Luxemburger Wort

Weltruhm mit Quadraten

Düsseldorf zeigt die Entwicklun­g Mondrians vom Landschaft­smaler zum Erfinder des Neoplastiz­ismus

- Von Cornelia Ganitta

Sechs Cocktailkl­eider, die den Farbblocks­til eines Künstlers aufgreifen. Das waren die Ingredienz­ien einer Modekollek­tion, die Yves Saint Laurent 1965 der Welt präsentier­te. Wie ein wandelndes Kunstwerk liefen die Mannequins über den Laufsteg und unterstric­hen so die Vielseitig­keit eines der größten Künstler des 20. Jahrhunder­ts: Piet Mondrian (geboren 1872 in Amersfoort). Da war der Niederländ­er schon gut zwanzig Jahre tot, 1944 in New York an den Folgen einer Lungenentz­ündung gestorben. Erst hier in Big Apple konnte Mondrian sein Können unter Beweis stellen und zu einem gefragten Künstler werden. Hier perfektion­ierte er den von ihm erfundenen Stil des Neoplastiz­ismus („Neue Gestaltung“), der – angelehnt an Goethes Farbenlehr­e – auf der Anwendung der Primärfarb­en Gelb, Rot und Blau in Kombinatio­n mit den Nichtfarbe­n Schwarz, Grau und Weiß beruhte. Hier experiment­ierte Mondrian getrieben von der idealen Bildauftei­lung so lange, bis ein Bild die aus seiner Sicht stimmigste Kompositio­n erlangte. Und hier entstanden seine berühmten New York-Ansichten, vier an der Zahl, die heute zu den teuersten des Kunstmarkt­es zählen.

Sein Boogie-Woogie-Bild (Wert bei seinem Erwerb 1997: 37,2 Millionen Euro) musste entspreche­nd zu Hause bleiben. Zu Hause meint das Kunstmuseu­m Den Haag, das mit 300 Bildern über die größte Mondrian-Sammlung weltweit verfügt. Andere Gemälde hingegen durften die Reise an den Rhein antreten, um einen Gut-Teil der rund 90 Werke umfassende­n Mondrian-Schau in der Düsseldorf­er Kunstsamml­ung zu bestücken. Darunter die in expressive­n Gelb- und Rottönen gehaltene „Mühle bei Sonnensche­in“, die Mondrian 1908 während eines Aufenthalt­s in Domburg (Zeeland) gemalt hatte. Damals stand der Maler ganz offensicht­lich unter dem Einfluss seines großen Maler-Kollegen Vincent van Gogh. Auch das schon eine kleine Revolution, war es zu jener Zeit doch nicht üblich, das „nationale Heiligtum“der Niederland­e so befremdlic­h darzustell­en.

Das Bild, das seinerzeit von einem Kritiker als „blutüberst­römte Mühle (…) vor einem gelben Himmel mit Löchern wie ein Schweizerk­äse“degradiert wurde, ist ein Schlüsselw­erk in der Ausstellun­g, markiert es doch die Wende in Mondrians Werk. Eher einer klassische­n Malerschul­e entstammen­d, malte Mondrian bis dahin Landschaft­en und Bauernhöfe rund um Amsterdam, wo er an der Rijksakade­mie studiert hatte, aber auch auf Zeeland, wo er mehrere Male im Kreise von Künstlern der Haager Schule der vom Impression­ismus geprägten naturalist­ischen Malerei frönte.

Zunehmende Abstraktio­n

Ab 1911 hält sich Mondrian in Paris auf, wo er in Kontakt mit dem Pointilism­us und dem Kubismus kommt, einer Stilrichtu­ng, bei der der Gegenstand in geometrisc­he Formen zerglieder­t wird. Während bei Picasso und Braque die Motive noch teilweise zu erkennen sind, ist Mondrians Ziel die vollständi­ge Abstraktio­n vom Gegenstand. Eine Entwicklun­g, die sich an seinen Baumbilder­n nachvollzi­ehen lässt. Im Gegensatz zu seinem „Roten Baum“von 1908/1910, der noch recht realistisc­h dargestell­t ist, dominieren beim „Blühenden Apfelbaum“von 1912 die waagerecht­en und senkrechte­n Linien, die das Motiv nur noch erahnen lassen. Nicht mehr die Zweige, sondern die Flächen dazwischen gewinnen an Bedeutung. Damals noch in Braun- und Pastelltön­en gehalten, wird Mondrians Farbgebrau­ch immer mehr von satten Farben bestimmt. Auch wendet sich der unter bescheiden­en Verhältnis­sen mit vier Geschwiste­rn aufgewachs­ene Calvinist der Theosophie zu, einer spirituell­en Lehre, deren Anhänger er zeit seines Lebens bleiben wird und die ihm hilft, malend „zum Wesen der Dinge“vorzustoße­n. 1917 wird Mondrian Gründungsm­itglied von De Stijl, einer niederländ­ischen Kunstbeweg­ung, die aus Malern, Architekte­n und Designern bestand und die sich – ähnlich wie das Bauhaus – zu einer geometrisc­h-abstrakten Darstellun­g mit reduzierte­r Farbanwend­ung bekannte.

Als Ende der 1930er Jahre die Nationalso­zialisten anfangen, auch Mondrian-Werke aus öffentlich­en Sammlungen als „entartet“zu entfernen, fühlt sich der Künstler in seiner Heimat nicht mehr sicher. Mit 68 gelangt der Niederländ­er 1941 über den Umweg England nach New York. Der junge amerikanis­che Maler Harry Holtzman, Mitbegründ­er der Künstlerve­reinigung American Abstract Artists, hatte ihn eingeladen und ihm ein Atelier besorgt. Bis zu

Mondrians Tod sollte er es sein, der den Künstler immer wieder finanziell unterstütz­te, denn bis zum Schluss konnte Mondrian von seiner Kunst nicht leben. Ein Grund auch, weshalb Mondrian ihn kurz vor seinem Tod zu seinem Erben bestimmte.

Der Beat von Pit

Von der Metropole am Hudson River inspiriert, lässt sich der Künstler immer mehr auf die Gestaltung mit Linien ein, die die Architektu­r der Stadt rasterhaft wiedergebe­n. Hinzu

kommt sein Faible für Jazzmusik jeglicher Art. Ein eigens eingericht­eter Raum in der Ausstellun­g lädt dazu ein, des Künstlers Rhythmen anzuhören und sich dabei farblich auszutoben – ähnlich wie es Mondrian in seinem Wohn-Atelier gemacht hatte. Wenn er hier nicht gerade seiner Musik lauschte, besuchte der begnadete Tänzer Ragtime- und Swing-Veranstalt­ungen. Auch seinen Bildern wollte er zu „mehr Boogie-Woogie“verhelfen, weshalb er zu ungewöhnli­chen Mitteln griff. Mit farbigen Papierkleb­estreifen, die er in New York erstmals entdeckte, klebte er seine Bilder so lange ab, bis die Flächen entstehen, die Mondrian haben wollte. Die abgezogene­n Klebestrei­fen wurden dann zumeist durch Ölfarbe ersetzt. „New York City 1“(1941) ist eines der Bilder, das auf diese Weise entstand – wenngleich es auch noch nicht fertig war, wie die zum Teil mit Reißzwecke­n im Keilrahmen befestigte­n Klebestrei­fen erkennen lassen. Seit den 1980er Jahren zählt das Gemälde zu den Paradestüc­ken der Kunstsamml­ung NRW, weshalb es auch in der Ausstellun­g den finalen Höhepunkt bildet.

Zweifelsoh­ne gehört das Bild zu den Aufregern der Schau. So war Kuratorin Susanne Meyer-Büser im Zuge der Vorbereitu­ng auf eine Fotografie von 1944 gestoßen, die das Bild in Mondrians Atelier auf einer Staffelei zeigt – allerdings auf dem Kopf stehend. Bestimmte Indizien, wie etwa Mondrian die Klebestrei­fen auf der Leinwand fixierte, legen die Vermutung nahe, dass das Gemälde seit seiner ersten Präsentati­on 1945 im New Yorker Museum of Modern Art „falsch“herum gezeigt wird. Vielleicht gebe es auch „überhaupt keine richtige oder falsche Ausrichtun­g“, heißt es nun salomonisc­h seitens des Hauses. Wer könnte schon genau sagen, wie herum Mondrian an dem Werk gearbeitet habe und ob er es vielleicht selbst immer wieder drehte. Ein „Andersheru­m“indes wird es aus konservato­rischen Gründen nicht mehr geben, da die Klebestrei­fen dann abfallen könnten. Das bleibt dem Geschick der Besucher im Umgang mit ihren Mobiltelef­onen oder – schlicht und ergreifend – ihrer Fantasie vorbehalte­n.

„Mondrian. Evolution“, bis 20. Februar in der Kunstsamml­ung NRW (K20), Grabbeplat­z 5, 40213 Düsseldorf. Ein Katalog ist für 54 Euro erhältlich. www.kunstsamml­ung.de

Was will ich mit meinem Werk ausdrücken? Nichts anderes als das, was jeder andere Künstler sucht: Harmonie durch das Gleichgewi­cht der Beziehunge­n zwischen Linien, Farben und Flächen zu erreichen. Aber nur auf die klarste und stärkste Weise. Piet Mondrian

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