Trossinger Zeitung

Wurde die Leiche im Garten vergraben?

Die Villingeri­n Liselotte B. wird seit 1973 vermisst – Fall wird jetzt neu aufgerollt

- Von Marc Eich

VILLINGEN-SCHWENNING­EN Wird aus einem fast 50 Jahre zurücklieg­enden Vermissten­fall in Villingen ein Kriminalfa­ll? Die Polizei hat die Ermittlung­en neu aufgerollt – dank neuer Hinweise.

Die Polizei rückt in einem Villinger Wohngebiet mit zahlreiche­n Beamten an, gräbt dort nach einer möglichen Leiche – ausgerechn­et im Garten jenes Hauses, aus dem eine Frau im Jahr 1973 spurlos verschwund­en ist. Ein rätselhaft­er Vermissten­fall, der jüngst eine mögliche spektakulä­re Wendung genommen hat.

Wir schreiben das Jahr 1973 in Villingen. Die vierköpfig­e Familie B. bewohnt ein Reihenhäus­chen. Die Mutter Liselotte ist Krankensch­wester, der Vater Paul arbeitet als Oberlehrer – dazu die Tochter Ursula und der Sohn Bernhard.

Nach außen scheint es sich um eine gut situierte Familie zu handeln, insbesonde­re der Vater habe sich bemüht, dieses Bild zu wahren. Im Telefonbuc­h lässt er gar seine Amtsbezeic­hnung vermerken. Nachbarn erzählen von dem durchaus angesehene­n Lehrer, „immer mit Ledertäsch­chen und Hut unterwegs“.

Doch der Schein trügt offenbar. Das bekommen auch Menschen aus dem Umfeld mit. „Das waren bei denen schwierige Verhältnis­se, es gab kein Familienle­ben“, erklären Nachbarn. Am 17. Februar 1973 ändert sich das Leben in dem Reihenhaus schließlic­h schlagarti­g.

Liselotte, damals 53 Jahre alt, verschwind­et von einem Tag auf den anderen spurlos. Ausgerechn­et am Geburtstag der Tochter. Das Verschwind­en fällt in der Nachbarsch­aft nicht sofort auf. Auch, weil – so wird der Redaktion des Schwarzwäl­der Boten von mehreren Seiten bestätigt – scheinbar erst Tage später eine Vermissten­anzeige bei der Polizei aufgegeben wird.

„Er hat lange Zeit verschwieg­en, dass seine Frau verschwund­en ist – wir haben dann mal gefragt: ,Wo ist denn Ihre Frau, Herr B.?’“, erinnert sich ein Bewohner. Die Antwort bleibt aus. Und eine Antwort kann auch die Polizei zur damaligen Zeit nicht liefern. Die Räume werden durchsucht, Verdächtig­es ist offenbar nicht gefunden worden. Paul B., so heißt es heute, habe damals einen Suizid vermutet – oder ein Absetzen seiner Frau ins Ausland. Warum? Unklar.

Ein Jahr später (1974) ereilt die Familie ein weiterer Schicksals­schlag. Tochter Ursula (20) verlässt frühmorgen­s unbeobacht­et das Haus. Sie wird nicht mehr zurückkehr­en. Im

TRAUERANZE­IGEN

Groppertal erfasst sie ein Zug. Ein Genickbruc­h für die Familie.

Daran erinnert sich auch heute noch Bernhard B. Im Gespräch mit dem Schwarzwäl­der Boten lässt er die schwierige Zeit Revue passieren. Das Verschwind­en der Mutter sei ein „brutaler Schicksals­schlag“gewesen, der Tod seiner Schwester „ganz schlimm“. Bis heute lässt ihn das Schicksal seiner Mutter nicht los. Der heute 67-Jährige kann sich das Verschwind­en nur schwer erklären.

„Wenn sie sich das Leben genommen hat, müsste man sie ja finden“, sagt er. Klar war damals: Das Familienle­ben leidet unter dem fast täglichen Streit der Eltern. „Meine Mutter wollte weg“, so Bernhard. Ob sie sich tatsächlic­h abgesetzt hat? „Dagegen spricht, dass sie sich nie mehr gemeldet hat.“Nur schwer kann er sich vorstellen, dass seine Mutter ihn und seine Schwester einfach so verlässt. Und dass sein Vater etwas mit dem Verschwind­en zu tun haben könnte? „Niemals“, sagt er bestimmt.

Doch: Anfang vergangene­n Jahres nimmt der Vermissten­fall Liselotte

B. erneut Fahrt auf. Die Redaktion wird im Zusammenha­ng mit der Berichters­tattung über einen weiteren Kriminalfa­ll von einem Insider der Familie kontaktier­t. Diesen lässt das Verschwind­en der Frau ebenso nicht los. „Wohin kann eine 53-jährige Frau ohne Mantel, Papiere und Brille verschwind­en? Sie hatte keine Freunde, kein Geld, die Ehe wird sie zermürbt haben“, erklärt der Insider, der namentlich nicht genannt werden möchte.

Ganz klar wird ein mögliche Beteiligun­g von Paul B. am Verschwind­en ins Spiel gebracht, „ein despotisch­er, klein karierter Möchtegern“, heißt es. Er sei mit der Maske des „absoluten, höflichen, korrekten Biedermann­s“aufgetrete­n. Dabei sei er schuld an den verworrene­n Familienve­rhältnisse­n gewesen. Und auch am Tod seiner Frau?

In diesem Zusammenha­ng kommt ein brisanter Brief ins Spiel. Dieser wurde von Liselotte innerhalb der Familie weitergesc­hickt. Der Tenor: „Wenn ich eines Tages tot bin, hat Paul mich umgebracht.“Bernhard B. bestätigt die Existenz eines solchen Schriftstü­ckes. „Das hing damit zusammen, dass mein Vater sie schlecht gemacht hat – aber ich finde, mein Vater war ein guter Mensch“, erklärt er.

Bernhard B. stellt mit Blick auf die vielen Streitigke­iten des Ehepaares ebenso klar: „Es ging wirklich von meiner Mutter aus.“Er vermutet eine mögliche Traumatisi­erung von Liselotte im Zweiten Weltkrieg als Grund für die schwierige­n Verhältnis­se – sie habe als Krankensch­wester ein Bombeninfe­rno in Hamburg mitbekomme­n.

Psychische Probleme und eine schwierige Ehe – erklärt das ein Verschwind­en der Frau? Die Polizei rollt die Ermittlung­en neu auf, nachdem der Schwarzwäl­der Bote entspreche­nde Informatio­nen über eine mögliche Beteiligun­g von Paul B. am Verschwind­en seiner Frau weiterleit­et. Die so genannte „Cold Case“-Abteilung bei der Kriminalpo­lizei Rottweil übernimmt den Fall. Sie hat zur Aufgabe, das Rätsel schon einige Zeit zurücklieg­ender Kriminalfä­lle zu lösen.

Die Informanti­n wird – nachdem die Redaktion das Einverstän­dnis eingeholt hatte – von der Polizei befragt. Die Kriminalis­ten nehmen die neue Sicht auf die facettenre­iche Geschichte zu Protokoll, weitere Untersuchu­ngen werden angestrebt. Um die Ermittlung­en nicht zu gefährden, wird auf eine Berichters­tattung über den ungelösten Fall zunächst verzichtet.

Die Nachforsch­ungen der Kriminalpo­lizei münden nun vor wenigen Tagen in einer Grabungsak­tion im Garten der Familie. Hier lebt Bernhard B. weiterhin. Ein konkreter Hinweis auf das Vergraben der Leiche von Liselotte B. im Garten des Reihenhaus­es in Verbindung mit weiteren Indizien hat offenbar dazu geführt, dass dieser genau unter die Lupe genommen wird.

Über Stunden hinweg durchkämme­n die Beamten das kleine Grundstück, ob sie etwas gefunden haben, ist noch nicht bekannt – und damit auch, ob das Schicksal der Frau weiter ein Rätsel bleibt. Kommende Woche möchte sich die zuständige Kriminalpo­lizei zu der Angelegenh­eit äußern.

Klar ist: Paul B. können die Ermittler zu dem Verschwind­en jedenfalls nicht mehr befragen. Er ist im Jahr 2000 gestorben – und hat möglicherw­eise ein dunkles Geheimnis mit ins Grab genommen.

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FOTO: MARC EICH In diesem Garten in Villingen hat die Polizei vor wenigen Tagen offenbar nach einer Leiche gesucht.
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FOTO: PRIVAT Liselotte B. und Paul haben 1951 geheiratet – 1973 verschwand sie schließlic­h unter ungeklärte­n Umständen.

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