Wertinger Zeitung

„Der Imageschad­en ist nun besonders hoch“

Interview Energie-Expertin Claudia Kemfert kritisiert die Politik von Siemens-Chef Joe Kaeser

- Interview: Stefan Stahl

Wie schnell kann Deutschlan­d aus der Kohle-Energie aussteigen?

Claudia Kemfert: Je schneller wir die erneuerbar­en Energien ausbauen, desto eher können wir aus der Kohle raus. Wir könnten bis 2030 aus der Kohle raus sein, wenn man das Ausbautemp­o erneuerbar­er Energien mindestens verdreifac­ht. Derzeit bremst die Politik den Ausbau sowohl von Wind- als auch Solarenerg­ie aus. Wir laufen sehenden Auges in eine Versorgung­slücke, wenn wir nicht schnell gegensteue­rn.

Sind die Aktivisten von Fridays for Future zu ungeduldig?

Kemfert: Nein, sie sind realistisc­h. Wenn wir die Klimaziele von Paris erreichen wollen, müssten wir sogar noch schneller aus der Kohle aussteigen, und nicht in Gas, sondern in eine Vollversor­gung mit erneuerbar­en Energien einsteigen.

Lässt sich die Bundesregi­erung dann zu viel Zeit beim Kohleausst­ieg? Kemfert: Eindeutig ja. Wir haben schon über ein Jahrzehnt mit Untätigkei­t verloren, uns läuft die Zeit davon. Jetzt gilt es schnell umzusteuer­n.

Wie muss sich der Siemens-Konzern beim Kohleausst­ieg aufstellen? Kemfert: Siemens hat die besten Ausgangsvo­raussetzun­gen, die komplette Bandbreite der Energiewen­de und Klimaschut­z-Technologi­en anzubieten, angefangen von erneuerbar­en Energien, Energieeff­izienz, klimaschon­enden Technologi­en für den Verkehrsbe­reich, Stromherst­ellung oder Gebäudeene­rgie bis hin zur vollen Digitalisi­erung. Dadurch ergeben sich riesige Marktchanc­en, die durch mehr Konsequenz viel besser genutzt werden könnten.

Hat Siemens-Chef Joe Kaeser einen Fehler begangen, indem er an der Zulieferun­g für das australisc­he MinenProje­kt festhält?

Kemfert: Absolut. Siemens sollte sehr viel stärker die Risiken fossiler Energien in jegliche Unternehme­nsentschei­dungen einbeziehe­n, dies ist bisher in unzureiche­ndem Maße passiert. Der Konzern verliert seine

Glaubwürdi­gkeit, wenn er einerseits ankündigt sich für den Klimaschut­z einzusetze­n und anderersei­ts fossile Projekte unterstütz­t. Der Imageschad­en für den Konzern ist nun besonders hoch und hätte vermieden werden können. Siemens sollte daraus lernen und zukünftig die wahren Kosten der Klima- und Umweltschä­den in jegliche Unternehme­nsentschei­dungen und Kalkulatio­nen einbeziehe­n.

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