Hamsterkäufe
In der Corona-Krise ist Luxemburg aufs Haustier gekommen: Der Markt für Tiere, Futter und Zubehör boomt
Am Eingang zur Tierhandlung Josy Welter in der Belle Etoile stehen Jugendliche um einen ausgeleuchteten Glaskasten herum und quietschen vor Entzücken. Sie blicken auf kleine Hasen. Daneben steht eine Mutter mit ihrem Kind und sieht sich Hamster an. Im hinteren Teil des Ladens stehen Aquarien mit Fischen, Käfige mit Kanarienvögeln und Plastikdosen mit lebenden Insekten. Tiere sind auch eine Ware. Das mag geschmacklos klingen, es bleibt eine Tatsache. Der Hund ist das wohl älteste Haustier und auch auf diesem Markt gibt es Konjunkturen und Moden: Mit Paris Hilton lag etwa der Chihuahua im Trend. Und heute? Haben die Menschen in der Pandemie häufiger Tiere gekauft? Könnte man gar sagen: Einsame Menschen kaufen mehr Haustiere?
Das beliebteste Haustier: der Hund
Die Antwort der Verkäuferin bei Fressnapf in Hollerich lautet: „Ja! Wir haben deutlich mehr Kunden, die sich neue Tiere gekauft haben und die nun eine komplette Grundausstattung brauchen“, sagt sie. „Der Boom“habe nach den Sommerferien begonnen und seither angehalten. Es sei schon auffallend, sagt sie, dass der Mensch in der Pandemie eine neue Verbindung zum Tier aufgebaut habe. Das Tier der Wahl sei dabei meist der Hund: Körbchen, Leine, Halsband – von allem werde wesentlich mehr verkauft als in anderen Jahren. Auf Platz zwei landet bei Fressnapf die Katze. Namentlich möchte die Verkäuferin nicht genannt werden, denn der neue Absatz habe ja potenziell eine Kehrseite, sagt sie. Was mit den Tieren geschehe, wenn die Pandemie wieder vorüber sei, wisse natürlich niemand. Einen ähnlichen Gedanken hat man möglicherweise auch in der Zentrale von Fressnapf. Die Presseanfrage bleibt über Wochen unbeantwortet. Gleiches gilt für die Tierhandlung Josy Welter.
In elf europäischen Ländern betreibt die Fressnapf-Gruppe insgesamt 1 500 Märkte und setzt jährlich rund zwei Milliarden Euro um. Der Nettoumsatzerlös der Fressnapf Luxembourg GmbH lag 2019 bei über 22 Millionen Euro. Der Erlös stammt aus den acht Märkten im Land. Für das Jahr der CoronaKrise liegen noch keine Zahlen vor. Doch sie dürften darüber liegen. Die Verkäuferin verweist an das Tierheim in Luxemburg. Dort habe man kaum noch Tiere, so groß sei der Ansturm gewesen.
Anruf beim Tierheim Lëtzebuerger Déiereschutzliga in Gasperich. Liliane Ferron und ihre Kollegen hatten zunächst die gegenteilige Befürchtung: Zu Beginn der Pandemie, als noch nicht klar war, ob sich das Corona-Virus auch von Haustieren auf den Mensch überträgt, fürchteten sie, Besitzer würden nun reihenweise Tiere abgeben. Das stellte sich als Fehlalarm heraus. Es wurden nicht mehr Tiere abgegeben als sonst. Es wurden aber auch nicht mehr Tiere vermittelt. Das könnte einen Grund haben: Das Tierheim spricht zunächst am Telefon mit den Interessenten
Zu Beginn der Pandemie wurde Tierfutter gehamstert. Seither blieb der Absatz ungewöhnlich hoch.
und schaut, ob Mensch und Tier zusammen glücklich werden könnten. Ferron erklärt, es sei schon vorgekommen, dass jemand ein Tier für das eigene Kind haben wollte, weil dieses jetzt im Lockdown so allein sei. „Und was passiert dann nach dem Lockdown, wenn alle wieder zur Schule und zur Arbeit müssen?“, fragte Ferron da. Einmal sei ihr ganz ehrlich gesagt worden: „Dann wird der Hund eben wieder abgegeben.“An solche Interessenten würde das Tierheim natürlich kein Tier abgeben, sagt Ferron.
Die Fondsgesellschaft Allianz Global Investors hat ebenfalls in Umfragen festgestellt, dass Menschen sich in der Pandemie verstärkt Haustiere zulegen. Vereinsamung sowie der Trend zu gesunder Lebensweise dürften die Zahlen auch langfristig steigen lassen. Schon jetzt wächst die Haustierpopulation stärker als die menschliche Weltbevölkerung. Dahinter steckt, laut Fondsgesellschaft, ein enormes wirtschaftliches Potenzial. Nach Einschätzung der Fondsgesellschaft wird die Haustier-Ökonomie jährlich um fünf bis sechs Prozent wachsen, auf über 200 Milliarden Dollar im Jahr 2025.
Steigt die Nachfrage also auch hierzulande? „Definitiv“, sagt Züchterin Ileana De Matteis. Normalerweise bekommt sie eine Anfrage pro Woche für ihre Golden Retriever, seit März ist es im Durchschnitt eine Anfrage pro Tag. Wer auf ihre Webseite stößt, liest dort sofort, dass sie momentan gar keinen Wurf abzugeben hat. „Trotzdem ist der Andrang extrem. Wahrscheinlich haben es die Leute schon bei anderen Züchtern probiert und versuchen dann eben überall ihr Glück“, sagt sie. Ähnliches weiß Züchterin Nadine Feiten zu berichten.
Nachfrage verzehnfacht
„Die Anzahl an Nachfragen hat sich von März bis August verzehnfacht“. Und das, obwohl auch sie auf ihrer Homepage mitteilt, dass kein Wurf geplant ist. „Nach Absagen kamen sogar Anfragen, ob wir unsere erwachsenen Hunde denn nicht verkaufen wollen.“
Sind die Interessenten in der Pandemie auf den Hund gekommen, weil sie festgestellt haben, dass sie im Homeoffice zu selten rauskommen? „Einige wollten schon lange einen Hund und denken, jetzt ist der perfekte Zeitpunkt. Bei anderen ist es eine spontane Entscheidung und das ist problematisch“, sagt De Matteis. „Sie machen sich nicht genug Gedanken darum, wie viel Zeit ein Hund kostet. Wenn sie wieder arbeiten gehen, landet der Hund womöglich im Tierheim.“
Veränderungen im Konsum zeigen sich schon länger auf dem Markt für Tiere, Tiernahrung und Zubehör. Das Haustier wird heutzutage nicht nur gefüttert, sondern auch gepflegt, frisiert, gekleidet und am Ende eines Hundelebens folgt manchmal sogar die würdevolle Bestattung. Experten bezeichnen das als „Humanization“, also die Vermenschlichung des Tieres. Der Markt für Heimtierbedarf in Europa wird auf 25 Milliarden Euro geschätzt. Ob das Tier den Luxus genießt, ist fraglich. Der Markt aber profitiert ohne Frage, wie man auch bei Bauhaus weiß.
Pet Economy
„Das Thema Tier war Jahre nicht relevant für uns, kommt jetzt aber wieder“, erklärt ein Sprecher von Bauhaus. Es sei ein absolutes „Trendthema“und das schon vor der Pandemie. Seit 2019 führen einige Filialen wieder Hundekörbchen und Ähnliches. Auch gekühltes Fleisch, das sogenannte Barf, sei im Kommen. Noch führt die Filiale in Luxemburg kein Tierzubehör im Sortiment – noch. Dennoch spürt auch Bauhaus in Luxemburg die neue Relevanz der Tiere, etwa an der Nachfrage bei Vogelfutter. „2020 ist der Umsatz von Ganzjahres- sowie Wintervogelfutter gegenüber den Vorjahren überproportional gestiegen.“Das Unternehmen sieht das als Hinweis darauf, dass die Themen Nachhaltigkeit und Naturschutz bei den Kunden immer wichtiger werden.
Hornbach verkauft alles, was man sich rund um Hund, Katze, Pferd oder Nagetier anschaffen kann. „Das Jahr 2020 war ein extrem starkes Jahr“, sagt Florian Preuß. Damit spricht er für den Markt in Luxemburg und für die insgesamt 161 Filialen der Gruppe in neun Ländern Europas. Alle Bereiche seien in der Krise gewachsen (mit einer Ausnahme: Autozubehör). Als Konzern beziffert Hornbach sein Umsatzwachstum zwischen 14 und 18 Prozent. Und das, obwohl viele Baumärkte in Europa lange aufgrund der Pandemie geschlossen waren. „Luxemburg ist ja eine große Ausnahme”, sagt Preuß.
Im März setzten die Hamsterkäufe beim Tierfutter ein. Auch den Rest des Jahres blieben die Zahlen höher als sonst üblich. Am Anfang sei der Ansturm mit dem auf Toilettenpapier gleichzusetzen, sagt Preuß, aber da die Nachfrage dauerhaft hoch blieb, „denke ich schon, dass die Erklärung ist, dass offensichtlich mehr Tiere versorgt werden mussten“. Einen weiteren Ansatz hat Preuß noch: Vielleicht wollten die Halter auch ihren Tieren in der Krise etwas Besonderes gönnen. Die Ausgabebereitschaft sei höher gewesen als sonst, weil andere Kosten wegfielen: kein Urlaub, keine Besuche in Cafés und Kneipen. Es ist nicht das erste Mal, dass Preuß eine solche Verschiebung beobachtet. Er ist seit zwölf Jahren im Unternehmen. „2010 haben wir Ähnliches beobachtet. Damals waren es die Ausläufer der Finanzund Wirtschaftskrise. Auch damals haben Bau- und Gartenmärkte von diesem Rückzug ins eigene Zuhause profitiert.“Bleibt zu hoffen, dass Hund, Katze, Hamster und Co. dort nicht bald ganz alleine hocken.