Bilder einer leidenden Frau
Warum die „Coppa Volpi“für Vanessa Kirbys Darstellung in „Pieces of a Woman“verdient ist
Der Ruf als „harte Kost“eilt der Produktion offenbar voraus. Eine Kollegin, die sich viel und intensiv mit Leinwandstoffen beschäftigt, schrieb nach dem erstem Redebedarf über „Pieces of a Woman“: „hat dat och héieren ...“. Das ist auch nicht verwunderlich. Nicht erst seit der breiten Veröffentlichung hat dieser Film Wellen geschlagen. Denn die Hauptfigur, Martha, verliert ihr Kind schon kurz nach der Hausgeburt. Wer ist schuld? Woran lag es? Wie soll das Leben jetzt noch weitergehen? Ist damit alles nie mehr wie zuvor?
Kaum etwas ist so schockierend wie der Tod des eigenen Kindes. Und was die vor Kurzem auf Netflix verfügbare Eigenproduktion der er ein Kind erwartete, basiert, setzt dem Ganzen noch die Krone auf. Zwar wird die Geschichte durch und durch US-amerikanisiert, aber das ändert nichts an der Intensität, die insbesondere den Darstellern wie Vanessa Kirby zu verdanken ist.
Kirby gibt dieser Martha in den Momenten der Veränderung eine Vielfalt von Facetten. Diese ist eigentlich eine taffe Frau, die einen für sie perfekten Mann gefunden hat, mit dem sie eine Tochter erwartet (Shia LaBeouf, dem schauspielerisch in der Maske mit Bart und Mütze vielleicht zu viel Ausdruck geraubt wird).
In den zum Teil bühnenartigen Szenen, die nicht geschnitten sind und die die inneren, schnell veränderten Gedankenprozesse zum Ausdruck bringen, fügt Kirby immer neue mimische und gestische Komponenten dazu. Dafür ist dann auch die „Coppa Volti“als beste
Darstellerin bei den Filmfestspielen von Venedig mehr als verdient.
Markant haften bleibt die Geburtsszene, die direkt an die anfänglich eingefangene Vorfreude des werdenden Paares angehängt wird. Schon der Bruch, dass die eigentlich vertraute Hebamme nicht zur Hausgeburt kommen kann, schafft Unruhe. Den Darstellern gelingt es, diese Verwirrung und Verstörung immer weiter zu intensivieren, als es dann zu Komplikationen kommt.
Sog in das Leid
Das nimmt mit – und ein Sog in diesen Strudel des Leids beginnt. Zwischen dem Verfall des bisherigen Lebens, den familiären Veränderungen und Konfrontationen, dem stummen Aufgeben und dem gewaltsamen Aufbäumen folgt die filmische Erzählung dann in Monatsschritten ihren Figuren. Immer
wieder fängt die Kamera von Benjamin Loeb dazu auch Stimmungen und Anknüpfungen an die Natur und das Wetter ein; Szenen voller Grau und Trostlosigkeit, die den düsteren Schleier auf der Zuschauerseele noch vertieft. So ist dieser Film sicherlich in seiner Intensität stark und dadurch auch so erschütternd; aber das muss man dann auch aushalten können.
Ist allerdings das Ende ein zu starkes Zugeständnis, dass die Zeit fast alle Wunden heilt? Ohne zu viel zu verraten, hellt sich der Film deutlich und sichtbar auf. Aber ist das zu viel Kino und zu wenig Realität? Bei all den als authentisch spürbaren Szenen wirkt gerade das nicht so lebensecht. Dass das Thema, das noch immer oft mit Tabus behaftet ist, aber so und jenseits der Festivals, in denen der Film um Anerkennung ringt, in die Öffentlichkeit kommt, ist an sich schon ein großer Wert.