Fußball auf die Spitze getrieben
Holger Sanwald lenkt seit 24 Jahren die Geschicke des 1. FC Heidenheim und hat dabei nicht nur in Beine, sondern auch in Steine investiert. Der Vorstandschef des Zweitligisten spricht über „Plan B“und die Verbindungen zum Landkreis Dillingen
Von 150 auf 15000 Zuschauer, von 80000 Mark Jahresetat auf 23 Millionen Euro, von der Landesliga in die Zweite Bundesliga, vom Fußball-Abteilungsleiter zum Vorstandsvorsitzenden – die Bilanz des Holger Sanwald kann sich sehen lassen, seit der heute 50-jährige Diplomökonom vor 24 Jahren die Führung der Heidenheimer Kicker übernommen hat. Vor dem Heimspiel am Sonntag (13.30 Uhr) in der Voith-Arena gegen Sandhausen und drei Spieltage vor Saisonfinale ist aber der Klassenerhalt für den FCH noch nicht sicher. Das Feld der gefährdeten Teams liegt so eng beisammen wie noch nie: Den FC St. Pauli (37 Punkte) auf dem Abstiegsrelegationsrang und die Teams auf den Plätzen sieben und acht, Ingolstadt sowie Sandhausen, trennen gerade mal fünf Zähler. Auf Rang 14: Heidenheim (38). Wir sprachen mit Holger Sanwald über sich, seinen Verein, die aktuellen Themen des deutschen Fußballs.
Herr Sanwald, was war Ihre Motivation, Ihre Vision beim Amtsantritt vor fast zweieinhalb Jahrzehnten? Sanwald: Ich war damals selbst Spieler des Heidenheimer SB in der Landesliga, als der Abteilungsleiter aufhörte. Meine Vision war, mit dem HSB wieder an frühere Zeiten, die 70er-Jahre in der Oberliga BadenWürttemberg anzuknüpfen. Die habe ich selbst noch erlebt – als Balljunge. Ich wollte nicht, dass alles ganz auseinanderbricht.
Dann ging es sportlich bergauf. 2007 erfolgte die Abspaltung der HSBFußballabteilung, der 1. FC Heidenheim war geboren, Ihr Ehrenamt zum Beruf geworden. Jetzt ist Heidenheim stolzer Zweitligist. Wie beurteilen Sie die aktuelle sportliche Lage? Stichworte: Tabellenstand und Schnatterer. Sanwald: Die Situation ist die schwerste, seit wir in der Zweiten Bundesliga spielen. Erstmals hatten wir keinen guten Start, kein Punktepolster und haben von Anfang an zu kämpfen gehabt. Das ist eine neue Situation, in der wir uns erstmals zurechtfinden mussten. Seit Verbandsliga-Zeiten hatten wir zuletzt über 15 Jahre lang nie einen Abstiegsplatz belegt. Unsere Mannschaft muss lernen, damit umzugehen. Ausgerechnet jetzt ist die Liga so unfassbar ausgeglichen. Mit 38 Punkten ist man sonst auf der sicheren Seite. Vor Jahresfrist hatten wir zu diesem Saisonzeitpunkt nur zwei Punkte mehr und wurden am Ende Sechster – unsere beste ZweitligaPlatzierung. Und ja, Kapitän Marc Schnatterer fehlt am Sonntag erstmals bei einem Zweitliga-Spiel. Nicht schön, nicht gut. Seine Verletzung ist aber keine große Sache. Wir hoffen natürlich, dass er uns sobald wie möglich wieder zur Verfügung steht. Unsere Mannschaft ist jedoch nach zuletzt vier Punkten aus zwei Spielen in der Spur. Am Sonntag gegen Sandhausen, dann in Kaiserslautern und gegen Fürth wollen wir die nötigen Punkte für den sicheren Klassenerhalt einfahren.
Mal den schlimmsten Fall angenommen: Abstieg. Wie geht es dann mit dem FCH weiter? Sanwald: Ich stehe in der Verantwortung und muss deshalb für den Worst Case einen Plan B haben, auch wenn ich vom Ligaerhalt überzeugt bin: Wir haben ja vor dem Aufstieg fünf Jahre Dritte Liga gespielt. Unser Ziel wäre der sofortige Wiederaufstieg! Bei uns wurden die Strukturen über Jahre hinweg professionell aufgebaut, deshalb würden wir alles daran setzen, diese auch in der Dritten Liga zu erhalten.
Eine Stuttgarter Zeitung hat Sie einmal – im positiven Sinn – als „Menschenfischer“bezeichnet und den FC Heidenheim als „Tausendfüßler“, der nicht umfällt, auch wenn mal ein Bein wegfällt … Sanwald: Ich kann gut mit Leuten, sonst wäre ich auch fehl am Platz in meiner Funktion. Ob ich ein Menschfischer bin, müssen andere beurteilen. Ein ehrlicher, kollegialer und korrekter Umgang mit unseren Partnern und Mitarbeitern ist mir sehr wichtig. Das mit dem Verein als Tausendfüßler stimmt aber wirklich, ein guter Vergleich. Wir haben über 500 Partner und Sponsoren in der Region, auch „grenzübergreifend“im Bayerischen. Unser Radius beträgt 50 Kilometer um Heidenheim. Der 1. FC Heidenheim hat sich zu einer echten Marke entwickelt. Wir haben auch wirtschaftlich eine hervorragende Infrastruktur geschaffen, und ich bin allen Partnern dankbar für ihr Vertrauen. Schön ist: Das Netzwerk wächst weiter. Im Sponsoring-Bereich verzeichnen wir heuer einen Rekordumsatz von über 9,3 Millionen Euro.
Für Außenstehende und auch viele Fans stehen drei Namen für den Erfolg: Schnatterer, Sanwald, Schmidt: Kapitän, Manager, dienstältester Bundesliga-Trainer. Ist die Reduzierung auf dieses Trio zu kurz gegriffen? Sanwald: Ja, auf alle Fälle, diese Namen stehen halt stark im medialen Fokus. Wir haben eine intakte Mannschaft und auch andere Topspieler. Das weiß auch Marc Schnatterer. Der 1. FC Heidenheim ist definitiv ein Gemeinschaftswerk. Unsere Aufstiege waren nur möglich, weil die ganze Region mitgemacht hat. Ich selbst habe tolle Mitstreiter, etwa meinen Vorstandskollegen Marketing und Vertrieb, Florian Dreier, oder unseren Aufsichtsratsvorsitzenden Klaus Mayer oder den Oberbürgermeister Bernhard Ilg. Sie alle stehen für unsere und die Werte der Leute in der Region: Bodenständigkeit, Ehrlichkeit, Fleiß und Loyalität. Frank Schmidt verkörpert unseren Weg wie kein Zweiter. Er war ja früher hier schon Spieler und hat sich als Trainer auch ständig weiterentwickelt.
Der Erfolg lässt sich auch am Stadionausbau festmachen … Sanwald: Der Ausbau ging immer einher mit dem sportlichen Erfolg. Wir haben auch in Steine, nicht nur in Beine investiert. Die Voith-Arena wuchs über acht-, zehn- auf jetzt 15 000 Zuschauerplätze. Der „Sparkassen-BusinessClub“, die Geschäftsstelle und das „HartmannNachwuchsLeistungsZentrum“wurden geschaffen. Über 40 Millionen Euro stecken in der Voith-Arena und dem Trainingsgelände. Im Fe- bruar kam der beheizte Rasentrainingsplatz dazu, was die Spieler sehr gefreut hat. Übrigens wurde alles von Anfang an vom inzwischen verstorbenen Dillinger Architekten Dietbert Trägner konzipiert und jetzt von seiner Tochter Melanie fortgeführt.
Ein Wort zur Fankultur beim 1. FC Heidenheim? Sanwald: Die hat sich aus ganz kleinen Anfängen in der Landesliga mit zehn, 15 jungen Leute entwickelt. Inzwischen kommen 150 bis 200 Personen zu den Fantreffen oder leisten Unterstützung beim Abschlusstraining wie zuletzt vor dem Heimspiel gegen Düsseldorf. Ein weiteres Indiz, dass die Fans hinter uns stehen: Knapp 8000 Dauerkarten wurden heuer verkauft. Klar, die Interessen von Verein und Fans gehen auch mal auseinander. Aber das ist ganz normal. Unsere Fanszene ist jedenfalls sehr bunt und aktiv – und wir sind sehr stolz auf sie.
Der gar nicht so weite Blick über die „Grenze“nach Bayern: Wie gut ist die Verbindung in den Landkreis Dillingen? Sanwald: Es gibt diese besondere Beziehung seit meinen Anfängen durch unseren ehemaligen Spieler, den Dillinger Ingo Feistle im ersten Oberliga-Jahr. Ingo war bei uns über Jahre hinweg eine sportliche Größe. Er hat seine Kumpels mitgebracht, etwa Thomas Schreitt, der heute hier im Vertrieb tätig ist. Die Leute aus dem Landkreis Dillingen haben dann auf uns geschaut, die Testspiele dort haben uns viele Freunde und Sympathien gebracht. Wir haben jetzt viele Sponsoren aus dem Dillinger Raum, der ja auch verkehrstechnisch sehr nahe liegt – und Zuschauer. Das lässt sich schon an den Autokennzeichen bei Heimspielen ablesen. Und ja, Trainer Schmidt wohnt in Bachhagel. Ich sage: Der Fußball spielt hier eine grenzübergreifende, verbindende Rolle zwischen Bayern und Württemberg.
Ist der FC Augsburg eine Konkurrenz für den FCH? Sanwald: Eigentlich nicht, aber dann doch wieder irgendwie. Am Ende würde ich es als „freundschaftliche Konkurrenz“bezeichnen. Der FCA ist ja Erstligist, aber irgendwo gibt es immer wieder Schnittstellen und Berührungspunkte. Etwa, wenn es um die Fußball-Talente aus dem Landkreis Dillingen geht. Oder um Sponsoren. Beide Vereine haben ein partnerschaftliches Verhältnis. Die Verbindungen zu Stefan Reuter sind sehr gut.
Wie sieht die mittel- und langfristige Perspektive ihres Vereins aus? Erste Liga in der 50 000-Einwohner-Stadt Heidenheim? Sanwald: Grundziel ist und bleibt, sich immer weiter in der Zweiten Liga zu etablieren. Wir haben starke Konkurrenten, etliche andere Vereine sind ein Stück weiter als wir. Deren Niveau wollen wir Schritt für Schritt näherkommen. Deshalb gilt es, den Abstieg mit aller Macht zu vermeiden. Wenn wir dann mal ein perfektes Jahr haben, ist auch denkbar, in die Erste Bundesliga aufzusteigen. Ich würde mich mit Sicherheit nicht dagegen stemmen, wenn alles optimal zusammenpasst, den Bundesliga-Aufstieg gerne mitnehmen und das Beste daraus machen.
Ihre Meinung zu drei aktuellen Themen des deutschen Fußballs: Videobeweis, 50plus1-Regel, Montag-Spiele. Sanwald: Den Videobeweis befürworte ich als Hilfe für die Schiedsrichter. Man muss aber weiter daran arbeiten ihn richtig einzusetzen, es ist ja bislang nicht alles optimal gelaufen. Grundsätzlich ist der Videobeweis aber eine gute Sache und sorgt für mehr Gerechtigkeit. Was die 50plus1-Regel betrifft, bin ich für deren Abschaffung. Der ursprüngliche Gedanke ist grundsätzlich richtig. Sie schafft aber keine Wettbewerbsgerechtigkeit und wird umgangen. Schauen wir nur nach Leverkusen, Wolfsburg, Hoffenheim oder Leipzig. Wir müssen hier eine offene Diskussion führen, was das beste Modell ist. Es gibt keine Patentlösung. Bei den Montag-Spielen ist mir die Diskussion zu emotional. In der Zweiten Liga haben sie sich seit Jahren etabliert und werden gut angenommen.
Ihr „Lieblingsverein“in der Ersten Bundesliga? Sanwald: Bayern München. Ich habe zwar in Augsburg studiert, da war der FCA aber noch in der Bayernliga. Seit damals bin ich Bayern-Mitglied. Große Sympathien hege ich seit früher Jugend auch für den VfB Stuttgart.
Und zum Schluss Ihr WM-Tipp: Sanwald: Da habe ich keinen wirklichen Favoriten, weil es gerade viele starke Nationalmannschaften gibt. Ich glaube, eine Titelverteidigung für Deutschland wird sehr schwer. Ob die gelingt? Das Halbfinale wäre auch schon eine große Leistung.