Abschied und Neubeginn
Niederkorn plant den Wiederaufbau des Frauenfußballteams, doch der Rückzug hat auch Folgen für die Liga
Die Zahlen in der Tabelle sind deprimierend: kein Sieg, kein Punkt und ein Torverhältnis von 1:134. Die Mannschaft des FC Progrès Niederkorn war in dieser Saison der ersten Liga im Frauenfußball völlig überfordert. Schließlich zog der Verein das Team zurück. Dass es überhaupt so weit gekommen ist, schmerzt auch Präsident Fabio Marochi. „Das tut uns leid. Historisch gesehen, gehört Niederkorn zu den Vereinen, die im Frauenfußball Pionierarbeit geleistet haben. Deshalb tut es natürlich noch mehr weh, wenn wir während der Meisterschaft aufhören müssen“, sagt der Clubchef.
Ich glaube, dass auf jeder Ebene Fehler gemacht wurden, angefangen bei uns im Vorstand. Progrès-Präsident Fabio Marochi
Für ihn gibt es keinen Zweifel daran, dass die Progrès-Frauen zurückkommen. „Progrès Niederkorn ohne Frauenmannschaft – das kommt nicht infrage. Nicht mit mir als Präsident“, betont Marochi. Der Neuaufbau sei schon im Gang: „Seit einigen Wochen haben wir die Weichen für die nächste Saison gestellt.“
16 Meistertitel und zwei Pokalsiege holte Niederkorn im Frauenfußball zwischen 1974 und 2011, so viele wie kein anderes Team. In der Champions League der Frauen gehörte Niederkorn ebenfalls zu den Pionieren. Bereits bei der ersten Auflage des europäischen Vereinswettbewerbs 2001/2002 war der FC Progrès dabei, 2011 erneut.
Marochi: „Hatten nicht genug Zeit“
In der jüngeren Vergangenheit konnte man nicht mehr an frühere Erfolge anknüpfen. 2019/20 rutschte das Team in den Tabellenkeller ab. Nach dem Saisonabbruch wechselten mehrere Akteurinnen zu anderen Clubs. Beim Start in die aktuelle Saison standen nur noch wenige Routiniers und vor allem Spielerinnen aus dem CadettesTeam (U19) im Aufgebot von Trainer Joe Labalestra.
Der Kader schrumpfte verletzungsund coronabedingt, die Resultate wurden immer entmutigender. Die wenigen erfahrenen Spielerinnen hörten auf. Teilweise rückten Spielerinnen des JeunesFilles-Teams (U15) nach. Das 0:37 am 6. März gegen Bettemburg war das letzte Spiel Niederkorns in dieser Saison vor dem Rückzug. „Ich glaube, dass auf jeder Ebene Fehler gemacht wurden, angefangen bei uns im Vorstand. Wir hatten nicht genug Zeit, uns um eine neue Frauenmannschaft zu kümmern“, so Marochi rückblickend.
Kapitänin Pascale Frising, seit 2012 in der Mannschaft, war die letzte verbliebene erfahrene Spielerin. Sie hörte in der Winterpause auf. Sie gibt berufliche Belastungen
und die Covid-Situation als Gründe an, aber auch die sportliche Lage.
„Ob mit mir oder ohne mich – wir wussten alle, dass es eine ganz, ganz schwere Saison wird“, sagt die 33-Jährige. Sie habe diese Resultate sich und den jungen Mädchen nicht mehr antun wollen. „Ich wollte mich nicht mit ihnen aufs Feld stellen und nach einem hohen zweistelligen Ergebnis sagen, dass es nicht schlimm sei. Denn es ist schlimm.“
Wegen des Einsatzes der Jeunes-Filles-Spielerinnen kam es offenbar intern zu Unstimmigkeiten. Jugendtrainerin Amy Thompson – die Nationalspielerin ist derzeit wegen einer langwierigen Fußverletzung nicht selbst im Einsatz – trat wie ihr Kollege Pedro dos Santos zurück. „Wir haben auch eine Pflicht, unsere Spielerinnen zu schützen. Und unsere Vorstellungen, Werte und Pflichten passten leider nicht zu den Bedürfnissen der Frauenmannschaft“, erklärt Thompson. Die Entscheidung, nach vier Jahren als Trainerin aufzuhören, sei ihr sehr schwer gefallen.
Der Rückzug Niederkorns im März hat auch Folgen für die Liga. Wenn es im Kampf um den Meistertitel am Ende eng wird, entscheidet die Tordifferenz. Während Bettemburg die Trefferquote gegen den FC Progrès um 37 erhöhte, kamen bei Tabellenführer Racing einige Tage später lediglich drei Tore hinzu, weil Niederkorn da schon abgemeldet war. „Die Statuten sind eindeutig“, so Carine Nardecchia, die Präsidentin der Frauenfußballkommission im Verband FLF. Vor dem Rückzug erzielte Resultate bleiben bestehen, danach werden die Spiele jeweils 3:0 für den Gegner gewertet.
Die Qualität der Liga leidet
Coronabedingt gibt es nach dieser Saison zum zweiten Mal hintereinander keine Absteiger. Niederkorn könnte daher laut Nardecchia daher in der nächsten Spielzeit mit einer neuen Mannschaft in der ersten Liga weitermachen. Nach Angaben von Marochi ist der Verein dabei, ein konkurrenzfähiges Team zusammenzustellen. Dafür gibt es zwei neue (weibliche)
Verantwortliche, so der Präsident, „die sich in Zukunft intensiv um die Frauenmannschaft kümmern“.
Bei der FLF beobachtet man die aktuelle Situation in der höchsten Spielklasse weiterhin aufmerksam. In der auf 14 Teams aufgestockten Liga kassierten zuletzt auch Fola, Hesperingen und Bartringen mehrfach zweistellige Niederlagen. Es ist nicht ausgeschlossen, dass es für 2021/22 doch noch zu Änderungen kommt. Nardecchia sieht Diskussionsbedarf. „Es gibt einen Niveau-Unterschied und ich würde mir wünschen, dass sich die betroffenen Vereine aus der ersten Liga mit mir zu einem Gespräch darüber zusammensetzen“, sagt sie.
In den vergangenen Jahren haben sich die Strukturen im Frauenund Mädchenfußball stetig verbessert. „Wir haben Jeunes-Fillesund Cadettes-Meisterschaften und sind in konstanter Evolution“, so Nardecchia. Die FLF-Nachwuchsarbeit wurde unter Nationaltrainer Dan Santos intensiviert. Erstmals nimmt eine U17-Auswahl an der EM-Qualifikation teil.
Durch so extreme Resultate wie zuletzt in der ersten Liga leide die Qualität des Luxemburger Frauenfußballs, findet Nardecchia. Sie möchte sich in Gesprächen mit den Clubs ein Bild von den jeweiligen Vereinssituationen machen und sehen, „ob wir eine Lösung im Sinne des Frauenfußballs finden“.