Wurde die Leiche im Garten vergraben?
Die Villingerin Liselotte B. wird seit 1973 vermisst – Fall wird jetzt neu aufgerollt
VILLINGEN-SCHWENNINGEN Wird aus einem fast 50 Jahre zurückliegenden Vermisstenfall in Villingen ein Kriminalfall? Die Polizei hat die Ermittlungen neu aufgerollt – dank neuer Hinweise.
Die Polizei rückt in einem Villinger Wohngebiet mit zahlreichen Beamten an, gräbt dort nach einer möglichen Leiche – ausgerechnet im Garten jenes Hauses, aus dem eine Frau im Jahr 1973 spurlos verschwunden ist. Ein rätselhafter Vermisstenfall, der jüngst eine mögliche spektakuläre Wendung genommen hat.
Wir schreiben das Jahr 1973 in Villingen. Die vierköpfige Familie B. bewohnt ein Reihenhäuschen. Die Mutter Liselotte ist Krankenschwester, der Vater Paul arbeitet als Oberlehrer – dazu die Tochter Ursula und der Sohn Bernhard.
Nach außen scheint es sich um eine gut situierte Familie zu handeln, insbesondere der Vater habe sich bemüht, dieses Bild zu wahren. Im Telefonbuch lässt er gar seine Amtsbezeichnung vermerken. Nachbarn erzählen von dem durchaus angesehenen Lehrer, „immer mit Ledertäschchen und Hut unterwegs“.
Doch der Schein trügt offenbar. Das bekommen auch Menschen aus dem Umfeld mit. „Das waren bei denen schwierige Verhältnisse, es gab kein Familienleben“, erklären Nachbarn. Am 17. Februar 1973 ändert sich das Leben in dem Reihenhaus schließlich schlagartig.
Liselotte, damals 53 Jahre alt, verschwindet von einem Tag auf den anderen spurlos. Ausgerechnet am Geburtstag der Tochter. Das Verschwinden fällt in der Nachbarschaft nicht sofort auf. Auch, weil – so wird der Redaktion des Schwarzwälder Boten von mehreren Seiten bestätigt – scheinbar erst Tage später eine Vermisstenanzeige bei der Polizei aufgegeben wird.
„Er hat lange Zeit verschwiegen, dass seine Frau verschwunden ist – wir haben dann mal gefragt: ,Wo ist denn Ihre Frau, Herr B.?’“, erinnert sich ein Bewohner. Die Antwort bleibt aus. Und eine Antwort kann auch die Polizei zur damaligen Zeit nicht liefern. Die Räume werden durchsucht, Verdächtiges ist offenbar nicht gefunden worden. Paul B., so heißt es heute, habe damals einen Suizid vermutet – oder ein Absetzen seiner Frau ins Ausland. Warum? Unklar.
Ein Jahr später (1974) ereilt die Familie ein weiterer Schicksalsschlag. Tochter Ursula (20) verlässt frühmorgens unbeobachtet das Haus. Sie wird nicht mehr zurückkehren. Im
TRAUERANZEIGEN
Groppertal erfasst sie ein Zug. Ein Genickbruch für die Familie.
Daran erinnert sich auch heute noch Bernhard B. Im Gespräch mit dem Schwarzwälder Boten lässt er die schwierige Zeit Revue passieren. Das Verschwinden der Mutter sei ein „brutaler Schicksalsschlag“gewesen, der Tod seiner Schwester „ganz schlimm“. Bis heute lässt ihn das Schicksal seiner Mutter nicht los. Der heute 67-Jährige kann sich das Verschwinden nur schwer erklären.
„Wenn sie sich das Leben genommen hat, müsste man sie ja finden“, sagt er. Klar war damals: Das Familienleben leidet unter dem fast täglichen Streit der Eltern. „Meine Mutter wollte weg“, so Bernhard. Ob sie sich tatsächlich abgesetzt hat? „Dagegen spricht, dass sie sich nie mehr gemeldet hat.“Nur schwer kann er sich vorstellen, dass seine Mutter ihn und seine Schwester einfach so verlässt. Und dass sein Vater etwas mit dem Verschwinden zu tun haben könnte? „Niemals“, sagt er bestimmt.
Doch: Anfang vergangenen Jahres nimmt der Vermisstenfall Liselotte
B. erneut Fahrt auf. Die Redaktion wird im Zusammenhang mit der Berichterstattung über einen weiteren Kriminalfall von einem Insider der Familie kontaktiert. Diesen lässt das Verschwinden der Frau ebenso nicht los. „Wohin kann eine 53-jährige Frau ohne Mantel, Papiere und Brille verschwinden? Sie hatte keine Freunde, kein Geld, die Ehe wird sie zermürbt haben“, erklärt der Insider, der namentlich nicht genannt werden möchte.
Ganz klar wird ein mögliche Beteiligung von Paul B. am Verschwinden ins Spiel gebracht, „ein despotischer, klein karierter Möchtegern“, heißt es. Er sei mit der Maske des „absoluten, höflichen, korrekten Biedermanns“aufgetreten. Dabei sei er schuld an den verworrenen Familienverhältnissen gewesen. Und auch am Tod seiner Frau?
In diesem Zusammenhang kommt ein brisanter Brief ins Spiel. Dieser wurde von Liselotte innerhalb der Familie weitergeschickt. Der Tenor: „Wenn ich eines Tages tot bin, hat Paul mich umgebracht.“Bernhard B. bestätigt die Existenz eines solchen Schriftstückes. „Das hing damit zusammen, dass mein Vater sie schlecht gemacht hat – aber ich finde, mein Vater war ein guter Mensch“, erklärt er.
Bernhard B. stellt mit Blick auf die vielen Streitigkeiten des Ehepaares ebenso klar: „Es ging wirklich von meiner Mutter aus.“Er vermutet eine mögliche Traumatisierung von Liselotte im Zweiten Weltkrieg als Grund für die schwierigen Verhältnisse – sie habe als Krankenschwester ein Bombeninferno in Hamburg mitbekommen.
Psychische Probleme und eine schwierige Ehe – erklärt das ein Verschwinden der Frau? Die Polizei rollt die Ermittlungen neu auf, nachdem der Schwarzwälder Bote entsprechende Informationen über eine mögliche Beteiligung von Paul B. am Verschwinden seiner Frau weiterleitet. Die so genannte „Cold Case“-Abteilung bei der Kriminalpolizei Rottweil übernimmt den Fall. Sie hat zur Aufgabe, das Rätsel schon einige Zeit zurückliegender Kriminalfälle zu lösen.
Die Informantin wird – nachdem die Redaktion das Einverständnis eingeholt hatte – von der Polizei befragt. Die Kriminalisten nehmen die neue Sicht auf die facettenreiche Geschichte zu Protokoll, weitere Untersuchungen werden angestrebt. Um die Ermittlungen nicht zu gefährden, wird auf eine Berichterstattung über den ungelösten Fall zunächst verzichtet.
Die Nachforschungen der Kriminalpolizei münden nun vor wenigen Tagen in einer Grabungsaktion im Garten der Familie. Hier lebt Bernhard B. weiterhin. Ein konkreter Hinweis auf das Vergraben der Leiche von Liselotte B. im Garten des Reihenhauses in Verbindung mit weiteren Indizien hat offenbar dazu geführt, dass dieser genau unter die Lupe genommen wird.
Über Stunden hinweg durchkämmen die Beamten das kleine Grundstück, ob sie etwas gefunden haben, ist noch nicht bekannt – und damit auch, ob das Schicksal der Frau weiter ein Rätsel bleibt. Kommende Woche möchte sich die zuständige Kriminalpolizei zu der Angelegenheit äußern.
Klar ist: Paul B. können die Ermittler zu dem Verschwinden jedenfalls nicht mehr befragen. Er ist im Jahr 2000 gestorben – und hat möglicherweise ein dunkles Geheimnis mit ins Grab genommen.