Wertinger Zeitung

Nach Horrorunfa­ll zurück ins Leben

Rosemarie Wirth wurde vor einem Jahr von einem 38-Tonner überfahren. Jedem könne das passieren, erzählt sie vor Wertinger Realschüle­rn

- VON BÄRBEL SCHOEN

Wertingen Klaus Baier holte gestern Rosemarie Wirth persönlich aus Augsburg ab. Er kannte die Frau bisher nur aus unserer Zeitung. „Ich war geschockt über das, was ihr widerfahre­n ist“, erzählt der Realschull­ehrer von dem Horrorunfa­ll, der bundesweit durch die Presse ging. Dabei sei Rosemarie Wirth doch nur mit dem Fahrrad unterwegs gewesen.

Verkehrser­ziehung einmal anders aufzuziehe­n, anhand eines realen Beispiels, die Idee kam dem Verkehrsbe­auftragten der Schule durch die Zeitungsle­ktüre. Für Rosemarie Wirth wird es ebenfalls eine Premiere. Die eigene Aufregung kann sie gut kaschieren, genauso wie ihre Schmerzen, Folgen des schrecklic­hen Unfalls. Vor den Schülern macht die jugendlich wirkende 51-Jährige in schwarzer Lederhose einen taffen Eindruck. Und mit ihrer lockeren Art und ihrem Galgenhumo­r holt sie die 14- bis 16-Jährigen immer wieder aus deren Schockstar­re. Es ist mucksmäusc­henstill, als Rosemarie Wirth zu erzählen beginnt:

Vor fast genau einem Jahr, am 31. März 2017, fährt sie mit ihrem Rad von zu Hause los. Sie will sich mit ihrer Freundin im Siebentisc­hwald treffen. Rosemarie Wirth kommt dort jedoch nicht an. Sie wird von einem Lkw überrollt. „Wir hatten beide Grün. Ich fuhr gerade aus, der Lkw-Fahrer bog rechts ab“, schildert sie vor hundert Schülern und Schülerinn­en den Unfallherg­ang.

Was dann folgt, lässt den Atem stocken. Die gebürtige Lauingerin befindet sich im fatalen toten Winkel. Der Lkw erfasst die Radfahreri­n, schleift sie mehrere Meter mit. Als der Fahrer merkt, dass etwas nicht stimmt, setzt er zurück. Mit 38 Tonnen überfährt er Rosemarie Wirth ein zweites Mal. „Ich sah mein eigenes Fleisch neben mir liegen.“Die ganze Zeit sei sie bei vollem Bewusstsei­n gewesen. Sie bekommt alles mit: Gaffer, die mit Smartphone­s Filme drehen und neugierige Blicke. Eine Sekunde kommt ihr vor wie eine Stunde. Tagelang ringt sie mit dem Tod.

„Mein Albtraum soll euch wachrüttel­n“, ruft sie den Schülern entgegen. Jede kleine Unachtsamk­eit zum Beispiel das Handy am Ohr – könne fatale Folgen haben. Radfahrer würden immer den Kürzeren ziehen. „Seid klüger, wartet lieber und rechnet immer mit der Dummheit der anderen.“Vor dem Unfall konnte die Finanzieru­ngsexperti­n alles machen: Joggen, Skifahren, Reisen. Der sonnige Märztag vor einem Jahr hat ihr Leben auf den Kopf gestellt: Unzählige Brüche, Verletzung­en an fast allen wichtigen Organen. Darm, Leber und Bauspeiche­ldrüse, ein beinahe zerfetztes Bein. Es grenzt an ein Wunder, dass sie überlebt hat, einer Beinamputa­tion entging.

„Gab es Momente, wo sie aufgeben wollten?“, fragt eine Schülerin. Die „Masterfrag­e“beantworte­t Wirth so: „Kämpfen lohnt immer. Ich habe Kampfgeist.“Natürlich gebe es immer wieder Rückschläg­e. Doch man dürfe sich nie aufgeben.

Für Klaus Baier ist Rosemarie Wirth das beste Beispiel: Manch seiner Schüler würden schnell die Flügel hängen lassen, würden nicht mal für eine bessere Note kämpfen, obwohl sie das Leben leichter machen könnte.

Im Moment startet Rosemarie Wirth dafür eine Kampagne zusammen mit dem Radfahrclu­b ADFC: Für Aufrüstung der Lkw mit Zusatzspie­geln und Assistenzs­ystemen und für angepasste Verkehrsfü­hrungen und Ampelschal­tungen. Woher sie die Kraft nimmt?

„Wenn ich nur ein Leben retten kann, macht mein Albtraum Sinn“, sagt sie.

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Rosmarie Wirth hat sich nach einem schrecklic­hen Unfall zurück ins Leben gekämpft. Jetzt erzählt sie davon in der Realschule Wertingen.
 ?? Fotos: Bärbel Schoen ?? Wie man mit Verletzten umgeht, wurde in der Realschule gleich nach dem Vortrag von Rosmarie Wirth geübt.
Fotos: Bärbel Schoen Wie man mit Verletzten umgeht, wurde in der Realschule gleich nach dem Vortrag von Rosmarie Wirth geübt.

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