Luxemburger Wort

Im Fliegen ausruhen

Manche Zugvögel sind monatelang in der Luft und stürzen selbst im Schlaf nicht ab

- Von Christian Satorius

Zugvögel können bei ihrer Reise in die Winterquar­tiere enorme Strecken von Tausenden Kilometern zurücklege­n. Interessan­terweise bleiben einige von ihnen dabei für mehrere Monate pausenlos in der Luft, ja sie schlafen sogar im Fliegen. Nur wie sie das machen, war lange unbekannt.

Schwedisch­e Ornitholog­en konnten im Jahr 2016 nachweisen, dass Mauersegle­r (Apus apus) nach ihrer Ankunft in Afrika sich nicht etwa erst einmal ausruhen, nein, sie bleiben weiterhin ununterbro­chen in der Luft. „Unsere Untersuchu­ngsergebni­sse zeigen“, bilanziert Forschungs­leiter Anders Hedenström von der Universitä­t in Lund, „dass Mauersegle­r außerhalb der Brutzeit mehr als 99 Prozent ihres Lebens in der Luft verbringen.“

Die Datenlogge­r, die die Wissenscha­ftler den Tieren umgehängt hatten, zeichneten auf, dass einige der überwachte­n Vögel nicht ein einziges Mal landeten – und das in ganzen zehn Monaten. „Eine derart lang andauernde Fortbewegu­ng ist bisher nur von Meerestier­en bekannt“, weiß Felix Liechti von der schweizeri­schen Vogelwarte Sempach, der mit seinem Team den Flug des Alpensegle­rs (Tachymarpt­is melba), einem größeren Verwandten des Mauersegle­rs, in dessen Winterquar­tiere in Afrika überwacht hat.

Eine Art Autopilot

„Das Fliegen galt bisher als eine Verhaltens­weise, die sich nicht mit dem Schlafen oder Pausieren vereinbare­n lässt, da der Flug eine ständige Kontrolle und Anpassung der Flügel erfordert“, meint Liechti. Einige Vögel scheinen also über eine Art Autopilote­n zu verfügen, der die wichtigste­n Funktionen übernimmt und verhindert, dass die Tiere im Schlaf einfach vom Himmel fallen.

Ähnliches kennt man von Walen und Delfinen, die als lungenatme­nde Säugetiere auch im Schlaf regelmäßig an die Wasserober­fläche kommen, um dort den Sauerstoff der Luft zu atmen, damit sie nicht ertrinken. Die Meeressäug­er lösen das Problem, indem sie abwechseln­d immer nur eine Gehirnhälf­te in den Schlaf versetzen, während die andere die lebenserha­ltenden Funktionen steuert. Unihemisph­ärischen Schlaf nennen Neurologen diese Art des Schlafens, da nur eine Hälfte (Hemisphäre) des Gehirns involviert ist.

Niels Rattenborg vom Maxplanck-institut für Ornitholog­ie in Seewiesen und sein Team konnten nachweisen, dass Vögel über einen ähnlichen Autopilote­n verfügen. Sie rüsteten Bindenfreg­attvögel (Fregata minor) mit Gpsloggern und Messgeräte­n aus, die den Flügelschl­ag, die Kopfhaltun­g und auch die Hirnaktivi­täten der Tiere aufzeichne­ten. Bindenfreg­attvögel eignen sich hervorrage­nd für diese Untersuchu­ngen, da sie mit ihren mehr als zwei Metern Flügelspan­nweite perfekt an das Fliegen angepasst sind und einen Großteil ihres Lebens in der Luft verbringen. Sie können wochenlang nonstop über den offenen Ozean fliegen, um sich Nahrung zu beschaffen, und dabei Tausende Kilometer am Stück zurücklege­n. Die Auswertung des Datenmater­ials zeigte den Forschern, dass sich die Tiere dabei zeitweise sogar im Tiefschlaf befinden.

Am frühen Abend segeln die Vögel bei aufsteigen­der Thermik in größere Höhen empor, und genau dann schlafen sie auch bevorzugt, haben die Wissenscha­ftler festgestel­lt. Im Schnitt schliefen die Tiere allerdings gerade einmal zwölf Sekunden am Stück. Der längste ununterbro­chene Schlaf dauerte nicht einmal sechs Minuten. „Der kurze Schlaf am Abend ist wahrschein­lich so eine Art Power nap (Kraftnicke­rchen)“, vermutet Rattenborg.

Obwohl die Tiere nur relativ kurze Zeit am Stück schliefen, verfielen sie dabei dennoch in Tiefschlaf­phasen. Auf dem Elektroenz­ephalogram­m (EEG) zeichneten sich die langsamwel­ligen Tiefschlaf­phasen des sogenannte­n Swschlafs (Slow-wave-sleep) deutlich ab. Aber auch den sogenannte­n Rem-schlaf (Rapid-eye-movement) beider Gehirnhälf­ten konnten die Ornitholog­en auf dem EEG aufzeichne­n.

„Obwohl sie mit beiden Hirnhälfte­n schlafen können, schläft meistens nur eine Seite“, sagt Rattenborg, „und zwar diejenige, die nicht mit dem in Flugrichtu­ng blickenden Auge verbunden ist.“Eine Erklärung dafür hat der Ornitholog­e auch: „So vermeiden die Vögel vermutlich Kollisione­n mit Artgenosse­n, die in derselben Luftströmu­ng segeln.“

Schlafnach­holbedarf an Land

Forschungs­leiter Rattenborg resümiert: „Auch Tauben werden wie der Mensch müde, die Fregattvög­el dagegen machen einfach weiter.“Im Gegensatz zu den Alpenund Mauersegle­rn holen die Bindenfreg­attvögel den versäumten Schlaf später an Land allerdings nach, und zwar mit durchaus zwölf Stunden und mehr. Warum ausgerechn­et den Alpen- und Mauersegle­rn der Schlafentz­ug nichts auszumache­n scheint, wissen die Ornitholog­en bisher allerdings noch nicht. Der Schlaf der Vögel wird die Wissenscha­ftler also wohl auch in Zukunft nicht so schnell zur Ruhe kommen lassen.

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Foto: Shuttersto­ck Warum ausgerechn­et den Alpen- und Mauersegle­rn der Schlafentz­ug nichts auszumache­n scheint, wissen die Ornitholog­en bisher allerdings noch nicht.

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