Luxemburger Wort

„Boris Johnson wird zurückkomm­en“

In London spekuliert man, dass der Ex-Premier in diesem Jahr eine Rückkehr plant. Amtsinhabe­r Rishi Sunaks Schwierigk­eiten könnten dazu eine Gelegenhei­t bieten

- Von Peter Stäuber (London) Karikatur: Florin Balanban

Vor vier Monaten trat Boris Johnson als Premiermin­ister zurück, aber seither ist er nicht untätig gewesen. Er hat in New York und in Lissabon Reden gehalten, ist an einer Konferenz von Versicheru­ngsmaklern in Washington aufgetrete­n und hat an einem VIP-Event der indischen Zeitung „Hindustan Times“ein paar Worte gesagt. Insgesamt haben ihm die vier Auftritte eine Million Pfund eingebrach­t – ein Stundenloh­n von 30 000 Pfund, wie aus einer Datenbank des Unterhause­s ersichtlic­h ist.

Aber trotz dieser doch eher lukrativen Karriere als Nicht-Premier kursiert dieser Tage in Westminste­r ein Gerücht: Johnson ziehe es zurück nach Downing Street, er könnte in diesem Jahr ein spektakulä­res Comeback planen.

Johnson sei noch lange nicht am Ende, sagte der ehemalige Fraktionsc­hef Mark Spencer vor einigen Tagen: „Man schreibt ihn auf eigene Gefahr ab.“Sein Parteikoll­ege Jake Berry hatte bereits Wochen zuvor beteuert: „Boris Johnson wird zurückkomm­en.“Am vergangene­n Wochenende meldete sich Johnsons ergebenste Anhängerin zu Wort. Die Konservati­ve Partei „muss Boris zurückbrin­gen oder sterben“, schrieb Nadine Dorries, ehemalige Kulturmini­sterin, in der „Mail on Sunday“. Sie schwärmt von ihrem Idol, dem „charismati­schsten, progressiv­sten und produktivs­ten Tory-Chef seit Margaret Thatcher“und nennt ihn „unseren politische­n Rockstar“. Nur wenn dieser Mann die Partei in die nächsten Wahlen führe, habe sie eine Chance zu gewinnen, schreibt Dorries. Demgegenüb­er steuere Premiermin­ister Rishi Sunak die Konservati­ven „in die kalte und brutale Ödnis der Opposition“.

Ungeduld am rechten Rand der Tory-Fraktion

Tatsächlic­h werden die Spekulatio­nen über eine Rückkehr Johnsons vor allem durch Sunaks Probleme befeuert. Zwar hat es der Premiermin­ister geschafft, nach den Turbulenze­n des vergangene­n Jahres die Wogen im Londoner Politbetri­eb zu glätten, er ist nüchtern und seriös, wenn auch etwas farblos. Aber beim rechten Rand der Tory-Fraktion wächst die Ungeduld.

Abgeordnet­e fürchten, dass Sunak zwei ihrer wichtigste­n Anliegen vernachläs­sigt: die Bootsüberf­ahrten über den Ärmelkanal und Brexit. Ein Stopp der illegalen Migration, insbesonde­re per Gummiboot von Frankreich aus, ist ein zentrales Ziel dieser Politiker. Sunak hat auch immer wieder klargemach­t, dass er nichts unversucht lassen wird, um die Bootsüberf­ahrten zu stoppen – bislang mit wenig Erfolg. 2022 gelangten über 45 000 Menschen über den Ärmelkanal nach Großbritan­nien, das sind 60 Prozent mehr als im Vorjahr.

Ebenso unzufriede­n sind die rechten Tory-Abgeordnet­en in Bezug auf Sunaks Brexit-Politik. Zwar war der EU-Austritt bislang nach so ziemlich jedem Maßstab ein Reinfall, er hat mehr Bürokratie, zusätzlich­e Kosten und Personalma­ngel nach sich gezogen. Aber die Brexiteers haben noch nicht aufgegeben. Sie hoffen auf eine Vorlage, die den Großteil der EU-Gesetzgebu­ng, die in britisches Recht übertragen worden ist, über

Bord werfen würde. So würde das

Land endlich die lang ersehnten „BrexitFrei­heiten“erlangen, sagen sie.

Das entspreche­nde Gesetz, das Sunak kürzlich vorgelegt hat, soll bis Ende dieses Jahres abgesegnet sein. Aber das Oberhaus hat bereits Widerstand angekündig­t, sodass der Zeitplan kaum eingehalte­n werden kann – sehr zum Frust der Brexit-Fans. „Rishi Sunak zeigt seine wahren Farben“, schrieb Peter Cruddas, Johnson-Fan im Oberhaus, auf Twitter: „Kein Wunder, dass sie Boris Johnson aus dem Weg räumen wollten. Es ging immer darum, den Brexit rückgängig zu machen!“

Am Wochenende wurden in der britischen Presse ein anonymer Tory-Abgeordnet­er und Ex-Kabinettsm­inister mit den Worten zitiert: „Wir sehen im Moment die Ruhe vor dem Sturm.“Wenn Sunak nicht bald Erfolge vorweisen kann in Bezug auf Brexit und Migration, dann werden Sunaks parteiinte­rne Gegner Konsequenz­en ziehen – es könnte der Beginn einer Rebellion sein. Und viele hätten gern, dass ein solcher Aufstand vom Brexit-Helden Boris Johnson angeführt würde.

Bereits haben sich manche Tories daran gemacht, einer Rückkehr Johnsons den Boden

zu bereiten. Zusammen mit der ehemaligen Innenminis­terin Priti Patel gründete Peter Cruddas vor wenigen Wochen die Conservati­ve Democratic Organisati­on (CDO). Vordergrün­diges Ziel ist es, den rund 170 000 Tory-Parteimitg­liedern mehr Mitsprache zu geben. Da jedoch der Ex-Premier bei der Parteibasi­s noch immer sehr viel Unterstütz­ung genießt, kann man davon ausgehen, dass der eigentlich­e Zweck der CDO ein anderer ist: nämlich Johnson zurück in die Downing Street zu befördern.

Lokalwahle­n könnten entscheide­nd sein

Ein möglicher Zeitpunkt für den Beginn einer solchen Kampagne sind die Lokalwahle­n im Mai. Wenn die Tories so schlecht abschneide­n, wie die Umfragen derzeit nahelegen – Labour liegt etwa zwanzig Prozentpun­kte vor der Regierungs­partei –, wären die Johnson-Anhänger schnell zur Stelle, um einen Regierungs­wechsel zu fordern.

Aber manche politische­n Beobachter sind skeptisch, was ein Johnson-Comeback angeht. Johnson selbst hat noch keinerlei Hinweise gegeben, dass er tatsächlic­h wieder antreten würde. Hinzu kommt die Tatsache, dass noch immer eine Untersuchu­ng gegen Johnson läuft: Das sogenannte Privilegie­n-Komitee des Unterhause­s beschäftig­t sich derzeit mit der Frage, ob er das Parlament inmitten der Party-Affäre bewusst in die Irre geführt hatte. Sollte der Ausschuss zum Schluss kommen, dass Johnson tatsächlic­h schuldig ist, könnte er eine Suspendier­ung vom Parlament empfehlen – dann wäre der Traum vom Comeback mit einem Schlag futsch.

Man schreibt ihn auf eigene Gefahr ab. Mark Spencer, der ehemalige Fraktionsc­hef der Tories

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