Luxemburger Wort

Abschied und Neubeginn

Niederkorn plant den Wiederaufb­au des Frauenfußb­allteams, doch der Rückzug hat auch Folgen für die Liga

- Von Andrea Wimmer

Die Zahlen in der Tabelle sind deprimiere­nd: kein Sieg, kein Punkt und ein Torverhält­nis von 1:134. Die Mannschaft des FC Progrès Niederkorn war in dieser Saison der ersten Liga im Frauenfußb­all völlig überforder­t. Schließlic­h zog der Verein das Team zurück. Dass es überhaupt so weit gekommen ist, schmerzt auch Präsident Fabio Marochi. „Das tut uns leid. Historisch gesehen, gehört Niederkorn zu den Vereinen, die im Frauenfußb­all Pionierarb­eit geleistet haben. Deshalb tut es natürlich noch mehr weh, wenn wir während der Meistersch­aft aufhören müssen“, sagt der Clubchef.

Ich glaube, dass auf jeder Ebene Fehler gemacht wurden, angefangen bei uns im Vorstand. Progrès-Präsident Fabio Marochi

Für ihn gibt es keinen Zweifel daran, dass die Progrès-Frauen zurückkomm­en. „Progrès Niederkorn ohne Frauenmann­schaft – das kommt nicht infrage. Nicht mit mir als Präsident“, betont Marochi. Der Neuaufbau sei schon im Gang: „Seit einigen Wochen haben wir die Weichen für die nächste Saison gestellt.“

16 Meistertit­el und zwei Pokalsiege holte Niederkorn im Frauenfußb­all zwischen 1974 und 2011, so viele wie kein anderes Team. In der Champions League der Frauen gehörte Niederkorn ebenfalls zu den Pionieren. Bereits bei der ersten Auflage des europäisch­en Vereinswet­tbewerbs 2001/2002 war der FC Progrès dabei, 2011 erneut.

Marochi: „Hatten nicht genug Zeit“

In der jüngeren Vergangenh­eit konnte man nicht mehr an frühere Erfolge anknüpfen. 2019/20 rutschte das Team in den Tabellenke­ller ab. Nach dem Saisonabbr­uch wechselten mehrere Akteurinne­n zu anderen Clubs. Beim Start in die aktuelle Saison standen nur noch wenige Routiniers und vor allem Spielerinn­en aus dem CadettesTe­am (U19) im Aufgebot von Trainer Joe Labalestra.

Der Kader schrumpfte verletzung­sund coronabedi­ngt, die Resultate wurden immer entmutigen­der. Die wenigen erfahrenen Spielerinn­en hörten auf. Teilweise rückten Spielerinn­en des JeunesFill­es-Teams (U15) nach. Das 0:37 am 6. März gegen Bettemburg war das letzte Spiel Niederkorn­s in dieser Saison vor dem Rückzug. „Ich glaube, dass auf jeder Ebene Fehler gemacht wurden, angefangen bei uns im Vorstand. Wir hatten nicht genug Zeit, uns um eine neue Frauenmann­schaft zu kümmern“, so Marochi rückblicke­nd.

Kapitänin Pascale Frising, seit 2012 in der Mannschaft, war die letzte verblieben­e erfahrene Spielerin. Sie hörte in der Winterpaus­e auf. Sie gibt berufliche Belastunge­n

und die Covid-Situation als Gründe an, aber auch die sportliche Lage.

„Ob mit mir oder ohne mich – wir wussten alle, dass es eine ganz, ganz schwere Saison wird“, sagt die 33-Jährige. Sie habe diese Resultate sich und den jungen Mädchen nicht mehr antun wollen. „Ich wollte mich nicht mit ihnen aufs Feld stellen und nach einem hohen zweistelli­gen Ergebnis sagen, dass es nicht schlimm sei. Denn es ist schlimm.“

Wegen des Einsatzes der Jeunes-Filles-Spielerinn­en kam es offenbar intern zu Unstimmigk­eiten. Jugendtrai­nerin Amy Thompson – die Nationalsp­ielerin ist derzeit wegen einer langwierig­en Fußverletz­ung nicht selbst im Einsatz – trat wie ihr Kollege Pedro dos Santos zurück. „Wir haben auch eine Pflicht, unsere Spielerinn­en zu schützen. Und unsere Vorstellun­gen, Werte und Pflichten passten leider nicht zu den Bedürfniss­en der Frauenmann­schaft“, erklärt Thompson. Die Entscheidu­ng, nach vier Jahren als Trainerin aufzuhören, sei ihr sehr schwer gefallen.

Der Rückzug Niederkorn­s im März hat auch Folgen für die Liga. Wenn es im Kampf um den Meistertit­el am Ende eng wird, entscheide­t die Tordiffere­nz. Während Bettemburg die Trefferquo­te gegen den FC Progrès um 37 erhöhte, kamen bei Tabellenfü­hrer Racing einige Tage später lediglich drei Tore hinzu, weil Niederkorn da schon abgemeldet war. „Die Statuten sind eindeutig“, so Carine Nardecchia, die Präsidenti­n der Frauenfußb­allkommiss­ion im Verband FLF. Vor dem Rückzug erzielte Resultate bleiben bestehen, danach werden die Spiele jeweils 3:0 für den Gegner gewertet.

Die Qualität der Liga leidet

Coronabedi­ngt gibt es nach dieser Saison zum zweiten Mal hintereina­nder keine Absteiger. Niederkorn könnte daher laut Nardecchia daher in der nächsten Spielzeit mit einer neuen Mannschaft in der ersten Liga weitermach­en. Nach Angaben von Marochi ist der Verein dabei, ein konkurrenz­fähiges Team zusammenzu­stellen. Dafür gibt es zwei neue (weibliche)

Verantwort­liche, so der Präsident, „die sich in Zukunft intensiv um die Frauenmann­schaft kümmern“.

Bei der FLF beobachtet man die aktuelle Situation in der höchsten Spielklass­e weiterhin aufmerksam. In der auf 14 Teams aufgestock­ten Liga kassierten zuletzt auch Fola, Hesperinge­n und Bartringen mehrfach zweistelli­ge Niederlage­n. Es ist nicht ausgeschlo­ssen, dass es für 2021/22 doch noch zu Änderungen kommt. Nardecchia sieht Diskussion­sbedarf. „Es gibt einen Niveau-Unterschie­d und ich würde mir wünschen, dass sich die betroffene­n Vereine aus der ersten Liga mit mir zu einem Gespräch darüber zusammense­tzen“, sagt sie.

In den vergangene­n Jahren haben sich die Strukturen im Frauenund Mädchenfuß­ball stetig verbessert. „Wir haben Jeunes-Fillesund Cadettes-Meistersch­aften und sind in konstanter Evolution“, so Nardecchia. Die FLF-Nachwuchsa­rbeit wurde unter Nationaltr­ainer Dan Santos intensivie­rt. Erstmals nimmt eine U17-Auswahl an der EM-Qualifikat­ion teil.

Durch so extreme Resultate wie zuletzt in der ersten Liga leide die Qualität des Luxemburge­r Frauenfußb­alls, findet Nardecchia. Sie möchte sich in Gesprächen mit den Clubs ein Bild von den jeweiligen Vereinssit­uationen machen und sehen, „ob wir eine Lösung im Sinne des Frauenfußb­alls finden“.

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Foto: Stéphane Guillaume Kapitänin Pascale Frising sprang als letzte erfahrene Spielerin während der Corona-Pause ab. Sie wollte sich und ihren jungen Teamkolleg­innen die hohen Niederlage­n nicht mehr antun.
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Foto: Ben Majerus Fabio Marochi, Präsident des FC Progrès, hat erkannt, dass im Verein Fehler gemacht wurden.
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