Ungeliebte Gastarbeiter
Das Corona-virus trifft Russlands Arbeitsmigranten aus Zentralasien besonders hart
Viele wurden schon im März nach Hause geschickt, viele warten noch auf ihre Löhne. „Sie haben uns nicht entlassen, sondern unbezahlten Urlaub gegeben“, erzählt die Tadschikin Tachmina, die als Köchin in einem Moskauer Restaurant arbeitete, dem Portal fergana.ru. Ihr letztes Gehalt habe man ihr für den Januar ausgehändigt und das mit Abzügen. Sie konnte noch die Märzmiete aufbringen. „Für April habe ich schon kein Geld mehr. Ich bat meine Vermieterin um Aufschub, aber sie lehnte ab. Ich solle die Wohnung räumen, wenn ich nicht zahlen kann.“Das Corona-virus und die Ende März ausgerufene rigide Quarantäne trifft auch Russlands Wirtschaft. Besonders heftig leiden darunter Migranten aus den zentralasiatischen Republiken Kirgistan, Tadschikistan und Usbekistan.
Status außerhalb der Gesellschaft „Arbeitgeber in Russland versuchten schon immer, die Migranten um ihr Gehalt zu prellen. Diese Fälle häufen sich in der Krise“, sagt Bachrom Chamrajew, Vorsitzender der Menschenrechtsorganisation Jordam. „Es gibt gar nicht genug Anwälte, um allen Beschwerden nachzugehen.“Für die sogenannten Gastarbeiter gilt auch Wladimir Putins Versicherung am allerwenigsten, die Gehälter im „arbeitsfreien“April würden weiter gezahlt. Tausende Zentralasiaten, die nach Hause fliegen wollten, wurden von der Schließung der Grenzen überrascht, blieben auf russischen Großflughäfen hängen, die meisten hat man inzwischen hinausgetrieben. In Nowosibirsk mietete das kirgisische Konsulat für sieben Tage eine Jugendherberge
für 80 Frauen an, die örtliche Diaspora verpflegt sie, aber danach werden sie ebenso auf der Straße stehen, wie zweihundert usbekische Schicksalsgenossen,
die von ihren Diplomaten ganz im Stich gelassen wurden.
Das russische Innenministerium gab bekannt, die betroffenen Migranten könnten ihre ausgelaufenen Aufenthaltsgenehmigungen im Land verlängern. Aber das hilft einem Großteil der Zentralasiaten nur wenig: Sie überweisen ihre Gehälter meist sofort an ihre Familien in der Heimat und sitzen jetzt ohne Geld da.
Neun Millionen Migranten
Nach Medienangaben leben in Russland etwa neun Millionen Migranten aus Zentralasien, sie arbeiten als Bauarbeiter, Friseure, Kellner oder Kuriere. Angesichts des allgemeinen Lockdowns sind ihre Chancen minimal, einen neuen Job zu finden. Und die Ansteckungsgefahr ist für sie enorm. Die Gastarbeiter lebten schon früher sehr eng in Wohnheimen und Gemeinschaftswohnungen zusammen. „Jetzt, wo viele kein Geld mehr haben, drängen sich in Einraumwohnungen 13, 14 Menschen“, sagt Chamrajew. „Die Leute werden sich unausweichlich anstecken.“
Die Not der Zentralasiaten aber weckt alte russische Phobien. „Auf der Straße sind jetzt viel mehr Gäste aus Asien zu sehen. Sie laufen ziellos durch die Gegend oder stehen herum“schildert ein Facebook-nutzer das neue Straßenbild in der Moskauer Vorstadt Odinzowo. Während die Einheimischen zu Hause säßen, wüssten die Migranten wohl nicht, wohin. „Ich wage mal die Vorhersage, dass es noch ein paar Wochen dauert, und wir müssen uns mit Gewehrfeuer gegen hungrige Horden von Asiaten verteidigen.“In Russland steigt die Ausbreitung des Sars-cov-2virus rasant an. Mit Stand Freitag wurden nach offiziellen Angaben landesweit rund 4 150 Infizierte registriert, knapp 3 000 davon leben in Moskau. 34 Menschen starben demnach an der Lungenkrankheit.