So schmeckt England
In Großbritannien ist der Cheddar ein Klassiker, doch auch in Deutschland wird er immer beliebter. Zu Besuch im Örtchen Cheddar, wo der Käse in riesigen Höhlen den perfekten Reifegrad erreicht
Die Augen brauchen einen Moment, um sich an die Dunkelheit der Höhle zu gewöhnen. Es ist kühl und die uralten Kalkstein-Formationen sorgen für eine geheimnisvolle Atmosphäre. Doch die Besucher der Cheddar Gorge, der größten Felsschlucht im Vereinten Königreich mit ihren zahlreichen Höhlen, lernen nicht nur, dass hier ein vollständiges, 9000 Jahre altes Skelett eines Höhlenbewohners entdeckt wurde. Sie stehen irgendwann auch vor zwei käfigartigen Gehäusen. Darin liegen: dutzende Käselaibe. Schwer und dick, groß und rund harren die Exemplare der Sorte Cheddar in einer Reihe ihrer perfekten Reife.
John Higdon kommt zwei bis drei Mal die Woche vorbei, bringt frische Laibe und holt jene ab, die nach zwölf bis 18 Monaten in hundertprozentiger Luftfeuchtigkeit bereit zum Genuss sind. Oder er wendet die bis zu 25 Kilogramm schweren Stücke. „Hier bekommt der Käse seine charaktervolle Note, weil er den Geschmack seiner Umgebung annimmt“, sagt der 49-Jährige. Er ist einer der Käser der Cheddar Gorge Cheese Company, dem mittlerweile einzigen Produzenten des Ortes in der südenglischen Grafschaft Somerset, dem der berühmte Käse seinen Namen verdankt. Sechs Laibe machen er und sein Team in Handarbeit pro Tag und nicht selten kommt es vor, dass er nachts vor Sorge aufschreckt, weil etwas schieflief. „Man schaltet als Käsemacher nie ab, es ist eine Leidenschaft“, sagt John Higdon und zeigt in den Raum, wo sie täglich nicht pasteurisierte Milch von Kühen aus der Region in den Traditionskäse verwandeln.
Während bei den Briten Cheddar schon seit jeher die beliebteste Sorte darstellt und auch in anderen englischsprachigen Ländern hoch im Kurs steht, gewinnt er in Deutschland erst seit einigen Jahren immer mehr Fans. Mittlerweile finden sich zunehmend Versionen in den deutschen Supermarkttheken und bei den Discountern. „Es ist ein leichter Käse, ob man ihn pur essen oder zum Kochen benutzen will“, sagt Higdon.
Der erste schriftliche Beleg für Cheddar reicht ins Jahr 1655 zurück, obwohl schon im späten 12.Jahrhundert Käse in den Höhlen des idyllischen Dorfs gelagert wurde. Sie dienten als natürliche Kühlschränke. Es war jedoch erst im 19. Jahrhundert, als der Molkereibesitzer Joseph Harding, der Vater des Cheddar, die Produktion mithilfe neuer Methoden und Maschinen modernisierte. So entstand denn auch das angeblich größte Stück, das einst aus der Milch von 750 Kühen gemacht wurde. Der Mega-Cheddar war ein Hochzeitsgeschenk an Königin Victoria.
Der englische Käse begann seinen globalen Siegeszug. So nahm etwa der britische Polarforscher Robert Falcon Scott im Jahr 1901 fast 1600 Kilo Cheddar mit auf seine berühmte Expedition in die Antarktis. Dass die Hersteller heute nicht am Geburtsort sitzen, sondern in anderen Gegenden Somersets und vor allem in den Grafschaften Cornwall, Devon sowie Dorset Käse machen, liegt zum einen an der Lage, die nicht ideal für die Massenproduktion ist, wie John Spencer, Chef der Cheddar Gorge Cheese Company, zugibt.
Zum anderen ist die Sorte, anders als etwa Camembert, nicht als geschützte Herkunftsbezeichnung in der EU eingetragen und darf deshalb überall auf der Welt produziert und unter dem Namen verkauft werden. Lediglich der West Country Farmhouse Cheddar ist geschützt.
Spencer und seine Frau Katherine haben die Käserei im Jahr 2003 übernommen. Sie produzieren traditionell-handgemachten Käse, 70 Tonnen im Jahr, der authentisch sein soll. Ohne Bestrebungen, zu wachsen. „Das würde sich auf die Qualität auswirken“, so der Geschäftsführer. Vielmehr wolle er die Fertigkeiten zur traditionellen Käseherstellung weitergeben an künftige Generationen.
Das ist auch das Ziel des Experten John Higdon. Sein Vater war schon Käser, seine beiden Brüder sind ebenfalls dem Job verfallen. Familientradition. „Wir machen Cheddar nicht nach der Uhr, sondern gehen danach, was der Käse uns sagt.“Ganz einfach.