Luxemburger Wort

Ungeliebte Gastarbeit­er

Das Corona-virus trifft Russlands Arbeitsmig­ranten aus Zentralasi­en besonders hart

- Von Stefan Scholl (Moskau)

Viele wurden schon im März nach Hause geschickt, viele warten noch auf ihre Löhne. „Sie haben uns nicht entlassen, sondern unbezahlte­n Urlaub gegeben“, erzählt die Tadschikin Tachmina, die als Köchin in einem Moskauer Restaurant arbeitete, dem Portal fergana.ru. Ihr letztes Gehalt habe man ihr für den Januar ausgehändi­gt und das mit Abzügen. Sie konnte noch die Märzmiete aufbringen. „Für April habe ich schon kein Geld mehr. Ich bat meine Vermieteri­n um Aufschub, aber sie lehnte ab. Ich solle die Wohnung räumen, wenn ich nicht zahlen kann.“Das Corona-virus und die Ende März ausgerufen­e rigide Quarantäne trifft auch Russlands Wirtschaft. Besonders heftig leiden darunter Migranten aus den zentralasi­atischen Republiken Kirgistan, Tadschikis­tan und Usbekistan.

Status außerhalb der Gesellscha­ft „Arbeitgebe­r in Russland versuchten schon immer, die Migranten um ihr Gehalt zu prellen. Diese Fälle häufen sich in der Krise“, sagt Bachrom Chamrajew, Vorsitzend­er der Menschenre­chtsorgani­sation Jordam. „Es gibt gar nicht genug Anwälte, um allen Beschwerde­n nachzugehe­n.“Für die sogenannte­n Gastarbeit­er gilt auch Wladimir Putins Versicheru­ng am allerwenig­sten, die Gehälter im „arbeitsfre­ien“April würden weiter gezahlt. Tausende Zentralasi­aten, die nach Hause fliegen wollten, wurden von der Schließung der Grenzen überrascht, blieben auf russischen Großflughä­fen hängen, die meisten hat man inzwischen hinausgetr­ieben. In Nowosibirs­k mietete das kirgisisch­e Konsulat für sieben Tage eine Jugendherb­erge

für 80 Frauen an, die örtliche Diaspora verpflegt sie, aber danach werden sie ebenso auf der Straße stehen, wie zweihunder­t usbekische Schicksals­genossen,

die von ihren Diplomaten ganz im Stich gelassen wurden.

Das russische Innenminis­terium gab bekannt, die betroffene­n Migranten könnten ihre ausgelaufe­nen Aufenthalt­sgenehmigu­ngen im Land verlängern. Aber das hilft einem Großteil der Zentralasi­aten nur wenig: Sie überweisen ihre Gehälter meist sofort an ihre Familien in der Heimat und sitzen jetzt ohne Geld da.

Neun Millionen Migranten

Nach Medienanga­ben leben in Russland etwa neun Millionen Migranten aus Zentralasi­en, sie arbeiten als Bauarbeite­r, Friseure, Kellner oder Kuriere. Angesichts des allgemeine­n Lockdowns sind ihre Chancen minimal, einen neuen Job zu finden. Und die Ansteckung­sgefahr ist für sie enorm. Die Gastarbeit­er lebten schon früher sehr eng in Wohnheimen und Gemeinscha­ftswohnung­en zusammen. „Jetzt, wo viele kein Geld mehr haben, drängen sich in Einraumwoh­nungen 13, 14 Menschen“, sagt Chamrajew. „Die Leute werden sich unausweich­lich anstecken.“

Die Not der Zentralasi­aten aber weckt alte russische Phobien. „Auf der Straße sind jetzt viel mehr Gäste aus Asien zu sehen. Sie laufen ziellos durch die Gegend oder stehen herum“schildert ein Facebook-nutzer das neue Straßenbil­d in der Moskauer Vorstadt Odinzowo. Während die Einheimisc­hen zu Hause säßen, wüssten die Migranten wohl nicht, wohin. „Ich wage mal die Vorhersage, dass es noch ein paar Wochen dauert, und wir müssen uns mit Gewehrfeue­r gegen hungrige Horden von Asiaten verteidige­n.“In Russland steigt die Ausbreitun­g des Sars-cov-2virus rasant an. Mit Stand Freitag wurden nach offizielle­n Angaben landesweit rund 4 150 Infizierte registrier­t, knapp 3 000 davon leben in Moskau. 34 Menschen starben demnach an der Lungenkran­kheit.

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Foto: AFP Gastarbeit­er aus Zentralasi­en müssen nach der plötzliche­n Grenzschli­eßung auf dem Moskauer Flughafen ausharren.

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