Der Terror der Hamas verfehlt sein Ziel
Das Raketengewitter aus Gaza spaltet Israel nicht, sondern schweißt das Land nur enger zusammen. Auch die Mullahs in Teheran haben sich verkalkuliert
Viel Zeit ließ Ariel Scharon seinen Landsleuten nicht. Innerhalb von 48 Stunden mussten die 9000 Israelis, die bis dahin in Gaza gelebt hatten, im August 2005 ihre Häuser räumen, keine vier Wochen später verließ auch der letzte israelische Soldat den Küstenstreifen am Mittelmeer. Nach quälend langen Auseinandersetzungen mit den Palästinensern hatte der damalige Ministerpräsident Scharon, ein strammer Konservativer, sich zu einem in Israel äußerst umstrittenen Schritt entschlossen: Er wollte Land gegen Frieden tauschen, ein Gaza ohne Israelis gegen eine Nachbarschaft ohne Raketenangriffe. Bekommen allerdings hat Israel das Gegenteil.
Eine friedliche Lösung dieses Konfliktes ist im Moment praktisch unmöglich, weil es auf palästinensischer Seite niemanden gibt, der für solche Gespräche Prokura hätte. Mit einer Terrorbande wie der islamistischen Hamas, die seit Anfang der Woche fast 2000 Raketen auf Israel abgefeuert hat, kann die Regierung von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu nicht verhandeln. Mit der gemäßigteren Fatah im Westjordanland macht es keinen Sinn, weil sie nur noch eine Minderheit der Palästinenser repräsentiert und überdies von einer korrupten Funktionärsclique angeführt wird. Damit bleibt den Israelis gar nichts anderes übrig, als auf den fortgesetzten Terror mit militärischer Härte zu reagieren. Wenn sie die Hamas jetzt nicht stoppen, stehen deren Kämpfer bald auch in der Westbank und irgendwann mitten in Tel Aviv und Jerusalem.
Die Ruhe der letzten Jahre war jedenfalls trügerisch. Offenbar haben die Hamas und der Islamische Dschihad sie genutzt, um ihre Arsenale mit iranischer Hilfe stärker zu füllen als je zuvor. Viel bedrohlicher als die Angriffe aus Gaza aber ist für die einzige Demokratie des Nahen Ostens die ebenfalls von Teheran aus gesteuerte HisbollahMiliz im Libanon, die über ein Vielfaches der Feuerkraft der Hamas verfügt und deren Raketen nicht nur 70 Kilometer weit fliegen, sondern fast jeden Ort in Israel erreichen können. Die Offensive gegen die Hamas ist daher auch ein Signal an die Hisbollah: Wer Israel angreift, darf nicht mit Milde rechnen.
Trotzdem eskaliert die Lage zu einem für Israel äußerst sensiblen Zeitpunkt – und vermutlich hatte die Hamas das auch genau so geplant. Anstatt ihre neue Freiheit nach dem erfolgreichen Kampf gegen Corona zu genießen, flüchten die Israelis sich jetzt zu Hunderttausenden in Bunker und Schutzräume. Netanjahus Regierung ist nur noch geschäftsführend im Amt, bis eine neue vereidigt ist – während gleichzeitig der von Israel begonnene Friedensprozess mit einer Reihe islamischer Staaten fast zwangsläufig ins Stocken gerät. Im arabisch-muslimischen Lager hat die Hamas zwar nicht mehr allzu viele Freunde; wenn es gemeinsam gegen Israel geht, finden sich aber noch immer Unterstützer genug, die ihr nach dem Mund reden. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan etwa hat Israel in einer selten kruden Verkennung von Aktion und Reaktion gerade erst als „Terrorstaat“bezeichnet.
Am Ende jedoch könnte die Hamas die Rechnung ohne den berühmten Wirt gemacht haben. Sollte sie geglaubt haben, Israel in einer politisch instabilen Lage besonders hart treffen zu können, so hat sie nun das Gegenteil erreicht. In Krisen hält das Land seit jeher besonders fest zusammen – und plötzlich ist eine Regierung der nationalen Einheit, zu der angesichts der Animositäten in den einzelnen Parteien kein Weg mehr zu führen schien, wieder eine realistische Alternative. Das hieße: Israel würde durch die Raketen der Hamas nicht geschwächt, sondern gestärkt. Und die Mullahs in Teheran hätten viel investiert, aber nichts gewonnen.
Die Arsenale der Islamisten sind voller denn je