„Wir rasen Richtung null zu“
Luxemburgs Autozulieferer vom Stillstand der Produktion schwer getroffen
Die Autoproduktion in Europa steht still. Als Reaktion auf die Fabrikschließungen der Hersteller hat der Reifenproduzent Goodyear gestern seine europäischen Werke – auch das in Luxemburg – geschlossen. Goodyear beschäftigt im Großherzogtum rund 3 500 Mitarbeiter, von denen die meisten nun in „Kurzarbeit“geschickt sind. Der Komponentenhersteller Cebi in Steinsel hat ebenfalls für seine Mitarbeiter „chômage partiel“beantragt. Vor einer ähnlichen Situation stehen auch die übrigen Autozulieferer im Land. Der Sektor beschäftigt mehr als 9 000 Menschen.
In Europa und vor allem in China stockte zuletzt der Autoverkauf. Mit der Zulieferbranche trifft das Corona-virus damit einen Wirtschaftszweig, der nicht nur besonders konjunkturanfällig ist, sondern sich schon seit einiger Zeit im Krisenmodus befindet.
Da ab heutigem Montag alle großen Kunden in Europa geschlossen haben und auch die Hersteller General Motors (GM), Ford und Fiat Chrysler ihre Produktion in den USA, Kanada und Mexiko bis 31. März einstellen, hat gleichfalls Carlex in Grevenmacher Kurzarbeit beantragt und die Autoscheibenproduktion zum Samstag in Luxemburg eingestellt, wie Alain Roselaer, Plant Manager von Carlex Glass in Grevenmacher, mitteilt. Diese Woche werden mit weniger als fünf Prozent der regulären Belegschaft von rund 600 Personen noch die letzten fälligen Aufträge für Kunden außerhalb Europas erfüllt. Carlex produziert Autoglas vor allem für europäische Hersteller wie BMW, Audi, Mercedes oder Bentley.
Michel Witte, Chef des Sensorherstellers IEE in Bissen und
Echternach, erklärt, dass sein Unternehmen wahrscheinlich die Werke nicht ganz schließen wird, weil das Asiengeschäft nach wie vor läuft und in Japan, Südkorea und China weiterhin Autos produziert werden. Doch einen großen Teil der rund 600 Mitarbeiter wird man in Kurzarbeit schicken müssen – so wie das inzwischen mehr als 3 000 Unternehmen in Luxemburg getan haben.
„Wir sitzen da zwischen zwei Stühlen“, sagt Witte. Noch profitiert sein Unternehmen davon, dass Restaufträge abzuarbeiten sind. Witte ist sich aber klar, dass momentan keine neuen Aufträge mehr hereinkommen. Die Werke in Echternach und der Slowakei sind dadurch maßgeblich betroffen. Auch hakt es bei den Lieferketten. Die Preise für Luftfracht sind wegen der knapper gewordenen Kapazitäten dermaßen in die Höhe geschossen, dass IEE nun auch die Transsib nutzt, was sehr gut funktioniere.
Der große Knick kommt erst
Witte rechnet damit, dass für sein Unternehmen und wahrscheinlich auch andere Autozulieferer in Luxemburg der große Einknick im Zeitraum Mai/juni sein wird. Und die Branche fiebert dem entgegen, was danach kommt. Wird nämlich die Epidemie in einer globalen Rezession enden und die Arbeitslosigkeit
steigen, werden auch weniger Autos verkauft. „Die Situation hat Ähnlichkeit mit 2008/2009“, sagt Witte, der Zeit der Weltfinanzkrise. Wenn den Unternehmen nun die Einnahmen versiegen, sei das Wichtigste, das Geld zusammenzuhalten. Alle Ausgaben wie Steuern, Kreditraten, Versicherungsbeiträge verschlimmern die Situation, sodass deren Stundung für die Unternehmen hilfreich sei.
Nicht in allen Branchen ist man zeitgleich von der Krise betroffen, und auch bei den Autozulieferern ist es von Betrieb zu Betrieb anders. Darum bleibe es auch jedem Unternehmen selbst überlassen, wie es seine Produktionskapazitäten anpasst, so Julian Proffitt, Präsident des Luxemburger Autozuliefererverbands ILEA. Klar ist, dass die Zulieferer im Land von den Entscheidungen der europäischen Automobilhersteller abhängig sind. Proffitt ist auch Geschäftsführer der Raval Europe S.A. in Niederkerschen, einem Spezialisten für Tankentlüftungsventile.
Wie groß der Schaden für die Unternehmen am Ende sein wird, hängt davon ab, ob die Autowerke ab April öffnen und wieder produzieren, oder ob sie länger geschlossen bleiben. Davon sind nicht nur die direkten Komponentenzulieferer betroffen, sondern auch Unternehmen wie Arcelormittal oder solche, die indirekt für die Autoindustrie arbeiten wie Tarkett in Eselborn, die unter anderem Teppiche herstellen, die als Verkleidung und Bodenbeläge in Fahrzeugen dienen. Damit nach der Pause der Neustart gelingt, dürfen die Lieferketten nun nicht abreißen. Befürchtet wird, dass es bis Anfang Mai dauert, bis die Produktion wieder hochgefahren wird.
Die Situation hat Ähnlichkeit mit 2008/2009. Michel Witte, Chef des Sensorherstellers IEE