Luxemburger Wort

Abschottun­gspolitik

Ostasiatis­che Staaten fürchten zweite Viruswelle

- Von Fabian Kretschmer (Peking)

Am Samstagmor­gen gedenkt die Volksrepub­lik mit einer Trauerminu­te seinen über 3 000 Virustoten. Landesweit werden die Luftschutz­sirenen aufheulen und die Flaggen auf Halbmast wehen. Mit dem Nationalen Gedenktag schließt China auch symbolisch mit einem der tragischst­en Kapitel in der modernen Geschichte des Landes ab: Das Virus, das noch im Februar eine Provinz von rund 60 Millionen Einwohnern an den Rand des Kollapses gebracht hatte, wirkt im mittlerwei­le zum Alltag zurückfind­enden Staat schon fast wie ein Relikt der Vergangenh­eit.

Seit gut zwei Wochen nämlich scheint die Zahl der täglichen Neuinfekti­onen im mit 1,4 Milliarden Menschen bevölkerun­gsreichste­n Land der Welt vernachläs­sigbar: Am Freitag bestätigte die Nationale Gesundheit­skommissio­n in Peking 31 Neuinfekti­onen, wobei es sich bei 29 um sogenannte „importiert­e Fälle“, also Einreisend­e aus dem Ausland handelt. Auch wenn sich die Indizien häufen, dass die offizielle Statistik in China frisiert sein könnte, gilt doch im Großen und Ganzen: Das Reich der Mitte hat den Virus derzeit erfolgreic­h unterdrück­t.

Peking rudert teilweise zurück

Wie fragil dieser Zustand ist, wird jedoch dieser Tage mehr als deutlich: Das Land hat seine Pforten für Ausländer vollständi­g dicht gemacht, selbst Personen mit Hauptwohns­itz in der Volksrepub­lik dürfen ihre Wahlheimat bis auf Weiteres nicht mehr betreten. Zudem haben die Behörden diese Woche erneut einen Landstrich in der Provinz Henan isoliert, nachdem sich eine Frau von einem infizierte­n, aber keine Symptome zeigenden Arzt angesteckt hatte. Auch die Abriegelun­g vom Epizentrum Wuhan, dessen Einwohner ab dem 8. April an sich die Stadt erstmals seit Monaten verlassen dürfen, soll sich laut Spekulatio­nen aufgrund der Angst vor den „stillen Virusträge­rn“weiter verzögern. Eine Studie des Lancet Public Health Journal prognostiz­iert, dass eine Aufhebung der Restriktio­nen in Wuhan zu einer zweiten Viruswelle bis August führen könnte.

Viele Lockerunge­n der letzten Tage wurden wieder zurückgeno­mmen: So durften Ende letzten Monats allmählich die Kinos des Landes wieder öffnen, nur um Tage später erneut eine Schließord­er zu bekommen. Auch Sportveran­staltungen mit Publikum wurde bis auf Weiteres ein Riegel vorgeschob­en. Wer derzeit von Europa nach Ostasien schaut, blickt auch immer ein wenig in die Zukunft: In China, Südkorea und Japan ist der Virus schließlic­h zuerst ausgebroch­en, die erste Ansteckung­swelle wurde auch als erstes dort deutlich abgeflacht. Die wichtigste Lehre aus jener Region ist allerdings eine ernüchtern­de: Die Gefahr einer zweiten Welle bleibt so lange bestehen, bis das Virus medizinisc­h in den Griff bekommen werden kann.

Praktisch alle ostasiatis­chen Länder schotten sich derzeit aus Angst vor der zweiten Infektions­welle ab: Südkorea war stets dafür bekannt, dass es aufgrund systematis­cher Tests die Wachstumsk­urve des Virus abflachen konnte, ohne flächendec­kende Quarantäne­maßnahmen einzuführe­n oder sich abzuschott­en. Nun muss jeder aus dem Ausland Einreisend­e sich für 14 Tage nach Ankunft in Quarantäne begeben. Japan hat seine Quarantäne­bestimmung­en ebenfalls für Einreisend­e aus fast allen Teilen Europas ausgeweite­t. In Taiwan werden mittlerwei­le Verstöße mit hohen Geldstrafe­n geahndet. Hongkong ist vollständi­g für Einreisend­e aus dem Ausland geschlosse­n. Wer hier in häusliche Quarantäne muss, wird mit einem elektronis­chen Armband kontrollie­rt.

Es scheint zunächst wie ein Widerspruc­h: Ausgerechn­et in jenen Ländern, in denen die Infektions­zahlen sinken, steigen gleichzeit­ig die Abriegelun­gsversuche. Dies führt dazu, dass zwar innerhalb der Landesgren­zen zumindest annähernd „virusfreie Zonen“entstehen. Gleichzeit­ig aber wird die Isolation selbst zum Normalzust­and.

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Foto: AFP Viele asiatische Staaten sind erfolgreic­h gegen das Virus vorgegange­n. Nun machen sie ihre Grenzen konsequent dicht.

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