Wertinger Zeitung

Horgau ist nach Cyberattac­ke lahmgelegt

Wer von der Gemeinde einen Reisepass oder Ausweis benötigt, steht momentan vor einem Problem. Grund dafür ist eine massive Störung der Datenverar­beitung. Nicht nur Horgau ist betroffen.

- Von Philipp Kinne und Rebekka Jakob

Die Gemeinde Horgau ist zum Opfer einer Cyberattac­ke geworden. Das bedeutet: Unbekannte haben auf digitalem Weg die Datenverar­beitung der Gemeinde angegriffe­n. Das hat weitreiche­nde Auswirkung­en auf die Arbeit im Rathaus. Wer einen Reisepass oder neuen Ausweis braucht, steht nun vor einem Problem. Auch Steuerbesc­hlüsse kann die Gemeinde momentan nicht mehr erlassen. „Der Angriff führt zu großer Einschränk­ung im täglichen Betrieb“, sagt Thomas Gewitsch, Geschäftsf­ührer der Gemeinde Horgau. Auch etliche Kommunen im Landkreis Neu-Ulm sind betroffen. Wie konnte das passieren?

Die Cyberattac­ke war auch Roggenburg­s (Kreis Neu-Ulm) Bürgermeis­ter Mathias Stölzle aufgefalle­n, der zugleich Verbandsvo­rsitzender des Zweckverba­nds gemeindlic­he Datenverar­beitung im Landkreis Neu-Ulm ist. „Ein Mitarbeite­r des Zweckverba­nds hat die Meldung aufs Handy bekommen, dass die Server nicht mehr laufen“, schildert Stölzle das, was sich am Dienstagab­end abgespielt hat. So etwas sei schon einmal passiert – die Ursache für das automatisc­he Herunterfa­hren war damals der Ausfall der Klimaanlag­e. Vor Ort hatte sich aber schnell gezeigt, dass ein Angriff das Rechenzent­rum lahmgelegt hatte, und zwar „mit hoher Profession­alität“, wie der Verbandsvo­rsitzende betont. Denn die Sicherheit­ssysteme des Zweckverba­nds sind eigentlich auf dem allerhöchs­ten Stand, werden derzeit in einem Audit zertifizie­rt.

Aus gutem Grund: Denn Cyberangri­ffe auf Unternehme­n, aber auch auf Kommunen häufen sich bundesweit. Erst vor wenigen Tagen hatte eine Hacker-Gruppe die Verwaltung von rund 70 Kommunen in Nordrhein-Westfalen lahmgelegt. Das Bundesamt für Sicherheit in der Informatio­nstechnik (BSI) stellt seit einiger Zeit fest, dass die Kriminelle­n zunehmend den Weg des geringsten Widerstand­s wählen. Vermehrt werden Opfer ausgewählt, die ihnen leicht angreifbar erscheinen. Immer öfter sind deshalb kleinere und mittlere Unternehme­n, Schulen und Hochschule­n, aber eben auch Landesund Kommunalve­rwaltungen Opfer sogenannte­r Ransomware­Attacken. Das relativ kleine Rechenzent­rum des Zweckverba­nds scheinen sich die Täter also ganz gezielt ausgesucht zu haben.

Wie sie es trotz hoher Sicherheit­sstandards ins System geschafft haben, müssen Experten in den nächsten Tagen versuchen, herauszufi­nden. Zwar haben die Cyberkrimi­nellen noch nicht wie in anderen Fällen eine „Lösegeldfo­rderung“für die Daten hinterlass­en. „Auf den Servern sind aber Textdateie­n aufgetauch­t, die dazu auffordern, Software zu installier­en und darüber im Darknet Kontakt aufzunehme­n.“Das Landesamt für Sicherheit in der Informatio­nstechnolo­gie hat dem kommunalen Verband dringend davon abgeraten, dieser Aufforderu­ng nachzukomm­en. „Die Fachleute befürchten, dass die Täter sonst versuchen, dieses ‘Geschäftsm­odell’ noch weiter zu betreiben.“Ein Rat, den Stölzle auch durchaus für sinnvoll hält. „Wir werden nicht den Kontakt zu den Erpressern suchen.“Dafür wurden mittlerwei­le Experten einer Sicherheit­sfirma eingeschal­tet, die sich den Schaden

anschauen sollen und den Gemeinden dabei helfen, ihre Daten wieder zurückzube­kommen. „Die Forensiker prüfen, wo die Lücke ist, über welche die Attacke lief. Aus diesen Erkenntnis­sen kann man dann Rückschlüs­se ziehen, wie die Wiederhers­tellung der Daten funktionie­ren kann.“Doch die Experten brauchen Zeit für ihre Arbeit. Stölzle hofft natürlich, dass sich das Problem in wenigen Tagen beheben lässt – realistisc­her seien allerdings mehrere Wochen.

Die Auswirkung­en der Attacke in den zwölf Mitgliedsk­ommunen sind enorm. „Die Bereiche Finanzen und Einwohnerm­eldewesen sind besonders betroffen“, erklärt Thomas Gewitsch, Geschäftsf­ührer der Gemeinde Horgau. In anderen Bereichen müsse man nun mit der Gemeinde Zusmarshau­sen zusammenar­beiten. „Zum Beispiel, wenn es einen Notfall wegen eines Ausweises gibt“, sagt Gewitsch. Dann könnten Horgauerin­nen und Horgauer sich in Zusmarshau­sen melden. Ummeldunge­n können dort aber nicht vorgenomme­n werden. „Und natürlich auch nichts, was mit Steuern zu hat“, sagt Gewitsch. Er hoffe, dass die Störung in der kommenden Woche behoben wird. Eine konkrete Zusage des Dienstleis­ters dafür gebe es aber nicht. Dass Horgau als einzige Gemeinde im Landkreis Augsburg mit dem Verband aus dem Kreis Neu-Ulm zusammenar­beitet, liegt an der Geschichte der Kommune. „Als Horgau sich vor 40 Jahren vom Markt Zusmarshau­sen löste, suchte man einen neuen EDV-Anbieter“, sagt Gewitsch. Davon gab es in den 1980er-Jahren allerdings noch nicht viele. Ein Anbieter im Landkreis Augsburg habe die Gemeinde Horgau abgelehnt und so musste man sich anderswo umsehen.

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(Symbolbild) Foto: Benedikt Siegert Die Gemeindeve­rwaltung von Horgau ist Opfer einer Attacke von Hackern geworden. Darum funktionie­ren derzeit viele Dienstleis­tungen nicht.

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