Realismus im Euro-Tower
Mit dem historischen Zinsschritt von 0,75 Prozentpunkten nehmen die Währungshüter in Frankfurt den Kampf mit der Inflation auf – endlich
FRANKFURT - Die Rekordinflation im Euroraum haben die Euro-Währungshüter am Donnerstag zur größten Zinserhöhung der EZB-Geschichte getrieben. Trotz wachsender Sorgen vor einem Absturz der Wirtschaft in eine Rezession hat die Europäische Zentralbank (EZB) ihre Leitzinsen am Donnerstag um 0,75 Prozentpunkte angehoben.
Damit liegt der Zinssatz für die Hauptrefinanzierungsgeschäfte nun bei 1,25 Prozent. Zu diesem Zinssatz erhalten die Geschäftsbanken Geld von der EZB. Der Einlagensatz stieg von Null Prozent auf nun 0,75 Prozent. Zu diesem Zinssatz können Banken Geld bei der EZB anlegen.
EZB-Präsidentin Christine Lagarde begründete diese Erhöhung, die im EZB-Rat „einstimmig“beschlossen worden sei, mit der hohen Preissteigerung im Euroraum, die im August nach vorläufiger Berechnung bei 9,1 Prozent lag: „Der EZB-Rat rechnet damit, die Zinsen noch weiter zu erhöhen, weil die Inflation viel zu hoch bleibt und wahrscheinlich für längere Zeit über unserem Ziel bleiben wird.“Diese Entscheidungen wird sie, wie schon im Juli angekündigt, abhängig von den Konjunkturdaten fällen.
„Besser spät als nie“, kommentierte ifo-Präsident Clemens Fuest die EZB-Entscheidung. Die 0,75 Prozent seien ein richtiger Schritt. Dennoch bleibe die Geldpolitik sehr expansiv, sagte Fuest. In den nächsten Monaten werden weitere Erhöhungen folgen müssen, da die Zinsen nach wie vor sehr niedrig seien, und die Inflationserwartungen der privaten Haushalte immer weiter anstiegen.
Die Notenbank rechnet nun im Schnitt mit 8,1 Prozent Inflation im laufenden Jahr, mit 5,5 Prozent 2023 und mit 2,3 Prozent 2024. Erst dann käme die Preissteigerung wieder in Sichtweite des Ziels von zwei Prozent, das die EZB als Preissteigerung anstrebt. Je weiter man von diesem Ziel entfernt sei, desto größer würden auch die Zinsschritte ausfallen, sagte Lagarde.
Der starke Anstieg der Projektionen für die Inflationsrate ist insofern bemerkenswert, als dass die Modelle der EZB bisher immer auf deutlich niedrigere Inflationsraten hingedeutet haben.
Weitere Zinsschritte plant die EZB auch deshalb, um die Nachfrage zu dämpfen. Damit will sie das Risiko minimieren, das mit weiter steigenden Inflationserwartungen verbunden wäre. Denn das wäre für die Zentralbanker eine sehr kritische Situation, sagte Jörg Krämer, Chefvolkswirt der Commerzbank: „Wenn Inflationserwartungen
steigen, dann müssen das natürlich auch die Gewerkschaften in die Lohnverhandlungen miteinbeziehen.“Eine mögliche Lohn-Preis-Spirale wäre die Folge.
„Es ist für die Wirtschaft besser, wenn die EZB die Zinsen schnell anhebt, anstatt das Bremsmanöver und die Unsicherheit über lange Zeit zu strecken“, ist auch Michael Heise überzeugt, Chefökonom von HQ Trust. Und Ulrich Kater, Chefvolkswirt der DekaBank, kommentiert:
„Die EZB hat mittlerweile Angst, dass ihr die Felle davonschwimmen und sie in ein jahrelanges Inflationsproblem hineinläuft. Die Frage lautet nur, warum dies erst so spät gesehen wurde.“
Das rechtfertigte Lagarde mit den unvorhersehbaren Schocks der vergangenen Jahre, vor allem mit den Energiepreissteigerungen. Ökonom Heise rechnet nun wegen der hartnäckigen Inflation damit, dass der Hauptrefinanzierungssatz der EZB bis Ende des Jahres auf 1,5 Prozent und bis Mitte des Jahres 2023 auf 2,5 Prozent angehoben werde.
Damit wird die Aufnahme von Krediten teurer, was die Nachfrage und die Investitionsbereitschaft der Unternehmen dämpft.
Deshalb fürchten manche Ökonomen schon, dass die EZB bei einer deutlichen Konjunkturabschwächung ihre Geldpolitik weniger straffen werde als vielleicht notwendig, um die hohe Inflation in den Griff zu bekommen. Doch in ihrem Basisszenario rechnet die Notenbank nicht mit einer Rezession.
Auch die Bürger müssen sich auf weiter steigende Kreditzinsen einstellen. So sind die Bauzinsen nach einem kurzen Rücksetzer auf 2,7 Prozent schon wieder auf aktuell rund 3,2 Prozent hochgelaufen, sagt Mirjam Mohr, Vorständin des Hypothekenkreditvermittlers Interhyp: „Wir gehen nach der EZB-Entscheidung von Volatilität, aber grundsätzlich von weiter leicht steigenden Bauzinsen
in den nächsten Monaten aus. Bis zum Jahresende erwarten wir Zinsen um etwa 3,5 Prozent für zehnjährige Darlehen.“
Für Sparer sind die Zinserhöhungen eine gute Nachricht, auch wenn die Sparzinsen noch weit unterhalb der aktuellen Inflationsrate liegen, real verlieren sie also mit festverzinslichen Anlagen immer noch Geld.
Es ist die zweite Zinserhöhung der EZB nach dem Zinsschritt vom Juli. Die amerikanische Notenbank Fed hatte in diesem Jahr schon mehrfach die Zinsen erhöht auf eine Spanne von nun 2,25 bis 2,5 Prozent. Für die nächste Sitzung am 21. September rechnen die Finanzmärkte mit einem weiter deutlichen Schritt der Fed um nochmals 75 Basispunkte.
Wegen des deutlichen Zinsunterschieds zwischen dem Euroraum und den USA hatte sich auch der Euro in den vergangenen Monaten gegenüber dem Dollar, aber auch gegenüber anderen Währungen abgeschwächt. Man beobachte das, aber der Wechselkurs sei kein Kriterium der Geldpolitik, versicherte EZBPräsidentin Lagarde.