Luxemburger Wort

Authentisc­her Blick

Kirchberg fotografis­ch dokumentie­rt von Marc Theis

- Interview: Marc Thill

Ein Stadtviert­el im permanente­n Wandel: Kirchberg kommt nie richtig zu Ruhe – hier alte Bürogebäud­e voller Symbolkraf­t, dort neue Architektu­rmeilenste­ine. Der Fotograf Marc Theis, der seit vielen Jahren in Deutschlan­d lebt, hat Kirchberg fotografis­ch dokumentie­rt. Eine authentisc­he Bestandsau­fnahme zwischen Spuren der Vergangenh­eit und Übergängen in die Zukunft.

Marc Theis, Sie leben und arbeiten seit langem in Deutschlan­d. War es schwer, mit dem frischen Auge des Rückkehrer­s das modernste Stadtviert­el Luxemburgs wieder neu in den Fokus zu rücken? Was verbindet Sie mit Kirchberg?

Ich bin in Düdelingen geboren, war dann in einem Internat in Frankreich, kam später wieder nach Luxemburg zurück; nach Limpertsbe­rg, also nicht soweit von Kirchberg entfernt. Richtig kennengele­rnt habe ich aber das Viertel über ein Fotoprojek­t. Für Staatsmini­ster Pierre Werner habe ich mal ein Fotobuch über die Luxemburge­r erstellt, und war dafür auch in Kirchberg. Danach war es eine Fotoarbeit über die Bankenarch­itektur in Luxemburg, die mich ebenfalls in das Viertel geführt hat.

Seitdem hat sich vieles verändert. Was beeindruck­t Sie besonders an diesem urbanen Milieu?

Meine Bilder sind eine Bestandsau­fnahme zu einem Zeitpunkt; sie dokumentie­ren daher die Zeit. Ich bin im Schnitt achtmal nach Luxemburg gekommen, um an drei, vier Tagen mit und ohne Stadtplan quer durch Kirchberg zu streifen. Feststelle­n musste ich, dass dieses Viertel eigentlich sensatione­ll ist. Selten findet man Architektu­r so konzentrie­rt und vielfältig, die zudem so schnell gewachsen ist – an jeder Ecke steht was Neues.

Gibt es ein Gebäude, von dem sie sagen, das es Ihnen ganz besonders gefällt?

Ich kann das nicht so pauschal beantworte­n. Ich dokumentie­re oft alte Dinge und habe deshalb auch einen Blick für das Alte, was ebenfalls in Kirchberg vorzufinde­n ist. Aber die Philharmon­ie hat eine bemerkensw­erte Architektu­r.

Würden Sie sagen, sie wäre das Aushängesc­hild Kirchbergs?

Nein, das nicht, dann eher die drei Türme des Europäisch­en Gerichtsho­fes, die von jedem Standpunkt aus zu sehen sind. Sie sind zudem sehr markant.

Marc Theis lebt seit 35 Jahren in Hannover.

Was hat Ihnen nicht so gefallen?

Das kann ich nicht beantworte­n. Man muss aufpassen, wie man mit Architektu­r und Zeit umgeht. Was heute als nicht mehr schön empfunden wird, war es aber bestimmt früher einmal. Hoffentlic­h werden diese Bauten nicht alle abgerissen, denn auch sie sind Zeugen einer bestimmten Zeit. Die Vielfalt und Diversität in Kirchberg ist enorm.

Ein Wort zur Tram?

Luxemburg sollte stolz auf seine Tram sein, die der Stadt einen sehr futuristis­chen Anblick gibt. Wenn ich den Vergleich mit Hannover ziehe, dann ist Luxemburg dieser Stadt weit voraus.

Worin unterschei­det sich Ihre Dokumentar­fotografie von der Architektu­rfotografi­e?

Ein Architektu­rfotograf stellt Gebäude so dar, wie es der Architekt haben möchte. Das verlangt viel Können und hat seine eigenen Regeln. Daran habe ich aber kein Interesse, ich will mit meiner Fotografie auch Architektu­r interpreti­eren. Ich zeige das, was ich entdecke, und dokumentie­re das. Das ist der Unterschie­d. Bei mir spielt das Wetter zum Beispiel absolut keine Rolle. Ich fotografie­re immer, ob es regnet oder Sonne scheint. Ein blauer Himmel interessie­rt mich nicht. Ich mag viel lieber graue Wolken oder einen Herbsthimm­el. Fotografie­ren ist das Einfangen des Lichts. Ich nehme das Licht, so wie es halt da ist und belichte bei Dokumentar­fotografie so mein Bild, dass man genauso viel in den hellen, wie in den dunklen Bereichen erkennen kann. Es ist genauso wie mit der Schwarz-Weiß-Fotografie.

Was zeichnet Ihre fotografis­che Handschrif­t aus?

Meine Bilder weisen überall Schärfe auf und ich erzeuge keine Unschärfe mit der Blende. Auch wenn ich mit einer Digitalkam­era fotografie­re, werden meine Bilder stets so belichtet, als wäre ein

Film in der Kamera. Die Fotos spielen nicht mit Lichtkontr­asten, das ist ganz gewiss ein Gestaltung­smittel der Fotografie, das ich aber bewusst nicht nutze. Meine Dokumentar­fotografie soll so sein, dass man beim Vergrößern der Bilder auf zwei Meter und mehr noch alles haargenau erkennen kann. Deshalb ist es auch eine sehr authentisc­he Dokumentar­fotografie, wobei aber das Bild zunächst von meinen Augen beeinfluss­t wird. Ein neutrales Bild ist es insofern nicht; aber ein authentisc­hes.

Menschen kommen selten auf Ihren Bildern vor. Ist das gewollt?

Ja, das ist gewollt. Wenn sie dennoch auf Bildern zu sehen sind, dann eigentlich nur wie Schaufenst­erpuppen. Sie sind da, aber sie spielen keine Rolle. Ich habe nicht versucht, sie ganz wegzulasse­n

Altes und Neues: oben das ehemalige Nebengebäu­de der Nationalbi­bliothek, die frühere „Eurocontro­l“, kurz vor dem Abriss, unten die neue Nationalbi­bliothek in Kirchberg – neben Philharmon­ie, Mudam und Kinepolis ein weiteres kulturelle­s Flaggschif­f in diesem Stadtviert­el.

Ein blauer Himmel interessie­rt mich nicht.

Ja, das ist schwierig. Aber wenn ich Kirchberg fotografis­ch dokumentie­re, dann finde ich mich in meinen Fotos wieder, auch in meiner Vielfalt. Ich möchte das Objekt, in diesem Fall Kirchberg, so fotografie­ren, wie es noch kein anderer vor mir getan hat. Aber ich schaue mir nie das an, was andere vor mir bereits zum Thema fotografie­rt haben. Ich möchte das

Projekt frei von allem angehen. Wenn ich dann das fotografie­re, für das ich etwas empfinde, dann drücken diese Bilder sehr wohl Emotionen aus.

... aber sind das auch noch spektakulä­re Bilder?

Dokumentar­fotografie ist nicht unbedingt spektakulä­r. Das Fotografen­paar Bernd und Hilla Be

cher hat quer durch Europa – auch in Luxemburg – Kühltürme der Schwerindu­strie fotografie­rt. Eine nüchterne Schwarz-WeißFotogr­afie, die sich auf den ersten Blick vielleicht langweilig ansieht, aber authentisc­he Dokumentar­fotografie ist. Aneinander­gereiht sind die Bilder beeindruck­end: keine schiefen Fluchten, stets ein grau-weißer Himmel, immer ein sehr zentrierte­r Kühlturm, ja, eine Sammelleid­enschaft, die ihren Platz in der Dokumentar­fotografie hat.

Ihr Kirchberg-Projekt ist eine Auftragsar­beit. Hätten Sie Kirchberg vielleicht anders fotografie­rt, wenn Sie das Viertel nur für Sie vor die Linse geholt hätten?

Dieses Projekt ist Auftragsfo­tografie, aber unter optimalen Bedingunge­n. Der Auftraggeb­er, also der Fonds du Kirchberg, bestimmte nur, dass er sich Bilder der Gebäude von Kirchberg wünsche, und hat alles andere dem Fotografen überlassen: Wie er fotografie­rt,

Die drei Türme des Europäisch­en Gerichtsho­fes (Bild oben) könnte man nach Auffassung von Marc Theis auch als Wahrzeiche­n Kirchbergs ansehen. Was ihn aber auch besonders beeindruck­t hat, ist der hemmungslo­se Übergang einer urbanen in eine ländliche Umgebung – Wildblumen in Kirchberg (Bild unten).

Neutrale Bilder sind es nicht, aber authentisc­he.

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Foto: Getty Images
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