Können Computer Literatur?
Daniel Kehlmann schreibt gemeinsam mit einem Algorithmus
Über ein literarisches Experiment schreibt der Schriftsteller in seinem neuen, kurzen Buch „Mein Algorithmus und ich“. Es ist die schriftliche Version der ersten Stuttgarter Zukunftsrede, die Kehlmann im Februar 2021 gehalten hat. Er erzählt darin, wie er von der österreichischen Institution Hello Austria dazu eingeladen worden ist, gemeinsam mit einem Algorithmus einer Cloud-Computing-Firma in Palo Alto Texte zu schreiben. Eine Chance, einen Blick in die Zukunft zu werfen, die sich der Schriftsteller nicht entgehen ließ.
Bevor Kehlmann allerdings ein paar Beispiele des Experiments mit dem „mächtigen Algorithmus“liefert, erklärt er erst einmal, warum er sich Künstliche Intelligenz bislang immer falsch vorgestellt habe – „wie den Androiden C3PO oder wie den narzisstischen Supercomputer HAL“– „als ein menschliches Wesen in metallischer Umkleidung, als eine Person im Kostüm“. Der Algorithmus, mit dem er schreiben würde, sei dagegen etwas vollkommen anderes. Er treffe Voraussagen darüber, welches Wort in einem Satzgefüge das Wahrscheinlichste sei – und das auf der Basis eines riesigen Datenbestands. Dieser Algorithmus denke und fühle nicht, er habe auch kein Bewusstsein, wisse also nicht, was er erzähle und schreibe.
Dann wird Kehlmann von ihm schon auch überrascht: „,It was a beautiful day in summer‘, beginne ich aufs Geratewohl, dann drücke ich auf die Steuertaste, CTRL, die meinem Algorithmus, der auch CTRL heißt, die Anweisung gibt, zu übernehmen. ,The sun shone brightly on the green grass and flowers of the garden, but there were no birds to sing or insects to hum‘, schreibt CTRL. Interessant – eine unheimliche Note, ein Hauch von David Lynch.“
Allerdings merkt Kehlmann schnell, dass der Algorithmus nur bedingt einsatzfähig ist, nach ein paar Absätzen macht er schlapp und liefert keine ganzen Sätze mehr. Seine große Schwäche: narrative Konsistenz. Er kann keinen Zusammenhang erschaffen, der Sätze, Absätze und Wendungen durchzieht, er sucht immer nur nach dem nächsten, wahrscheinlichsten Wort. „Und dennoch, auch daran konnte ich keinen Augenblick zweifeln, war CTRL intelligent. Aber es war eine seltsame, eine kalte, eine fremde Intelligenz, mit der keine Verständigung in irgendeinem profunden Wortsinn möglich war.“
Gegen Ende dieses knappen Büchleins spürt man die Erleichterung des Schriftstellers, dass solche Algorithmen die grundsätzliche Idee des Erzählens (noch) nicht beherrschen, gleichzeitig aber auch Kehlmanns Faszination, eine neue Technik während des Entstehens kennengelernt zu haben – und zwar so, dass er eine nichtmenschliche Intelligenz beim Formulieren von Sätzen erleben konnte.
KlettCotta, 64 Seiten, 12
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