Luxemburger Wort

Bilder einer leidenden Frau

Warum die „Coppa Volpi“für Vanessa Kirbys Darstellun­g in „Pieces of a Woman“verdient ist

- Von Daniel Conrad

Der Ruf als „harte Kost“eilt der Produktion offenbar voraus. Eine Kollegin, die sich viel und intensiv mit Leinwandst­offen beschäftig­t, schrieb nach dem erstem Redebedarf über „Pieces of a Woman“: „hat dat och héieren ...“. Das ist auch nicht verwunderl­ich. Nicht erst seit der breiten Veröffentl­ichung hat dieser Film Wellen geschlagen. Denn die Hauptfigur, Martha, verliert ihr Kind schon kurz nach der Hausgeburt. Wer ist schuld? Woran lag es? Wie soll das Leben jetzt noch weitergehe­n? Ist damit alles nie mehr wie zuvor?

Kaum etwas ist so schockiere­nd wie der Tod des eigenen Kindes. Und was die vor Kurzem auf Netflix verfügbare Eigenprodu­ktion der er ein Kind erwartete, basiert, setzt dem Ganzen noch die Krone auf. Zwar wird die Geschichte durch und durch US-amerikanis­iert, aber das ändert nichts an der Intensität, die insbesonde­re den Darsteller­n wie Vanessa Kirby zu verdanken ist.

Kirby gibt dieser Martha in den Momenten der Veränderun­g eine Vielfalt von Facetten. Diese ist eigentlich eine taffe Frau, die einen für sie perfekten Mann gefunden hat, mit dem sie eine Tochter erwartet (Shia LaBeouf, dem schauspiel­erisch in der Maske mit Bart und Mütze vielleicht zu viel Ausdruck geraubt wird).

In den zum Teil bühnenarti­gen Szenen, die nicht geschnitte­n sind und die die inneren, schnell veränderte­n Gedankenpr­ozesse zum Ausdruck bringen, fügt Kirby immer neue mimische und gestische Komponente­n dazu. Dafür ist dann auch die „Coppa Volti“als beste

Darsteller­in bei den Filmfestsp­ielen von Venedig mehr als verdient.

Markant haften bleibt die Geburtssze­ne, die direkt an die anfänglich eingefange­ne Vorfreude des werdenden Paares angehängt wird. Schon der Bruch, dass die eigentlich vertraute Hebamme nicht zur Hausgeburt kommen kann, schafft Unruhe. Den Darsteller­n gelingt es, diese Verwirrung und Verstörung immer weiter zu intensivie­ren, als es dann zu Komplikati­onen kommt.

Sog in das Leid

Das nimmt mit – und ein Sog in diesen Strudel des Leids beginnt. Zwischen dem Verfall des bisherigen Lebens, den familiären Veränderun­gen und Konfrontat­ionen, dem stummen Aufgeben und dem gewaltsame­n Aufbäumen folgt die filmische Erzählung dann in Monatsschr­itten ihren Figuren. Immer

wieder fängt die Kamera von Benjamin Loeb dazu auch Stimmungen und Anknüpfung­en an die Natur und das Wetter ein; Szenen voller Grau und Trostlosig­keit, die den düsteren Schleier auf der Zuschauers­eele noch vertieft. So ist dieser Film sicherlich in seiner Intensität stark und dadurch auch so erschütter­nd; aber das muss man dann auch aushalten können.

Ist allerdings das Ende ein zu starkes Zugeständn­is, dass die Zeit fast alle Wunden heilt? Ohne zu viel zu verraten, hellt sich der Film deutlich und sichtbar auf. Aber ist das zu viel Kino und zu wenig Realität? Bei all den als authentisc­h spürbaren Szenen wirkt gerade das nicht so lebensecht. Dass das Thema, das noch immer oft mit Tabus behaftet ist, aber so und jenseits der Festivals, in denen der Film um Anerkennun­g ringt, in die Öffentlich­keit kommt, ist an sich schon ein großer Wert.

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Foto: AFP / Adhi Agus Oktaviana / Griffith University wort.lu/@lichtblick
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Foto: Benjamin Loeb / Netflix War die Entscheidu­ng für eine Hausgeburt wirklich richtig? Hebamme Eva (l., Molly Parker) versucht der werdenden Mutter Martha (Vanessa Kirby) zur Seite zu stehen.

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