Luxemburger Wort

Kopfloser Fußball?

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Fußball hat hierzuland­e eine echte Lobby: unsere Regierung gibt mindestens 180 Millionen Euro aus für ein neues Fußballsta­dion. Um Fußballer und Ballfreund­e gleich zu beruhigen: „In Zeiten wie diesen ist Fußball ein gesellscha­ftliches Grundnahru­ngsmittel.“(Edmund Stoiber)

In diesen Zeiten ist man fast schon dankbar, wenn jemand über etwas anderes spricht als über Pandemie. Dennoch stelle ich mir die Frage, ob es gerechtfer­tigt ist, dass die Regierung die Modernisie­rung nationaler Fußballinf­rastruktur­en als Priorität ansieht gegenüber der dringend notwendige­n Modernisie­rung hiesiger psychiatri­scher Einrichtun­gen.

Ich plaudere sicherlich kein Geheimnis aus, wenn ich behaupte, dass der sogenannte „Building“des CHNP in Ettelbrück ein Anachronis­mus ist, der jeder halbwegs modernen Psychiatri­e spottet.

Dass es zu wenig Psychiater in Luxemburg gibt, ist auch hinlänglic­h bekannt. Viele Menschen, die seelische Betreuung in der aktuellen Pandemie bräuchten, geben auf, weil kein Psychiater zu erreichen ist, der Termine anbietet. Sie bleiben mit ihren Depression­en allein zurück mit allen Konsequenz­en,

die das mit sich bringt. Angesichts dieser desolaten Situation und im Namen aller psychiatri­ebedürftig­en Menschen, die leider keine Lobby haben und im Stillen leiden, appelliere ich an die Verantwort­ung des Gesundheit­sministeri­ums, seinen Aufgaben nachzukomm­en und Prioritäte­n zu setzen.

Es darf doch nicht sein, dass in einem zivilisier­ten Staat Fußball wichtiger ist als Seelenheil­kunde, besonders wenn Statistike­n zeigen, dass wir Weltmeiste­r sind an Suizidgefä­hrdeten. („Alle vier Tage nimmt sich in Luxemburg im Schnitt ein Mensch das Leben. Auf jeden Suizid kommen zwischen zehn und 20 misslungen­e Versuche. Gesundheit­sministeri­n Lydia Mutsch nannte diese Zahlen 2017 in einem Tageblatt-Artikel 'erschrecke­nd'“). Ansonsten könnte es zur folgenden grotesken Situation kommen: „Wir müssen aufpassen, dass wir nicht zu einer Nation werden mit Leuten, die alle vor dem Fernseher sitzen und genau wissen, wer wie Fußball spielen muss, aber selber nicht mehr in der Lage sind, einen Ball vor sich her zu schieben.“(Angela Merkel) Jean-Marie Harsch,

Ernster

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