracy – No Hightech“.
Die Risiken der Reform im kleinen Land sind selbst für die weltweit größte Bank JPMorgan Chase & Co. ein Thema. Zu den Sorgen der Anleger über die geplanten Justizreformen kämen auch die zunehmenden geopolitischen Spannungen hinzu, heißt es in einem Bericht. Jacob Frenkel, Israels ehemaliger Notenbankchef und bis vor Kurzem Vorsitzender bei JPMorgan Chase International, betont, dass Israel diese Warnung ernst nehmen sollte. Die Änderungen im israelischen Rechtssystem könnten möglicherweise zu einem Rückgang der Investitionen in Israel führen, sowohl auf den Kapitalmärkten als auch bei den Direktinvestitionen – „und damit zu einer Schwächung des Schekels“beitragen.
Internationaler Druck wächst
Während die Debatte um Justiz und Wirtschaft für Israel neu ist, handelt es sich beim zweiten Problem der Regierung um ein altes Thema: die Siedlungspolitik. Im Koalitionsvertrag hat Netanjahu den ultra-rechten Parteien zugesichert, die Siedlungen in der Westbank auszubauen. Weil Netanjahus Partner das Versprechen jetzt einlösen, gerät Israel international unter Druck. So prüft der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen (UN) einen Resolutionsentwurf gegen die Ausweitung jüdischer Siedlungen in Palästinensergebieten. Darin wird Israel aufgefordert, „sofort und vollständig alle Siedlungsaktivitäten in den besetzten palästinensischen Gebieten einzustellen“.
Auch die USA, Deutschland, Frankreich, Großbritannien und Italien zeigen sich „zutiefst beunruhigt“über die Ausweitung der Siedlungen. „Wir lehnen diese einseitigen Maßnahmen entschieden ab, die lediglich dazu geeignet sind, die Spannungen zwischen Israelis und Palästinensern zu verschärfen und die Bemühungen um die Aushandlung einer Zweistaatenlösung zu untergraben“, heißt es in einer gemeinsamen Erklärung der fünf Staaten, der sich später auch Kanada angeschlossen hat.
Innenpolitisch birgt das Sprengstoff. Netanjahu wird sich nämlich entscheiden müssen, wen er zufriedenstellen will: die befreundeten Staaten oder seine innenpolitischen Verbündeten. Die drohen bereits damit, die von Netanjahu geführte Koalition zu verlassen. Smotrich, der selbst Siedler ist, hat Pläne für etwa 10 000 Häuser in Cisjordanien angekündigt.
Dies wäre das größte Paket von Siedlerhäusern, das die Zivilverwaltung des Ministeriums jemals in einer Sitzung vorangebracht hat.
Wir lehnen diese einseitigen Maßnahmen entschieden ab, die lediglich dazu geeignet sind, die Spannungen zwischen Israelis und Palästinensern zu verschärfen. USA, Deutschland, Frankreich, Großbritannien und Italien über die Ausweitung der Siedlungen.