Tuttlingen zwischen den Jahrhunderten
Früher und Heute: Wie sich die Gaststätten rund um den Marktplatz entwickelt haben
TUTTLINGEN – Eine Stadt verändert sich über die Jahrzehnte ständig. Auch das Stadtbild von Tuttlingen hat sich stark verändert – besonders in Bezug auf die Gaststätten. Ein Blick in die Tuttlinger Geschichtsbücher und ein Bildervergleich mit über 100 Jahren Abstand zeigen den Unterschied.
Bevor es Restaurants gab, wie wir sie heute kennen, gab es bereits eine Reihe von Einrichtungen, wo Menschen sich treffen konnten, um gemeinsam zu essen und zu trinken – beispielsweise Tavernen oder Herbergen. Ein genaues Datum, wann es das erste Gasthaus in Tuttlingen gab, ist nicht bekannt – die erste Taverne wird allerdings bereits Mitte des 15. Jahrhunderts erwähnt. In einer Serie wollen wir die verschiedenen Plätze und Gaststätten in Tuttlingen vorstellen und zeigen, wie sich die Plätze und Gebäude im Laufe der Jahrhunderte entwickelt haben.
Wer in Tuttlingen wohnt, kommt um den Marktplatz nicht herum. So werden die meisten Menschen aus dem Kreis die aktuellen Fotos sehr gut kennen. An die Motive von 1910 dürfte sich heute wohl niemand mehr persönlich erinnern können. Kein Wunder, denn zwischen den Vergleichsbildern liegen rund 112 Jahre.
Das Bild unten links zeigt den Marktplatz mit dem Rathaus und dem heutigen Kreissparkassengebäude – 1910 war an dieser Stelle allerdings noch das Hotel „Post“. Den Namen erhielt der Gasthof einfach deshalb, weil er mit der Post verbunden war. Denn zur damaligen Zeit war es üblich, dass der Posthalter gleichzeitig auch der Wirt war.
Optisch ist das Gebäude heute ein komplett anderes. Auch von innen erinnert nichts mehr an das Gebäude von vor über 100 Jahren. Während man heute große Räume mit Bankschaltern und Büros findet, waren dort früher zwei Wirtshauszimmer mit 48 Fremdenzimmern untergebracht. In einem Nebengebäude waren die Posträume, Stallungen und ein Tanzboden. Laut Stadtarchiv war die „Post“eine der wenigen Schildwirtschaften in Tuttlingen, zu der keine Brauerei gehörte. Eine Schildwirtschaft war damals eine Wirtschaft, die ein Schild am Haus hatte. Diese Gaststätten durften Getränke ausschenken, Gäste über Nacht beherbergen, Hochzeiten und andere Feste abhalten und auch Pferde unterstellen. Im Gegensatz zu reinen Schankwirtschaften oder Suppenwirtschaften mussten Schankwirtschaften für die Konzession aufwendige Speisen zubereiten.
1878 zog die Post aus dem Gebäude und der Wirt war nun auch nicht mehr für die Post zuständig. Das Erscheinungsbild, wie man es auf dem Schwarzweißbild sieht, existierte erst um 1900. Die Fassade mit den Türmern und Erkern hat der damalige Besitzer gewählt, um dem Gebäude
Großstadtflair zu geben.
1935 wurde das Gebäude erneut verkauft. Der Plan des neuen Besitzers Karl Breunle, das Gebäude zu renovieren scheiterte allerdings, sodass er es 1938 an die Kreissparkasse verkaufte. Diese schenkte noch eine Zeit lang Getränke aus, sodass sie die Konzession behalten konnten. Abgerissen wurde das Gebäude im Jahr 1954. Schon ein Jahr später stand der Neubau der Kreissparkasse. Wie beliebt der Marktplatz damals für Gasthäuser war, zeigt sich an der Häufung. Mit dem „Hecht“, dem „Ochsen“, der „Stadtkrone“, dem „Hirsch“und der „Post“befanden sich dort damals fünf große und bedeutende Gasthöfe.
Direkt im Eck gegenüber befindet sich heute die Bäckerei Sternenbäck und die Modekette H&M. Damals waren dort allerdings noch das Hotel „Hecht“und der Gasthof „Ochsen“. Auch der „Hecht“war damals eine Schildwirtschaft und existierte bereits vor dem Stadtbrand 1803. Zunächst wurde das Haus nur zweistöckig gebaut, später kam allerdings noch ein drittes Stockwerk und auch der „Tuttlinger Hut“dazu.
In dem Hotel gab es insgesamt 30 Fremdenzimmer und zahlreiche Besitzerwechsel – bis nach dem Zweiten Weltkrieg. Dann wurde der Betrieb aufgegeben und 1919 ging das Gebäude in Besitz der Stadt über. Zwar wurden dann dort städtische Ämter untergebracht, allerdings musste auch die Stadt weiterhin Getränke ausschenken, um die Konzession behalten zu dürfen – und zwar in sehr großen Abständen. Ab 1923 gab es immer im fünfjährigen Abstand an nur einem einzigen Abend Wein und Bier.
Gleich daneben stand das Gasthaus „Ochsen“– allerdings nicht von Anfang an. Denn bei dem Stadtbrand brannte der Gasthof komplett ab und wurde schließlich direkt am Marktplatz wieder aufgebaut. Das Gebäude reichte vom Marktplatz bis zur Stadtkirchstraße und war damit das größte Privathaus am Marktplatz. Die Schildwirtschaft, die seit 1650 im Besitz der Familie Stengelin war, besaß insgesamt 31 Fremdenzimmer. 1923 wurde das Gebäude umgebaut. Die Fassade wurde erneuert und aus den Stallungen wurden Garagen.
1962 wurde der Gasthof aufgeben und in das Erdgeschoss zog später der Lebensmittelmarkt „Tengelmann“. In die beiden oberen Stockwerke kamen Arztpraxen und Büros. Zwar wurde das Gebäude im Jahr 1992 abgerissen und durch einen Neubau ersetzt, das Wirtshausschild existiert allerdings bis heute: Die Familie Stengelin brachte es am Neubau an der Ecke zur Stadtkirchstraße wieder an.
Übrigens haben sich nicht nur die Gebäude, sondern auch der Marktplatz über die Jahre verändert. Dort gab es nämlich lange Zeit einen Kreisverkehr. Dieser schwand allerdings 1985, als die Fußgängerzone angelegt wurde.