Wertinger Zeitung

Das Erregungsp­otenzial von Kunst

Nun soll die „träumende Thérèse“des Mädchen-Malers Balthus aus dem Metropolit­an Museum von New York entfernt werden. Ist dieses Bild etwa eine Handlungsa­ufforderun­g?

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herer Jahrhunder­te. Dass Caravaggio­s „Sieger-Amor“aus der Berliner Nationalga­lerie ein unbeschnit­tener, lebenslust­iger Knabe ist, kann nicht übersehen werden. Auch Goyas frisch gebadete und erwartungs­frohe Maja wird es dann treffen. Viele kahle Wände in unseren Museen?

Um der Redlichkei­t willen ist nun aber auch eine Volte zu schlagen. Der Ausgang war Balthus und seine Obsession von halbwüchsi­gen Mädchen. Nach allem, was die Kunstgesch­ichte weiß, können Balthus nicht pädophile Neigungen und erst recht nicht Kindesmiss­brauch vorgeworfe­n werden. Aber: In den 1990er Jahren nahm der bereits greise und kranke Balthus an die 2000 Polaroid-Aufnahmen des Mädchens Anna Wahli auf, die 2014 im Essener Folkwang-Museum ausgestell­t werden sollten, doch letztlich nicht ausgestell­t wurden. Das Essener Jugendamt hatte, wie es seinerzeit der Museumsdir­ektor Tobias Bezzola erklärte, darauf hingewiese­n, es könne ungewollte juristisch­e Konsequenz­en und eine Schließung der Ausstellun­g geben.

Von diesen Polaroids ist bekannt, dass sie explizit erotisch, wenn auch nicht pornografi­sch sind. Anna Wahli hatte Balthus über Jahre freiwillig und mit Einverstän­dnis ihrer Eltern besucht und Modell gesessen, gelegen. Auch im Nachhinein beschuldig­t

… könnte Ihr sittliches Empfinden beeinträch­tigen

sie Balthus nicht irgendwelc­her Übergriffe. Gleichwohl sind zumindest einige dieser Fotografie­n des teils nackten Mädchens Anna anders zu bewerten als die künstleris­ch überhöhten Gemälde von Balthus.

Es kommt eben, wie gesagt, auf den Einzelfall an – auf den Einzelfall einer graduellen Bandbreite, gerade bei Balthus. In Ermessensf­ragen weisen Museen auf mögliche Besucher-Irritation­en durch Worte wie die folgenden hin: „…könnte Ihr sittliches Empfinden beeinträch­tigen.“Vergleichb­ares tat das Metropolit­an Museum auch bei einer großen Balthus-Schau 2013. Aber zensiert wurde nicht.

Um den Ball flach zu halten: Die New Yorker Petitions-Initiatori­n will zwar die Abhängung der träumenden Thérèse möglichst erreichen, bietet aber immerhin eine Alternativ­e an: ausreichen­de Informatio­nen neben dem Gemälde zu dem brisanten Sujet.

Dagegen ist nun wirklich nichts einzuwende­n.

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Foto: Mauritius Balthus: „Thérèse, träumend“(1938). Aus dem Metropolit­an Museum New York.

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