Luxemburger Wort

Des Tantchens „alte“Kleider

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Meine Lieblingst­ante wohnt weit weg, aber ich trage sie fast jeden Tag bei mir. Natürlich auch im Herzen, genauer gesagt aber am Körper. Ich trage ihre Kleidung. Was sie nicht mehr braucht, sortiert sie aus und gibt es an mich weiter. Seit vielen Jahren ist das so.

Tante Bärbel arbeitet in einer Boutique im Norden Deutschlan­ds. Sie verkauft nicht nur, sie trägt ihre Ware auch selbst voller Überzeugun­g und mit großer Leidenscha­ft. Ihr Kleidersch­rank ist deshalb immer auf dem neusten Stand, wobei man nicht von Schrank sprechen kann. Ihr Ankleidezi­mmer zieht sich wie ein Schlauch durch das Dachgescho­ss ihres Hauses.

Ihre Kleidung trage ich noch, wenn meine Tante 90 ist.

Auf einer Stange, die solcher in einem Ballettrau­m von der Länge her ziemlich ähnlich ist, reiht sich ein Mantel neben dem anderen, hängen Shirts neben noch mehr Shirts, auch die Hosen sind aufgezogen.

Und dann passiert es, dass an den Stoffen noch die Preisschil­der baumeln. Tante Bärbel kommt nicht mehr hinterher mit dem Tragen, zu groß ist ihre Kauffreude. Da ist es gut, wenn alle paar Jahre die Nichte aus dem Ausland anreist, die von Natur aus Einkaufen gehen als mittlere Belastung ansieht.

Heute, nach mehr als 20 Jahren Second-Hand-Franzi, staune ich noch immer über dieses glückliche Gefüge. Ich bin um einiges größer als Babsi, schlank sind wir aber beide und deshalb passt alles so gut. Manchmal trage ich eben Dreivierte­lhosen.

Auch, dass Tante Bärbel über 60 ist, macht sich nicht bemerkbar. Ihre Mode ist jünger als manche Teile, die ich mir kaufen würde. Mit Glitzer, Strass…, Sie wissen schon. Ich bin also guter Dinge, dass ich ihre Kleidung noch tragen werde, wenn meine Tante ihren 90. Geburtstag feiert. Franziska

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