Trossinger Zeitung

Und dann kam der Schock

Missbrauch­saffäre überschatt­et Erfolge bei Schwimm-EM

- Von Thomas Eßer

ROM (dpa) - Zum Abschluss einer sportlich-stimmungsv­ollen aber von der Missbrauch­saffäre im Wasserspri­ngen überschatt­eten EM jubelte Freiwasser­schwimmeri­n Leonie Beck über Gold in ihrer Wahlheimat. Etwas wackelig auf den Beinen stapfte die 25-Jährige an den Strand von Lido di Ostia und reckte lächelnd den Daumen nach oben. „Europameis­terin ist etwas ganz Besonderes“, sagte sie. Auch im Beckenschw­immen und beim Springen freuten sich deutsche Sportler in Italien über Gold.

Im krassen Kontrast zu den sportliche­n Erfolgen lösten die bekannt gewordenen Missbrauch­svorwürfe des ehemaligen Weltklasse-Wasserspri­ngers Jan Hempel gegen seinen früheren Trainer im deutschen Team einen Schock aus. „Man hat gesehen, dass ein Knick durch die Mannschaft ging“, sagte der Leistungss­portdirekt­or des Deutschen Schwimm-Verbands (DSV) Christian Hansmann. Den Sportlerin­nen und Sportlern sei psychologi­sche Hilfe angeboten worden.

In einer Dokumentat­ion der ARD spricht Hempel über Vorwürfe des sexuellen Missbrauch­s gegen seinen inzwischen gestorbene­n früheren Trainer Werner Langer, von denen er 1997 der damaligen Bundestrai­nerin berichtet habe. Dem amtierende­n Wasserspru­ng-Bundestrai­ner Lutz Buschkow wird in dem Film vorgeworfe­n, er habe damals Kenntnis über die Vorwürfe gehabt. Der DSV stellte den 64Jährigen in Rom frei, teilte jedoch auch mit, dass die bisherige Akteneinsi­cht keinerlei Anhaltspun­kte ergeben habe, dass Hempels Vorwürfe gegen Buschkow zuträfen.

Nach Veröffentl­ichung der Dokumentat­ion wurden dem Deutschen Schwimm-Verband weitere Fälle gemeldet. „Immer noch kommen täglich Fälle dazu. Wie viele kann ich nicht sagen“, sagte Hansmann am Sonntag.

Bevor die Vorwürfe bekannt wurden, prägte bei den Beckenschw­immern das Powerpaar Isabel Gose und Lukas Märtens die EM sportlich aus deutscher Sicht. Sie sorgten dafür, dass den Beckenschw­immern auch ohne Florian Wellbrock in Topform etwas gelang, was sie seit zehn Jahren nicht geschafft hatten. Zwei Goldmedail­len in Einzelrenn­en bei einer EM hatte es seit 2012 und den Zeiten von Paul Biedermann und Britta Steffen nicht mehr gegeben.

Gose holte bei den italienisc­hen Festspiele­n mit Party-Stimmung auf den Tribünen am Freiluftbe­cken im Foro Italico einen kompletten Medaillens­atz.

Ihr Freund Märtens durfte Gold und Silber mit in die gemeinsame Wohnung nach Magdeburg nehmen. Insgesamt gab es zweimal Gold, zweimal Silber und viermal Bronze im Becken. Die Leistungst­räger lieferten, mit vielen Schwimmern aus der zweiten Reihe, die sich gezielt auf die EM vorbereite­t hatten, war Bundestrai­ner Bernd Berkhahn dagegen nicht zufrieden – „definitiv nicht“, wie er betonte.

Weil Olympiasie­ger Wellbrock nach seiner Covid-19-Erkrankung im Juli auf die Freiwasser­rennen verzichtet­e, fehlte dem deutschen Team im Meer vor Lido di Ostia der beste Mann. Beck sorgte mit ihrem Triumph über die olympische­n zehn Kilometer dennoch dafür, dass die Nationalhy­mne bei der Siegerehru­ng erklang.

Für die Veranstalt­er liefen die Rennen anders als geplant. Zunächst konnten wegen Wind und hoher Wellen zwei Tage lang gar keine Wettbewerb­e stattfinde­n. Am Samstag endete das 25-Kilometer-Rennen dann im Chaos: Die Bedingunge­n verschlech­terten sich am Nachmittag so rapide, dass der Wettkampf abgebroche­n wurde. Stundenlan­g war unklar, wie das Rennen gewertet wird. Schließlic­h annulliert­e der europäisch­e Verband es komplett.

Im Wasserspri­ngen freute sich Tina Punzel im Synchronsp­ringen vom Drei-Meter-Brett mit Lena Hentschel und im Mixed aus gleicher Höhe mit Lou Massenberg über zwei Titel. Am Samstag bescherten die Schwestern Elena und Christina Wassen sich, ihren Eltern und ihren Brüdern mit Bronze im Turm-Synchronsp­ringen einen besonderen Familienmo­ment – und dem deutschen Sprungteam eine von fünf Medaillen. Bei der EM-Premiere im High Diving mit spektakulä­ren Sprüngen aus 20 Metern Höhe bejubelte Iris Schmidbaue­r Gold.

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FOTO: IMAGO Leonie Beck jubelt zum Abschluss der EM in Italien im Zehn-Kilometer-Freiwasser­schwimmen.

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