Geschichten ohne Worte
Bilder sind ein universelles Medium, sie vermitteln ihre Botschaft über die Grenzen der Sprache hinaus. Diesen Vorteil nutzen eine ganze Reihe von Illustratoren, indem sie „Bandes dessinées“zeichnen, die ganz ohne Dialog auskommen. Allein mit der Macht der Bilder erzählen sie komplexe, spannende und auch hinreißende Geschichten. Diese Kunstform ist beileibe nicht neu, sie entstand mit der Tagespresse und ist mit ihr groß geworden. Das Leseerlebnis eines solchen Werkes ist natürlich ein vollkommen anderes. Man springt nicht von einer Sprechblase zur nächsten, um dem Narrativ zu folgen. Nein, man „liest“die Bilder, lässt sie auf sich wirken, versucht darin Hinweise auf den Verlauf der Story zu finden, Zusammenhänge zu entdecken, Figuren wiederzuerkennen. Die Vorstellungskraft des Lesers ist gefordert. Die stummen Bildbände als Bildergeschichten für Erwachsene abzutun, ist zu kurz gegriffen. Vielmehr erforschen die Autoren die Form der „Bande dessinée“(das deutsche Wort Comic-geschichte oder gar Comic-strip wird dieser Kunst nicht gerecht) jeder auf seine eigene, faszinierende Weise und kennen dabei keine Grenzen. Ein regelrechter Experimentator in diesem Genre ist der Franzose Marc-antoine Mathieu. Sein Konzeptcomic 3'' (3 Sekunden) ist eine buchstäbliche Gehirngymnastik für den Leser. Er besteht aus einem einzigen Zoom (sozusagen einer einzigen Kamerafahrt), der drei Sekunden lang einem Lichtstrahl folgt. Reflexionen in Spiegel und Fenster oder auf glatten Oberflächen lenken den Blick des Lesers in immer neue Richtungen und lassen ihn, wenn er denn aufmerksam ist, Indizien für die Lösung des Komplotts erkennen.