Wertinger Zeitung

„Ach, der Todeshögel ist wieder da“

Mordprozes­s Wer wusste was im Klinikum Oldenburg – und vor allem auch wann? Ein ehemaliger Klinikums-Mitarbeite­r belastet seine Ex-Kollegen vor Gericht schwer

- VON KARSTEN KROGMANN

Oldenburg Krankenpfl­eger Frank Lauxterman­n, 55 Jahre alt, sitzt am Dienstag allein am Zeugentisc­h in der Oldenburge­r Weser-Ems-Halle, weißes Hemd, blaue Jeans, etwas aufgeregt. Und er redet frei.

Es ist Tag acht im Mordprozes­s gegen den früheren Krankenpfl­eger Niels Högel. Es geht in diesem Prozess um die Frage, ob Högel schuldig ist am Tod von 100 Patienten, aber heute steht noch eine andere Frage im Raum: Hätte Högel frühzeitig gestoppt werden können? Wer wusste was wann im Klinikum Oldenburg?

Frank Lauxterman­n sagt: „Es gab Kollegen, die haben die Zusammenhä­nge gesehen, mit den Todesfälle­n, Reanimatio­nen, dem Namen Niels Högel.“Ein weiterer Zeuge, Dr. H., 60 Jahre alt, Leitender Oberarzt, offenbart hingegen große Erinnerung­slücken. Pfleger Niels Högel? „Kenne ich nur vom Bild her“, sagt der Arzt. Die berühmte Strichlist­e von Station 211, die zeigt, dass kein anderer Pfleger so häufig bei Reanimatio­nen und Todesfälle­n im Dienst war wie der Pfleger Högel? „Ich kenne diese Liste nicht.“

Das sogenannte schwarze Wochenende im September 2001, bei dem es eine zweistelli­ge Zahl an Reanimatio­nen gab und fünf Patienten starben? „So ein Wochenende hat es aber ich kann mich nicht konkret erinnern“, sagt Dr. H.

Nach manchen Sätzen gibt es Gelächter im Zuschauerb­ereich. Ein Nebenklage­vertreter sagt zu Dr. H.: „Am liebsten würde ich Sie fragen, ob Sie sich nicht erinnern können oder nicht erinnern wollen!“Der Richter nimmt Dr. H. unter Eid nach seiner Aussage. „Ich gebe Ihnen jetzt noch einmal Gelegenhei­t, falls Sie etwas abändern wollen. Nein?“Alle aufstehen, bitte, Dr. H. muss die rechte Hand heben, schwören. Meineid wird mit Gefängnis bestraft, die Vereidigun­g soll sicherlich ein Zeichen sein, an den nächsten Verhandlun­g s tagen sollen noch zahlreiche Ex-Mitarbeite­r gehört werden.

Dr. Bernd N., der ebenfalls aussagen soll, erscheint erst gar nicht. Der Stationsle­iter macht von seinem Auskunftsv er weigerungs­r echt Geb rauch. Das darf er, weil der 57-Jährige selbst beschuldig­t wird, der Vorwurf: Totschlag durch Unterlasse­n. Bernd N. soll damals die Strichlist­e auf Station 211 angefertig­t haben. Doch er sagt eben nichts.

Somit bleibt alles am Zeugen Frank Lauxterman­n hängen. Er berichtet, dass zunächst noch von einer „Pechsträhn­e“die Rede war. Dass es bereits im Jahr 2000 Sprüche gab wie: „Ach, der Todeshögel ist wieder da.“(Wenn auch geäußert von einer Kollegin, die bekannt gegegeben, wesen sei für ihre „Berliner Schnauze“.) Dass spätestens Ende 2001 die „Stimmung kippte“. Dass es Kollegen „schlecht ging“mit der Situation. Dass sie nach Högels Versetzung in die Anästhesie gesagt hätten: „Jetzt haben sie den in die Anästhesie geschickt, bei all dem, was hier passiert ist! Und die haben denen nichts gesagt in der Anästhesie!“

Die ehemaligen Kollegen hätten ihn damals sogar gebeten, anonym Anzeige zu erstatten. „Ich habe gesagt: Ihr könnt doch auch eine anonyme Anzeige machen, warum soll ich das machen? Aber die hatten wohl Angst, dass es Gerede gibt, dass sie in Verdacht geraten.“Im Klinikum habe es eine „Kultur des Wegschauen­s und Wegduckens“gegeben. Nach und nach wandten sich alle alten Kollegen von Lauxterman­n ab, der immer sagte, was er für richtig hielt.

Das Thema Högel sei unter den Mitarbeite­rn so präsent gewesen, „da musste man schon unter Narkose gestanden haben, wenn man das nicht mitbekomme­n hat“. Darüber sprechen mag an diesem Tag aber nur einer.

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Foto: Torsten von Reeken „Ich sage das, was ich für richtig halte“: Zeuge Frank Lauxterman­n vor der WeserEms-Halle.

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