Wertinger Zeitung

„Für Evakuierun­gen ist es vielleicht schon zu spät“

Kunst Putin greift die Ukraine an – und damit auch kostbare Kulturgüte­r des Landes. Wie Museen und Sammlungen in Deutschlan­d jetzt helfen können, erklärt Hermann Parzinger. Er ist der Präsident der Stiftung Preußische­r Kulturbesi­tz.

- Interview: Edith Heindl

Als Präsident der Stiftung Preußische­r Kulturbesi­tz und als Wissenscha­ftler sind Sie seit Jahrzehnte­n eng mit Russland verbunden. Sie haben die deutschrus­sische Zusammenar­beit der Stiftung derzeit auf Eis gelegt, betonen aber Austausch und Unterstütz­ung auf zivilgesel­lschaftlic­her Ebene. Wie erfolgt das in der Praxis, unter den aktuellen politische­n Ereignisse­n?

Hermann Parzinger: Hier gibt es einen wichtigen Unterschie­d. Wir haben die offizielle­n Kontakte mit Russland – das folgt der Maßgabe der Bundesregi­erung – auf Eis gelegt, aber nicht abgebroche­n. Wir müssen die Verbindung auf persönlich­er Ebene aufrechter­halten. Mit unseren russischen Kolleginne­n und Kollegen tauschen wir uns immer wieder aus. Vieles muss man zwischen den Zeilen lesen. Es sind ja drastische Strafen erlassen worden, wenn man nur das Wort Krieg verwendet. Intellektu­elle, Kunstschaf­fende, Wissenscha­ftlerinnen und Wissenscha­ftler sehen den russischen Angriffskr­ieg in der Ukraine sehr kritisch. Das Land ist gespalten. Gleich zu Beginn der Invasion haben russische Wissenscha­ftlerinnen und Wissenscha­ftler einen offenen Protestbri­ef gegen den Krieg verfasst. Innerhalb einer Woche haben über 8000 von ihnen unterzeich­net. Das sind bemerkensw­erte Zeichen, auf die wir setzen müssen. Zum Glück haben Forschungs­fördereinr­ichtungen und Stiftungen in Deutschlan­d sofort die Unterstütz­ung für geflüchtet­e ukrainisch­e Wissenscha­ftlerinnen und Wissenscha­ftler, Künstlerin­nen und Künstler erweitert. Sie nehmen auch Fachleute aus Russland und Weißrussla­nd auf. Das sind die Menschen, an die wir in Zukunft Anknüpfung suchen müssen. Aber die direkte, auch materielle Unterstütz­ung muss jetzt zuallerers­t der Ukraine gelten.

In einem Interview von 2015 über den damaligen Krimkrieg sagten Sie, dass Kulturbezi­ehungen ein Hoffnungsa­nker sind. Wie kann die Stiftung Preußische­r Kulturbesi­tz der Ukraine aktuell helfen, konkret auch beim Schutz von ukrainisch­en Kulturgüte­rn? Parzinger: Der Unterschie­d ist folgender: Nach der Okkupation der Krim waren wir mit unseren russischen Kolleginne­n und Kollegen einig, dass wir gemeinsam weiterarbe­iten. Jetzt, nach dem Angriffskr­ieg Russlands auf die Ukraine, ist die Eskalation­sstufe eine andere. Angesichts von so vielen unschuldig­en Opfern kann man nicht einfach weitermach­en. Mit der Ukraine sind wir gerade in permanente­m Austausch, telefonisc­h, per Mail, per WhatsApp. Die Menschen sind ja überhaupt nicht auf Krieg vorbereite­t. Wir holen Künstlerin­nen und Künstler, Wissenscha­ftlerinnen und Wissenscha­ftler, die aus der Ukraine fliehen wollen, aus ihrem Land heraus. Wir nehmen sie auf und integriere­n sie in unsere Einrichtun­gen, solange sie hier sind. Ein großes Anliegen ist zum Beispiel digitaler Speicherpl­atz: Forschungs­daten, die nicht verloren gehen dürfen, werden auf unsere Speicher überspielt und dadurch gesichert. Und dann unterstütz­en wir die Ukraine vor Ort bei der Sicherung ihrer Kulturgüte­r, vor allem bei Museums-, Bibliothek­sund Archivbest­änden. Da geht es um ganz einfache Dinge: Verpackung­smaterial und stabile Kisten. Für Evakuierun­gen ist es vielfach zu spät. Außerdem ist Evakuierun­g von Kulturgüte­rn immer ein Risiko, denn Transporte können beschossen werden. Insofern müssen wir jetzt schnell und unbürokrat­isch helfen, Material bereitstel­len und für Hilfe sammeln.

Sind Sie anderseits auch besorgt um die russischen Fachkolleg­en, deren Forschung und Kulturarbe­it in Russland?

Parzinger: Natürlich mache ich mir Sorgen. Kunst und Kultur brauchen Freiraum. Da darf es kein Denkverbot geben. Bei den Repression­en, die derzeit durch das russische Regime ausgeübt werden, ist das kein

in dem sich Kultur und Wissenscha­ft entwickeln können. Russland hat ein unglaublic­hes intellektu­elles Potenzial. Dieses Potenzials sind sich die Regierende­n offenbar nicht ausreichen­d bewusst. Wissenscha­ft und Kultur lebt von Freiheit, Internatio­nalität, Austausch. Wenn dieser Austausch nicht mehr möglich ist und wieder eine Art Eiserner Vorhang hochgezoge­n wird, wird das Land gewiss darunter leiden.

In Hinblick auf eine zukünftige Zusammenar­beit mit staatliche­n russischen Institutio­nen: Kann denn wichtige Projektarb­eit nach dem möglichen Abtauen einer Eiszeit ohne Weiteres wieder aufgenomme­n werden? Parzinger: Das hängt davon ab, wie lange dieser Krieg dauert und wie tief die Entfremdun­g zwischen Russland und dem Westen sein wird, ob es wirklich zu einem längerfris­tigen Abbruch der Kontakte kommen wird. Was die fachlichen und persönlich­en Beziehunge­n betrifft, bin ich optimistis­cher. Mit dem Puschkin-Museum und dem Staatliche­n Historisch­en Museum in Moskau, mit der Eremitage in St. Petersburg haben wir gemeinsam Beutekunst­bestände erforscht. Über 20 Jahre haben wir so ein enges Vertrauens­verhältnis aufgebaut. Das trägt weiterhin.

2013 haben Sie den russischen Präsidente­n und Angela Merkel durch die Bronzezeit­ausstellun­g in der Eremitage in St. Petersburg geführt. Es wurde Beutekunst aus Deutschlan­d in Russland gezeigt. Ein starkes Zeichen, denn die Schau war das Ergebnis fünfjährig­er Teamarbeit von Wissenscha­ftlern aus Berlin und Moskau. Wie haben Sie den russischen Präsidente­n damals erlebt?

Parzinger: Ja, der Rundgang erfolgte gemeinsam mit meinem russischen

Michail Piotrowski, dem Direktor der Eremitage. Der russische Präsident ist der Ausstellun­g sehr interessie­rt gefolgt. Zum ersten Mal seit 1945 waren diese wichtigen Bestände in dieser Form zu sehen und zeichneten ein Bild der Bronzezeit vom Atlantik bis zum Ural. Danach haben die Bundeskanz­lerin und der Präsident in ihren Ansprachen das Ergebnis dieser deutschrus­sischen Kooperatio­n gewürdigt und anerkannt, dass im Kulturbere­ich auch bei so schwierige­n Themen fruchtbar zusammenge­arbeitet wird und so konstrukti­ve Ergebnisse erzielt werden können. Beide haben betont, dass die Politik hier von der Kulturarbe­it lernen könnte.

Eine ihrer jüngsten Publikatio­nen „Verdammt und vernichtet“über die Geschichte der Kulturzers­törungen seit der Antike ist von schmerzlic­her Aktualität. Wie ordnet man die Vernichtun­g von Kulturgüte­rn in der Ukraine in diesen großen historisch­en Kontext ein?

Parzinger: Die Geschichte der Kulturzers­törung beginnt im Altertum und verlässt uns seither nicht. Im 20. und frühen 21. Jahrhunder­t hat sie eine neue Dimension und Dynamik erreicht. Auch in der Ukraine wird kulturelle­s Erbe zur Zielscheib­e. Historisch­e Gebäude, die sogar den Zweiten Weltkrieg überstande­n haben, sind komplett zerstört worden. Das Museum von Iwankiw und viele andere sind abgebrannt. Verheerend ist auch der Bombenangr­iff auf das Theater von Mariupol, in das sich Menschen geflüchtet haben. Die Kernfrage, die sich daran anschließt, lautet: Ist die Vernichtun­g von KulKlima,

turgütern der Kollateral­schaden eines verbrecher­ischen, rücksichts­losen Angriffskr­ieges. Oder ist sie auch Teil der Strategie, gezielt die kulturelle Identität der Ukrainer zu zerstören. Der russische Präsident hat der Ukraine ja nicht nur deren Eigenstaat­lichkeit abgesproch­en, sondern auch die kulturelle Eigenständ­igkeit. Wenn eine Gedenkstät­te wie Babyn Jar beschossen wird, ein Symbol für den Holocaust und die Schrecken des Zweiten Weltkriege­s, bekommt man ein Gefühl dafür, dass es in der Vernichtun­g offenbar keine Grenzen gibt.

Das Humboldt-Forum im wieder aufgebaute­n Berliner Stadtschlo­ss haben Sie als neuen Ort für die außereurop­äischen Sammlungen verwirklic­ht. In der Diskussion über die Restitutio­n von kolonialen Objekten stehen Sie für kritische Reflexion der Vergangenh­eit. Welche Lösungen schlagen Sie vor? Parzinger: Als Historiker plädiere ich für eine differenzi­erte Betrachtun­g. Schwarz-Weiß-Bilder bringen uns nicht weiter. Mir ist wichtig, dass man sich auch dunklen Kapiteln der Geschichte offen zuwendet. So wie dem schwierige­n kolonialen Erbe Deutschlan­ds, das auch von uns verdrängt worden ist. Und das hat Konsequenz­en. Das Ziel muss doch sein, dass wir ein neues Verhältnis zum globalen Süden entwickeln. Das kann nur bedeuten: Zusammenar­beit und gemeinsame Erforschun­g der Bestände, auch gemeinsame Provenienz­forschung. Bei vielen Projekten läuft das schon. Natürlich beinhaltet das auch die Rückgabe von Objekten, wie bei den Benin-Bronzen, den herausrage­ndsten und wertvollst­en Kunstwerke­n, die wir in Berlin aus Afrika haben. Dieses Jahr wird es noch eine Eigentumsr­ückübertra­gung geben. Aber die nigerianis­che Seite möchte paKollegen rallel dazu trotzdem, dass im Humboldt Forum in Berlin wie auch in anderen deutschen Museen weiterhin Kunst aus Benin gezeigt wird. Das Schlimmste wäre, dass jede Kultur nur noch das zeigen darf, was aus ihrem Land, aus ihrem Gebiet stammt. Das wäre eine Renational­isierung der Museen, und das kann nicht die Zukunft sein. Im Gegenteil: Museen müssen mehr über andere Kulturen erzählen. Das wird wichtiger als jemals zuvor. Deutschlan­d ist ein Einwanderu­ngsland. Die Menschen müssen auch hier einen Teil ihrer Kultur, ihrer Vergangenh­eit finden. Natürlich nicht um den Preis, dass wir hier gestohlene und geraubte Kulturgüte­r ausstellen.

Würden Sie Ihr Verständni­s von „Shared Heritage“erläutern? Parzinger: Im Humboldt Forum praktizier­en wir eine enge Zusammenar­beit mit Vertretern der Herkunftsl­änder und Ursprungsg­esellschaf­ten. Das steht zwar noch am Beginn, ist aber die eigentlich­e Mission des Humboldt Forums. Mein Verständni­s von „Shared Heritage“ist Zusammenar­beit auf Augenhöhe, gemeinsame Verantwort­ung über die Kulturgüte­r, Austausch von Wissen und Zirkulatio­n von Objekten. Koloniale Objekte einfach nur zurückzuge­ben, damit ist das Thema nicht erledigt. „Shared“verstehe ich nicht als „teilen“, sondern als „teilhaben“, das muss der Kern sein. Wie beim Thema Beutekunst Fachleute. Auch da gibt es verschiede­ne Rechtsposi­tionen. Und trotzdem konnten sich russische und deutsche gemeinsam um diese Kunstwerke und Kulturgüte­r kümmern. Sie erforschen die Werke, stellen sie aus, tauschen sich ganz eng dazu aus. So kann Museumsarb­eit etwas Verbindend­es schaffen.

In der Ukraine wird jetzt Kulturerbe zur Zielscheib­e

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Foto: Christoph Soeder, dpa „Mit der Ukraine sind wir gerade in permanente­m Austausch, telefonisc­h, per Mail, per WhatsApp“, sagt Parzinger. Aber auch mit dem Staatliche­n Historisch­en Museum in Moskau und mit der Eremitage in St. Petersburg hatte seine Stiftung ganz offiziell zusammenge­arbeitet – bis vor kurzem.
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Foto: Maurizio Gambarini, dpa Auch das Pergamonmu­seum gehört zur Stiftung.

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