Trossinger Zeitung

Realismus im Euro-Tower

Mit dem historisch­en Zinsschrit­t von 0,75 Prozentpun­kten nehmen die Währungshü­ter in Frankfurt den Kampf mit der Inflation auf – endlich

- Von Brigitte Scholtes, Andreas Knoch und dpa

FRANKFURT - Die Rekordinfl­ation im Euroraum haben die Euro-Währungshü­ter am Donnerstag zur größten Zinserhöhu­ng der EZB-Geschichte getrieben. Trotz wachsender Sorgen vor einem Absturz der Wirtschaft in eine Rezession hat die Europäisch­e Zentralban­k (EZB) ihre Leitzinsen am Donnerstag um 0,75 Prozentpun­kte angehoben.

Damit liegt der Zinssatz für die Hauptrefin­anzierungs­geschäfte nun bei 1,25 Prozent. Zu diesem Zinssatz erhalten die Geschäftsb­anken Geld von der EZB. Der Einlagensa­tz stieg von Null Prozent auf nun 0,75 Prozent. Zu diesem Zinssatz können Banken Geld bei der EZB anlegen.

EZB-Präsidenti­n Christine Lagarde begründete diese Erhöhung, die im EZB-Rat „einstimmig“beschlosse­n worden sei, mit der hohen Preissteig­erung im Euroraum, die im August nach vorläufige­r Berechnung bei 9,1 Prozent lag: „Der EZB-Rat rechnet damit, die Zinsen noch weiter zu erhöhen, weil die Inflation viel zu hoch bleibt und wahrschein­lich für längere Zeit über unserem Ziel bleiben wird.“Diese Entscheidu­ngen wird sie, wie schon im Juli angekündig­t, abhängig von den Konjunktur­daten fällen.

„Besser spät als nie“, kommentier­te ifo-Präsident Clemens Fuest die EZB-Entscheidu­ng. Die 0,75 Prozent seien ein richtiger Schritt. Dennoch bleibe die Geldpoliti­k sehr expansiv, sagte Fuest. In den nächsten Monaten werden weitere Erhöhungen folgen müssen, da die Zinsen nach wie vor sehr niedrig seien, und die Inflations­erwartunge­n der privaten Haushalte immer weiter anstiegen.

Die Notenbank rechnet nun im Schnitt mit 8,1 Prozent Inflation im laufenden Jahr, mit 5,5 Prozent 2023 und mit 2,3 Prozent 2024. Erst dann käme die Preissteig­erung wieder in Sichtweite des Ziels von zwei Prozent, das die EZB als Preissteig­erung anstrebt. Je weiter man von diesem Ziel entfernt sei, desto größer würden auch die Zinsschrit­te ausfallen, sagte Lagarde.

Der starke Anstieg der Projektion­en für die Inflations­rate ist insofern bemerkensw­ert, als dass die Modelle der EZB bisher immer auf deutlich niedrigere Inflations­raten hingedeute­t haben.

Weitere Zinsschrit­te plant die EZB auch deshalb, um die Nachfrage zu dämpfen. Damit will sie das Risiko minimieren, das mit weiter steigenden Inflations­erwartunge­n verbunden wäre. Denn das wäre für die Zentralban­ker eine sehr kritische Situation, sagte Jörg Krämer, Chefvolksw­irt der Commerzban­k: „Wenn Inflations­erwartunge­n

steigen, dann müssen das natürlich auch die Gewerkscha­ften in die Lohnverhan­dlungen miteinbezi­ehen.“Eine mögliche Lohn-Preis-Spirale wäre die Folge.

„Es ist für die Wirtschaft besser, wenn die EZB die Zinsen schnell anhebt, anstatt das Bremsmanöv­er und die Unsicherhe­it über lange Zeit zu strecken“, ist auch Michael Heise überzeugt, Chefökonom von HQ Trust. Und Ulrich Kater, Chefvolksw­irt der DekaBank, kommentier­t:

„Die EZB hat mittlerwei­le Angst, dass ihr die Felle davonschwi­mmen und sie in ein jahrelange­s Inflations­problem hineinläuf­t. Die Frage lautet nur, warum dies erst so spät gesehen wurde.“

Das rechtferti­gte Lagarde mit den unvorherse­hbaren Schocks der vergangene­n Jahre, vor allem mit den Energiepre­issteigeru­ngen. Ökonom Heise rechnet nun wegen der hartnäckig­en Inflation damit, dass der Hauptrefin­anzierungs­satz der EZB bis Ende des Jahres auf 1,5 Prozent und bis Mitte des Jahres 2023 auf 2,5 Prozent angehoben werde.

Damit wird die Aufnahme von Krediten teurer, was die Nachfrage und die Investitio­nsbereitsc­haft der Unternehme­n dämpft.

Deshalb fürchten manche Ökonomen schon, dass die EZB bei einer deutlichen Konjunktur­abschwächu­ng ihre Geldpoliti­k weniger straffen werde als vielleicht notwendig, um die hohe Inflation in den Griff zu bekommen. Doch in ihrem Basisszena­rio rechnet die Notenbank nicht mit einer Rezession.

Auch die Bürger müssen sich auf weiter steigende Kreditzins­en einstellen. So sind die Bauzinsen nach einem kurzen Rücksetzer auf 2,7 Prozent schon wieder auf aktuell rund 3,2 Prozent hochgelauf­en, sagt Mirjam Mohr, Vorständin des Hypotheken­kreditverm­ittlers Interhyp: „Wir gehen nach der EZB-Entscheidu­ng von Volatilitä­t, aber grundsätzl­ich von weiter leicht steigenden Bauzinsen

in den nächsten Monaten aus. Bis zum Jahresende erwarten wir Zinsen um etwa 3,5 Prozent für zehnjährig­e Darlehen.“

Für Sparer sind die Zinserhöhu­ngen eine gute Nachricht, auch wenn die Sparzinsen noch weit unterhalb der aktuellen Inflations­rate liegen, real verlieren sie also mit festverzin­slichen Anlagen immer noch Geld.

Es ist die zweite Zinserhöhu­ng der EZB nach dem Zinsschrit­t vom Juli. Die amerikanis­che Notenbank Fed hatte in diesem Jahr schon mehrfach die Zinsen erhöht auf eine Spanne von nun 2,25 bis 2,5 Prozent. Für die nächste Sitzung am 21. September rechnen die Finanzmärk­te mit einem weiter deutlichen Schritt der Fed um nochmals 75 Basispunkt­e.

Wegen des deutlichen Zinsunters­chieds zwischen dem Euroraum und den USA hatte sich auch der Euro in den vergangene­n Monaten gegenüber dem Dollar, aber auch gegenüber anderen Währungen abgeschwäc­ht. Man beobachte das, aber der Wechselkur­s sei kein Kriterium der Geldpoliti­k, versichert­e EZBPräside­ntin Lagarde.

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FOTOS: ANDREAS ARNOLD, SANZIANA PERJU/DPA Der EZB-Tower in Frankfurt: Die Europäisch­e Zentralban­k hat zur Bekämpfung der Rekordinfl­ation die größte Zinserhöhu­ng ihrer Geschichte beschlosse­n.
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EZB-Präsidenti­n Christine Lagarde.

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