Bürgerlich? Gemischter Braten mit Soße!
Nach 70 Jahren im Bundestag bröselt das Selbstverständnis der Union. Das zeigt auch die jüngste Aufregung um die AfD. Dabei sollten wir längst weiter sein
In einem Interview bekannte die Bundeskanzlerin einmal in seltener Offenheit ihre Wertschätzung für Kartoffelsuppe und Rindsrouladen, ganz so, als wollte sie zeigen, wie bodenständig-bürgerlich es selbst noch in ihrer Küche zugeht. Dabei steht Angela Merkel ungeachtet ihrer Essensvorlieben oder des ebenso sorgsam aufgebauten wie falschen Mythos von der „schwäbischen Hausfrau“ja bekanntlich eher für eine Neuausrichtung und Modernisierung, manche würden sagen: einen „Linksruck“der CDU.
Letzteres ist natürlich Quatsch. Denn die Partei, die gestern 70 Jahre im Bundestag feierte, hat sich immer wieder mal gewandelt, mehr oder weniger geschmeidig den gesellschaftlichen Veränderungen angepasst – sonst hätte sie von den 70 auch nicht 50 Jahre den Kanzler
gestellt. Doch in all der Zeit gelang es ihr stets, das Image der „bürgerlichen Kraft“der Mitte aufrechtzuerhalten, ein Image, und das dürfte die Feierlaune etwas getrübt haben, das allerdings zunehmend bröselt. Nicht nur bei den letzten Landtagswahlen zeigte sich, dass die integrative Kraft der irgendwie mittigen Volkspartei erodiert, und seit jenen Wahlen wird nun außerdem intensiv darüber gestritten, wer oder was denn eigentlich bürgerlich sei – immerhin erhebt nun auch die Gauland’sche AfD diesen Anspruch.
Doch es ist nicht der erste Kulturkampf um einen missverständlichen Begriff: Lange sprach die Union der SPD, also jener Partei, die für den Erhalt der ersten Republik und von bürgerlichen Rechten wie Freiheit und Demokratie buchstäblich ins KZ ging, ebendiese Bürgerlichkeit ab. Und bediente sich dabei ausgerechnet an einem Gegensatz aus dem sozialistischen Theoriebaukasten und vorletzten Jahrhundert, nämlich dem zwischen Bourgeoisie und Proletariat. Dieser Klassengegensatz von wohlhabendem Bürgertum und Arbeiterschaft hatte in der Wirtschaftswunder-Republik jedoch zunehmend an Stellenwert verloren, das war ja gerade der große Erfolg beider Volksparteien. Und es ist soziologisch längst nicht mehr so einfach zu definieren, was denn nun bürgerlich ist und was nicht, davon zeugt ja gerade die jüngste Aufregung um die AfD. Dass unter deren Wählern auch pensionierte Oberstudienräte sind, die um ihre Anerkennung und ihr Weltbild fürchten, und andererseits das, was man früher mal Kleinbürger genannt hätte, die einem nur noch diffus bekannten Wertekatalog nachhängen, ist mittlerweile hinlänglich bekannt. Ebenso aber auch, dass ein Großteil des akademischen, ebenso gut gebildeten wie verdienenden Milieus vor allem den Grünen nahesteht, sodass man den vormaligen Klassengegensatz vielleicht am ehesten noch auf den zwischen Kehrwoche und Klimaschutz zuspitzen kann. Irgendwo dazwischen jedenfalls: die Union, die sich nun natürlich ähnlich wie zahlreiche Kommentatoren über den Versuch Gaulands, sich mit dem vermeintlich so sauberen Begriff der Bürgerlichkeit die braunen Flecken aus dem TweedSakko zu rubbeln, empören.
Es scheint fast so: Je abgenutzter, nichtssagender der Begriff, desto mehr wird er aufgeblasen. Wird überhöht und zum Mittel der politischen Abgrenzung und Auseinandersetzung, ein Mittel, das die Union in der Vergangenheit so virtuos wie bisweilen verlogen zu nutzen verstand – und das ihr nun gar streitig gemacht wird von der Konkurrenz von rechts. Was ja schon zeigt: Es geht vor allem um Mehrheiten, Macht, ums Regieren. Darüber entscheiden aber bekanntlich wir alle, und das ist denn auch das Einzige, was von jener müden Kategorie bleibt, zumindest bleiben sollte: der – mündige – Staatsbürger.
Der Rest gehört in die Küche, ist, um im Bild zu bleiben, gemischter Braten mit Soße.
Zwischen Kehrwoche und Klimaschutz