Der vierte Mann
Während die CDU noch ihren neuen Chef sucht, scheint Jens Spahn schon einen Schritt weiter zu sein
Wer Parteifreunde wie den CDUSpitzenkandidaten für die rheinland-pfälzische Landtagswahl hat, braucht die sprichwörtlichen Feinde tatsächlich nicht. Exakt eine Woche, ehe die größte deutsche Regierungspartei nach fast einem Jahr endlich ihren neuen Vorsitzenden wählen wird, gibt Christian Baldauf ein Interview, in dem es auch darum geht, ob der Neue im Konrad-Adenauer-Haus automatisch der Kandidat für die Angela-Merkel-Nachfolge im Kanzleramt ist.
Vielleicht hat, was der Jurist und Fraktionschef im Landtag in Mainz der „Zeit“antwortet, auch mit seiner unglaublichen Unbekanntheit zu tun. Wer „Baldauf“in die weltgrößte Internet-Suchmaschine tippt, erhält als Ergänzungen „Käse“, „Wein“und „Parkett“– „Christian“nicht. Dabei ist der Mann seit 20 Jahren Abgeordneter, er war auch schon Landesvorsitzender seiner Partei. Er will Ministerpräsident werden. Aber in Berlin läuft er noch nicht einmal unter Christian Wer? Da kann eine fette Schlagzeile nicht schaden.
Jens Spahn produziert genau die in einem fort. Das ist kein Wunder, sondern blanke Selbstverständlichkeit. Kein Mitglied des Kabinetts Merkel IV steht seit dem Beginn der Pandemie im Frühjahr so im Zentrum von Ereignissen, Entwicklungen und Erschrecken wie der Bundesgesundheitsminister. Niemand – nicht einmal die Kanzlerin, seine CDU-Parteifreundin Angela Merkel – wird allein an Statistiken, Kurvenverläufen und im Tagesturnus abzuliefernden Erfolgsnachrichten gemessen. Niemand allerdings – und schon gar nicht die Bundeskanzlerin – versucht Covid-19 so sehr zum eigenen Vorteil zu nutzen. Allenfalls noch Markus Söder.
Jens Spahn gefällt die Rolle von Markus Söder
Das hat insofern eine innere Logik, als der bayrische Ministerpräsident eine Rolle hat, die auch Spahn gefallen könnte. Söder, der CSU-Mann, gilt als gar nicht so geheimer Geheimfavorit für die Kanzlerkandidatur der Union bei der Bundestagswahl im September. Noch wichtiger aber: Werden die Deutschen gefragt, wen sie sich denn als Nachfolger – oder auch Nachfolgerin – von Merkel wünschen, räumt regelmäßig Söder die meisten Prozente ab. Und Spahn rangiert – wenn auch mit Abstand – dahinter. Klar und deutlich vor den CDU-Vorsitz-Bewerbern Friedrich Merz, Armin Laschet und Norbert Röttgen – in der Reihenfolge.
Im Berliner Regierungsviertel allerdings wird eher nicht deshalb auf Kandidat komm raus spekuliert. Sondern weil Spahn, einerseits, ja als „Sidekick“von Laschet, irgendwie mit im Rennen um die Nachfolge am ChefSchreibtisch im Konrad-Adenauer-Haus ist. Und weil er, andererseits, vieles dafür tut, als Kanzlerbewerber im Gespräch zu sein. Und nur sehr wenig dagegen.
Der „Bild“-Zeitung – die vom Gerüchte-Geschäft lebt – kommt das zupass; obendrein ist sie Spahn gewogen. Zuletzt erwies sich das in den Querelen darum, wer die Verantwortung für die Impfstoff-Knappheit in Deutschland trage: der Minister – oder die Kanzlerin. „Bild“schlug sich klar auf die Spahn-Seite. Als dann der als seriöser geltende „Spiegel“am Samstag einen langen Artikel darüber druckte, dass und wie Spahn seine Kanzlerkandidatenchancen sondiere: Da wurden die Mutmaßungen plötzlich richtig ernst genommen. So sehr, dass Spahn umgehend dem „Bild“-Schwesterblatt „Welt am Sonntag“in einem Interview zum Thema Kanzlerkandidatur sagte: „Nein, ich trete als stellvertretender Vorsitzender der CDU an.“
Alle CDU-Granden geben sich harmlos
Das war haarscharf an der Frage vorbeigeantwortet. Sowieso halten nicht alle im Regierungsviertel und anderswo in der Republik das für die ganze Wahrheit. Seit Spahn vor Weihnachten in einem Podcast für das Nachrichtenportal „The Pioneer“, das Thema Laschet umkreisend, sagte „Wahlkampf heißt auch deswegen Wahlkampf, weil die Leute sehen wollen, dass man kämpft“: Seitdem spätestens glaubt niemand mehr, dass er sich wirklich als Partner des NRW-Ministerpräsidenten versteht. Das Problem für „Bild“wie für den „Spiegel“und alle anderen, die Spahns KanzlerPlan als Tatsache verkaufen: Sie können nicht eine einzige namentliche Quelle dafür nennen.
Heißen muss das gar nichts. So lange nicht heraus ist, wer am Ende die Macht in der CDU haben wird, tun alle so harmlos wie sie nur irgend können. Geredet wird hinter breit vorgehaltenen Händen. Da allerdings jede Menge. Und insofern ist Christian Baldauf, der Mann aus Mainz, die absolute Ausnahme. Er verrät zwar nicht, wen er am Samstag wählt. Aber er sagt etwas, das die „Zeit“, ohne irgendetwas zu verfälschen, in die Schlagzeile fasst: „Spahn und Söder wären hervorragende Bewerber“. Und das – heißt dann schon etwas. Was auch immer.
Niemand versucht Covid-19 so sehr zum eigenen Vorteil zu nutzen wie Jens Spahn.
So lange nicht heraus ist, wer am Ende die Macht in der CDU haben wird, tun alle so harmlos wie sie nur können.