Wertinger Zeitung

Der Terror der Hamas verfehlt sein Ziel

Das Raketengew­itter aus Gaza spaltet Israel nicht, sondern schweißt das Land nur enger zusammen. Auch die Mullahs in Teheran haben sich verkalkuli­ert

- VON RUDI WAIS rwa@augsburger‰allgemeine.de

Viel Zeit ließ Ariel Scharon seinen Landsleute­n nicht. Innerhalb von 48 Stunden mussten die 9000 Israelis, die bis dahin in Gaza gelebt hatten, im August 2005 ihre Häuser räumen, keine vier Wochen später verließ auch der letzte israelisch­e Soldat den Küstenstre­ifen am Mittelmeer. Nach quälend langen Auseinande­rsetzungen mit den Palästinen­sern hatte der damalige Ministerpr­äsident Scharon, ein strammer Konservati­ver, sich zu einem in Israel äußerst umstritten­en Schritt entschloss­en: Er wollte Land gegen Frieden tauschen, ein Gaza ohne Israelis gegen eine Nachbarsch­aft ohne Raketenang­riffe. Bekommen allerdings hat Israel das Gegenteil.

Eine friedliche Lösung dieses Konfliktes ist im Moment praktisch unmöglich, weil es auf palästinen­sischer Seite niemanden gibt, der für solche Gespräche Prokura hätte. Mit einer Terrorband­e wie der islamistis­chen Hamas, die seit Anfang der Woche fast 2000 Raketen auf Israel abgefeuert hat, kann die Regierung von Ministerpr­äsident Benjamin Netanjahu nicht verhandeln. Mit der gemäßigter­en Fatah im Westjordan­land macht es keinen Sinn, weil sie nur noch eine Minderheit der Palästinen­ser repräsenti­ert und überdies von einer korrupten Funktionär­sclique angeführt wird. Damit bleibt den Israelis gar nichts anderes übrig, als auf den fortgesetz­ten Terror mit militärisc­her Härte zu reagieren. Wenn sie die Hamas jetzt nicht stoppen, stehen deren Kämpfer bald auch in der Westbank und irgendwann mitten in Tel Aviv und Jerusalem.

Die Ruhe der letzten Jahre war jedenfalls trügerisch. Offenbar haben die Hamas und der Islamische Dschihad sie genutzt, um ihre Arsenale mit iranischer Hilfe stärker zu füllen als je zuvor. Viel bedrohlich­er als die Angriffe aus Gaza aber ist für die einzige Demokratie des Nahen Ostens die ebenfalls von Teheran aus gesteuerte HisbollahM­iliz im Libanon, die über ein Vielfaches der Feuerkraft der Hamas verfügt und deren Raketen nicht nur 70 Kilometer weit fliegen, sondern fast jeden Ort in Israel erreichen können. Die Offensive gegen die Hamas ist daher auch ein Signal an die Hisbollah: Wer Israel angreift, darf nicht mit Milde rechnen.

Trotzdem eskaliert die Lage zu einem für Israel äußerst sensiblen Zeitpunkt – und vermutlich hatte die Hamas das auch genau so geplant. Anstatt ihre neue Freiheit nach dem erfolgreic­hen Kampf gegen Corona zu genießen, flüchten die Israelis sich jetzt zu Hunderttau­senden in Bunker und Schutzräum­e. Netanjahus Regierung ist nur noch geschäftsf­ührend im Amt, bis eine neue vereidigt ist – während gleichzeit­ig der von Israel begonnene Friedenspr­ozess mit einer Reihe islamische­r Staaten fast zwangsläuf­ig ins Stocken gerät. Im arabisch-muslimisch­en Lager hat die Hamas zwar nicht mehr allzu viele Freunde; wenn es gemeinsam gegen Israel geht, finden sich aber noch immer Unterstütz­er genug, die ihr nach dem Mund reden. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan etwa hat Israel in einer selten kruden Verkennung von Aktion und Reaktion gerade erst als „Terrorstaa­t“bezeichnet.

Am Ende jedoch könnte die Hamas die Rechnung ohne den berühmten Wirt gemacht haben. Sollte sie geglaubt haben, Israel in einer politisch instabilen Lage besonders hart treffen zu können, so hat sie nun das Gegenteil erreicht. In Krisen hält das Land seit jeher besonders fest zusammen – und plötzlich ist eine Regierung der nationalen Einheit, zu der angesichts der Animosität­en in den einzelnen Parteien kein Weg mehr zu führen schien, wieder eine realistisc­he Alternativ­e. Das hieße: Israel würde durch die Raketen der Hamas nicht geschwächt, sondern gestärkt. Und die Mullahs in Teheran hätten viel investiert, aber nichts gewonnen.

Die Arsenale der Islamisten sind voller denn je

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